142 Millionen Euro fehlen

Dreht das Land der European Medical School den Geldhahn zu?

Die Landesregierung bewilligt keine dringend benötigten Gelder für den Oldenburger Modell-Studiengang Medizin – wegen Corona. „Die ganze Region ist auf den Barrikaden!“, so der Unipräsident. Der Landtag könnte noch eingreifen.

Von Christian Beneker Veröffentlicht:
Seit Wintersemester 2012/2013 kann in Oldenburg Medizin studiert werden. Jetzt hat die Landesregierung dringend benötigte Gelder für Investitionen nicht bewilligt.

Seit Wintersemester 2012/2013 kann in Oldenburg Medizin studiert werden. Jetzt hat die Landesregierung dringend benötigte Gelder für Investitionen nicht bewilligt.

© Hauke-Christian Dittrich/dpa

Oldenburg. Aufschub oder Ende? Rund 142 Millionen Euro braucht die Mediziner-Ausbildung der European Medical School (EMS) im niedersächsischen Oldenburg, um ihr Pilotprojekt mit einem dringend benötigten Neubau für Forschung und Lehre angemessen fortzuführen.

Geld, das vom Wissenschaftsministerium des Landes eigentlich für den erst zehn Jahre alten Oldenburger Medizinstudiengang vorgesehen war. Doch nun hat das Kabinett die 80 Millionen Euro für den ersten Bauabschnitt nicht in den Haushalt eingestellt.

„Maximale Enttäuschung“ in Oldenburg

In Oldenburg ist man „maximal enttäuscht“, wie Gerd Pommer sagt, Vorsitzender des Vereins Universitätsmedizin Nordwest. „Man könnte denken, dass das Land unser Projekt nicht mehr will.“ Wackelt also der Oldenburger Medizinstudiengang?

Das weist das Wissenschaftsministerium Niedersachsens weit von sich. Sprecherin Heinke Traeger erklärt allerdings, es habe in der Haushaltsklausur eine „klare Ansage des Ministerpräsidenten und des Finanzministeriums gegeben.“

Nach den zwei Nachtragshaushalten unter der Corona-Krise in diesem Jahr könne man nun im kommenden Jahr „keine politischen Prioritäten umsetzen.“ Will sagen: Kein Geld für Oldenburg. Wissenschaftsminister Björn Thümler (CDU) habe in der Haushaltsklausur sehr für das Projekt geworben und auf die sehr große politische Bedeutung des Oldenburger Studienganges samt Neubaus hingewiesen, sagt Traeger.

Region „ist auf den Barrikaden“

Aber Thümler konnte sich im Kabinett offensichtlich nicht durchsetzen und muss nun den Haushalt ohne das Geld für den Oldenburger Neubau mittragen. „Die ganze Region ist auf den Barrikaden!“, kommentiert der Oldenburger Universitätspräsident und Arzt, Dr. Hans Michael Piper. Er verweist auf die große Bedeutung, die die Medizinerausbildung im ländlichen Nordwesten Niedersachsens habe. „Wir brauchen in der Region in den kommenden Jahren viele Ärzte, vor allem Hausärzte“, so Piper. „Es geht in unserem Studiengang deshalb in erster Linie um Versorgung und in zweiter Linie um Forschung.“

Tatsächlich plant Niedersachsen, bis zum Jahr 2024 eine stufenweise Erhöhung von 40 auf 200 Medizinstudienplätze in Oldenburg, dem neben Göttingen und Hannover dritten Studiengang für Medizin in Niedersachsen. Mit einer Änderung des niedersächsischen Hochschulgesetzes wurde die jährliche Zulassungszahl ab dem Wintersemester 2019/2020 bereits auf 80 Studierende festgesetzt. Dieser Zeitplan komme nun ins Wanken, fürchtet Piper.

Arbeit eines Jahrzehnts „wird nicht gewürdigt“

Auch der Oldenburger Oberbürgermeister Jürgen Krogmann sieht die langjährige Aufbauarbeit der Universität für einen medizinischen Studiengang als stark gefährdet an. „Letztlich wird damit die engagierte Arbeit, die hier seit über einem Jahrzehnt geleistet worden ist, nicht gewürdigt. Der Aufbau der Universitätsmedizin in Oldenburg wird damit trotz der klaren Empfehlungen des Wissenschaftsrats in eine unsichere Zukunft geschickt“, so Krogmann.

Ebenso der Marburger Bund Niedersachsen. Er verlangt vom Land, notwendige Zukunftsinvestitionen nicht zurückzuhalten. Andreas Hammerschmidt, zweiter Vorsitzender des MB im Land, sagt: „Die Universitätsmedizin Oldenburg braucht Klarheit, wie es weitergeht. Eine vernünftige Finanzierung und gute Lehrbedingungen sind unabdingbar.“

Kritiker des Kabinettsbeschlusses verweisen auf die Evaluation des Oldenburger Studienganges durch den Wissenschaftsrat (WR) vom vergangenen Jahr, die auch der Landesregierung vorliegt. Darin würdigt das Gremium den Studiengang in hohen Tönen, bringt aber auch Kritik an.

Kooperation von vier Kliniken „nicht zukunftsfähig“

So sei die Kooperation zwischen den vier rechtlich eigenständigen Oldenburger Krankenhäusern und der Medizin-Fakultät „nicht zukunftsfähig“. Infrastruktur und Digitalisierung hingen nach. Zudem fehle dem Land Finanzierung, Struktur und Konzept für die geplanten 200 Studienplätze.

Auch die Kooperation mit der Universität Groningen müsse in diesem Zusammenhang ausgebaut werden. Dies alles erfordere „besondere Anstrengungen und ein starkes Bekenntnis des Landes zum Standort Oldenburg, um die hierfür erforderlichen Rahmenbedingungen zu schaffen“, so der WR. Also: Mehr Geld.

Aber wenn keines fließt, dann würde das Gedeihen des Oldenburger Studienganges wenn nicht verhindert, so doch wesentlich verzögert, sagt Universitätspräsident Piper der „Ärzte Zeitung“.

Eine Chance auf die 80 Millionen Euro haben die Oldenburger noch, und zwar dann, wenn der Haushaltsentwurf des Kabinetts nach der Sommerpause im Landesparlament durchfallen sollte. Bis dahin wollen die Oldenburger „ganz erheblich für Öffentlichkeit sorgen“, kündigt Gerd Pommer an.

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