Gesundheitsnetz QuE in Nürnberg
„Wir machen Versorgungsunterschiede sichtbar“
Das Gesundheitsnetz QuE in Nürnberg engagiert sich für eine geschlechtersensible Versorgung – und nutzt dafür Daten aus dem AOK-Projekt QuATRo. Internist Andreas Lipécz erläutert, warum eine genderspezifische Versorgung bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen eine zentrale Rolle spielt, wo Leitlinien noch Lücken aufweisen – und was er sich von der Forschung wünscht.
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Bei Herzerkrankungen ist mittlerweile gut untersucht, dass in der Versorgung sehr wohl geschlechtsspezifische Unterschiede gemacht werden sollten. Es hilft aber etwa für Qualitätszirkel mit Routinedaten der AOK und den spezifischen QuATRo-Indikatoren zu arbeiten.
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Herr Dr. Lipécz, seit wann besteht das Gesundheitsnetz Qualität und Effizienz (QuE)?
Das „Gesundheitsnetz QuE“ besteht seit 1997 als Praxisnetz im Nürnberger Norden. Rund 120 Ärztinnen und Ärzte aus mehr als 60 Praxen arbeiten hier kollegial und sektorenübergreifend zusammen. Seit 2005 sind wir als Genossenschaft organisiert – und feiern damit in diesem Jahr unser 20-jähriges Bestehen.
Welche Versorgungsschwerpunkte verfolgen Sie?
Unser Netzwerk ist aus dem Wunsch entstanden, Prävention stärker in den Mittelpunkt zu rücken – sowohl im körperlichen Sinne als auch im Bereich Früherkennung. Seit rund fünf Jahren beschäftigen wir uns zudem intensiv mit den gesundheitlichen Folgen des Klimawandels, seit etwa anderthalb Jahren auch mit gendersensibler Versorgung. Dabei steht stets die Patientinnen- und Patientenperspektive im Fokus.
Ein zweites wichtiges Standbein ist die Versorgungsforschung. Hier konnten wir bereits an mehreren Projekten des Innovationsfonds mitwirken – zum Teil mit so überzeugenden Ergebnissen, dass sie zur Umsetzung empfohlen wurden. Das gelingt nur wenigen Projekten und bestätigt die Relevanz unserer Arbeit.

Dr. med. Andreas Lipécz ist Facharzt für Innere Medizin und Vorstandsvorsitzender des „Gesundheitsnetz QuE“.
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Haben Sie ein konkretes Beispiel für die Versorgungsforschung?
Ein konkretes Beispiel ist unsere Beteiligung am Innovationsfondsprojekt ARena. Ziel des Projekts war, Antibiotikaresistenzen vorzubeugen, indem der Einsatz von Antibiotika zielgerichteter erfolgt. Die Ergebnisse waren deutlich: In den teilnehmenden Praxen konnte der Antibiotikaverbrauch reduziert werden – etwa durch Schulungen, die Ärztinnen und Ärzten helfen, die Verordnung von Antibiotika besser zu erklären und Patientenerwartungen realistisch einzuordnen.
Welche Bedeutung hat das QuATRo-Instrument für Ihre Netzwerkarbeit?
Die QuATRo-Indikatoren unterstützen uns dabei, potenzielle Versorgungsdefizite systematisch zu erkennen. Sobald wir ein solches Defizit identifiziert haben, reagieren wir mit gezielten Maßnahmen – etwa durch Fortbildungen, Qualitätszirkel oder individuelle Gespräche –, um die Versorgung nachhaltig zu verbessern.
Was hat die Auswertung der Routinedaten im Rahmen von QuATRo im Hinblick auf eine geschlechtersensible Versorgung bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen ergeben?
Anhand spezifischer Indikatoren wurde untersucht, ob und inwiefern sich die Versorgung von Frauen und Männern bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen unterscheidet. Dabei zeigte sich: Frauen erhalten offenbar häufiger eine leitliniengerechte Behandlung bei Bluthochdruck als Männer. Gleichzeitig werden sie mit bestimmten Medikamenten schlechter versorgt. Sie erhalten etwa bei Herzinsuffizienz seltener ACE-Hemmer und Betablocker sowie bei koronarer Herzkrankheit seltener Statine als Männer.
Warum ist die Berücksichtigung von genderspezifischen Aspekten bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen besonders relevant?
