Die Abwanderung von Ärzten kostet den deutschen Staat Milliarden

Die Auswanderung gut ausgebildeter Mediziner verursacht erhebliche Belastungen für die öffentlichen Haushalte und die Sozialkassen. Jetzt hat das Ifo-Institut die Kosten am Beispiel einer Klinikärztin vorgerechnet.

Von Sabine Schiner Veröffentlicht:
3065 Mediziner sind 2008 ins Ausland ausgewandert - ausgebildet auf Kosten der deutschen Steuerzahler.

3065 Mediziner sind 2008 ins Ausland ausgewandert - ausgebildet auf Kosten der deutschen Steuerzahler.

© Foto: dpa

Wenn sich eine 30 Jahre alte Ärztin während der Facharztausbildung dazu entschließt, im Ausland zu arbeiten, dann entgehen dem Staat im Saldo Einnahmen von 1,075 Millionen Euro. Das ist das Fazit einer Studie des Instituts für Wirtschaftsforschung (Ifo) in München. Länder wie die Schweiz, Österreich, die USA und Großbritannien, die in der Hitliste der Auswanderer ganz oben stehen, profitieren davon.

Die meisten Auswanderer sind aus Hessen und Bremen

Nach einer Statistik der Bundesärztekammer sind im vergangenen Jahr 3065 Ärzte ins Ausland abgewandert. Im Jahr zuvor waren es 2439. Die prozentual höchste Abwanderung gibt es in Hessen und Bremen. Die Mitarbeiter des Ifo-Instituts haben am Beispiel eines Facharbeiters in der Metallbranche und einer Ärztin untersucht, welche Folgen eine Auswanderung auf Staat und Sozialkassen haben kann. Die Wissenschaftler sind davon ausgegangen, dass die Ärztin ihr Medizinstudium mit 26 Jahren beendet hat, nach dem Praktischen Jahr eine Facharztausbildung an einer Klinik in Deutschland beginnt und nach dem Tarifvertrag der Länder (TVL 2008) bezahlt wird. Nach drei Jahren wandert sie schließlich aus.

Die Ifo-Arbeitsgruppe hat für die Studie die öffentlichen Einnahmen aus Steuern und Sozialabgaben den Ausgaben für Bildung, Infrastruktur, Renten und anderen Sozialleistungen gegenübergestellt. Über die gesamte Lebenszeit, bis zum Alter von 85 Jahren, betrachtet, führt dies zu einer negativen Bilanz für die öffentlichen Kassen in Deutschland. Beide Auswanderer profitieren von einer kostenlosen Ausbildung und kosten die Allgemeinheit bis zu ihrer Ausbildung 160 000 Euro im Fall des Facharbeiters und 436 000 Euro im Fall der Ärztin. Würden sie in Deutschland bleiben, so die Studie, dann würde die Ärztin im Laufe ihres Lebens rund 639 000 Euro mehr Steuern und Sozialausgaben zahlen, als sie an öffentlichen Leistungen und Sozialleistungen in Anspruch nimmt. Der Facharbeiter erzielt einen Überschuss in Höhe von 121 500 Euro.

Im Fall der Ärztin sind die Wissenschaftler bei ihren Berechnungen davon ausgegangen, dass die Medizinerin, wenn sie in Deutschland geblieben wäre, nach zwei Jahren ihre Facharztausbildung beendet hätte und als Fachärztin (Tarifgruppe Ä2) bezahlt worden wäre. Die Forscher nahmen zudem an, dass sie mit 48 Jahren zur Oberärztin befördert worden wäre (Tarifgruppe Ä3) und stets einen zehnprozentigen Aufschlag für ihre Schichtdienste erhalten hat und mit 67 Jahren in Rente ging.

Die Ärztekammern warnen seit Jahren, dass für immer mehr Kollegen der Wegzug ins Ausland eine ernsthafte Alternative zum Praktizieren in Deutschland geworden ist. Das Beispiel Schweiz zeigt, dass sie von diesem Trend profitiert. Im vergangenen Jahr haben nach Angaben des Bundesamtes für Gesundheit in Bern 3500 Ärzte aus Deutschland in Schweizer Kliniken gearbeitet. "Deutsche finanzieren unsere Spitäler mit" titelte kürzlich der Schweizer "Tagesanzeiger" und stellte fest, dass deutsche Ärzte mehr als die Hälfte der ausländischen Mediziner stellen. "Hätte man die deutschen Mediziner an hiesigen Universitäten ausbilden müssen, hätte dies das Budget von Bund und Kantonen mit geschätzten vier Milliarden Franken - das sind umgerechnet 2,68 Milliarden Euro - belastet."

Ifo-Institut: Bedarf an Ärzten kann nicht gedeckt werden

"Unsere Berechnung zeigt, wie wichtig es ist, die Abwanderung von Fachkräften zu verhindern", sagt Dr. Christian Holzner, Bereichsleiter "Sozialpolitik und Arbeitsmärkte" am Münchner Ifo-Institut. Das Problem liege nicht nur darin, dass es aufgrund des demografischen Wandels künftig weniger junge Beschäftigte auf dem Arbeitsmarkt geben werde, sondern dass Qualifikationsdefizite entstehen werden.

Bereits heute zeichne sich ab, dass die Absolventen in technischen Fächern und in der Medizin nicht ausreichten, um den Bedarf zu decken. Die Abwanderung qualifizierter Berufsanfänger verstärke diesen Trend noch.

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