Untersuchungen belegen, dass Herz-Kreislauf-Beschwerden bei Frauen häufiger unterschätzt oder anders bewertet werden. Gleichzeitig schildern Frauen ihre Beschwerden mitunter anders als Männer. Umso entscheidender ist es, bei Ärztinnen und Ärzten ein Bewusstsein für diese Unterschiede zu schaffen – damit Frauen entsprechend der Leitlinien und unabhängig von Geschlechterstereotypen behandelt werden.
Mit welchen geschlechterspezifischen Fragestellungen sind Ärztinnen und Ärzte im Versorgungsalltag besonders häufig konfrontiert?
Ein zentrales Thema ist der Herzinfarkt – denn bei Frauen zeigt er sich oft anders als bei Männern. Symptome wie Müdigkeit oder Übelkeit sollten daher ernst genommen und im Kontext einer möglichen koronaren Herzkrankheit abgeklärt werden.
Hinzu kommt: Medikamente wirken bei Frauen häufig stärker als bei Männern. Das bedeutet, dass eine Therapie in der Regel mit einer niedrigeren Dosierung begonnen werden sollte – mit der Option, diese später anzupassen, sofern die klinischen Werte es erfordern.
Wie unterstützt das Gesundheitsnetz QuE konkret eine geschlechtersensible Versorgung?
Ein zentraler Baustein sind Fortbildungen für unsere Ärztinnen und Ärzte, die sich gezielt dem Thema widmen. Ergänzend organisieren wir regelmäßig Qualitätszirkel, um uns fachlich auszutauschen und gemeinsam praxisnahe Lösungsansätze zu entwickeln. Zudem beteiligen wir uns an Initiativen der Stadt Nürnberg und bringen unser Praxiswissen ein.
Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf der Patientenaufklärung – sowohl im persönlichen Gespräch als auch durch passende Informationsangebote: über unsere Website, die sozialen Medien oder eine eigene Patientenzeitschrift. Darüber hinaus stehen wir im engen Austausch mit unseren Partnerkrankenkassen, um gemeinsam wirksame Interventionen zu identifizieren und umzusetzen.
Inwiefern hilft Ihnen das QuATRo-System dabei, Versorgungsunterschiede sichtbar zu machen und gezielte Verbesserungen anzustoßen?
Erst die gendersensible Auswertung der Routinedaten ermöglicht es, potenzielle Ungleichheiten in der Behandlung von Frauen und Männern sichtbar zu machen und konkret darauf zu reagieren. Künftig möchten wir diesen Ansatz auch auf andere Krankheitsbilder wie Asthma oder Diabetes ausweiten. Wo wir Unterschiede finden, gilt es die jeweiligen Fachgesellschaften dafür zu sensibilisieren, um daran entsprechende Forschungsbemühungen anzuschließen, etwa über den Innovationsfonds.
Was wünschen Sie sich von der Versorgungsforschung, um geschlechtersensible Medizin besser in der Praxis umsetzen zu können?
Erst seit ein paar Jahren ist ein Frauenanteil von mindestens 30 Prozent in Studien verpflichtend. Aber zu vielen Medikamenten, die schon lange auf dem Markt sind, gibt es keine geschlechtersensiblen Studienergebnisse. Für häufig verordnete Präparate wäre es daher besonders wichtig, gezielt nachzusehen, wie belastbar die Datenlage für Frauen tatsächlich ist. Zugleich sollten wir unsere eigenen Versorgungsdaten noch stärker nutzen, um geschlechtsspezifische Unterschiede systematisch zu erkennen. Und: Das Thema muss auch in der medizinischen Aus- und Weiterbildung stärker verankert werden – von der Universität über die Facharztausbildung bis hin zur Entwicklung von Leitlinien.
Wie gut sind geschlechtsspezifische Aspekte aus Ihrer Sicht bislang in den Leitlinien abgebildet – insbesondere mit Blick auf die Kardiologie?
Nehmen wir die aktuellen Leitlinien zu Herzinfarkt und chronischer koronarer Herzkrankheit: Der Begriff „Gender“ taucht dort nicht auf. Auch bei der Beschreibung der Symptome fehlt der Hinweis, dass sich diese bei Frauen anders äußern können als bei Männern. Etwas differenzierter sind lediglich die epidemiologischen Angaben – etwa zur Häufigkeit oder zum Erkrankungsalter, das bei Frauen in der Regel höher liegt. Gerade deshalb braucht es gezielte Forschung, um geschlechterspezifische Unterschiede künftig stärker in Leitlinien zu integrieren und so die Versorgung zu verbessern.
Vielen Dank für das Gespräch!