Ein Jahr mit neuen Armen - Bilanz ist positiv

Positive Bilanz ein Jahr nach Transplantation beider kompletter Arme bei einem Mann aus dem Allgäu: Der Patient wirft und fängt einen Ball.

Von Nicola Siegmund-Schultze Veröffentlicht:

Landwirt Karl Merk aus dem Unterallgäu ist der erste Mensch, dem komplette Arme eines Spenders transplantiert wurden: In der Nacht vom 25. auf den 26. Juli 2008 erhielt der damals 54-jährige am Klinikum rechts der Isar die Arme eines hirntoten Mannes (die "Ärzte Zeitung" berichtete). Jetzt, mehr als ein Jahr später, zieht Professor Christoph Höhnke, Leiter des Transplantationsteams, eine positive Zwischenbilanz: "Es geht ihm gut, er ist seit Längerem wieder zu Hause und er kann die Arme bewegen", sagte Höhnke beim Kongress zur Organspende in Berlin.

Die Fortschritte des Patienten belegt ein Video: Die Armbewegungen des Mannes wirken gleichmäßig, er kann die Handgelenke beugen, einen Ball werfen und fangen, die Finger der linken Hand ein wenig bewegen, allerdings noch nicht über die Handbinnenmuskulatur, sondern vom Unterarm aus gesteuert. Die Transplantate sind berührungs- und- schmerzempfindlich, aber noch wenig temperatursensibel. Bislang liegt der Patient also gut im Rennen beim Wettlauf mit der Zeit: Die eigenen Axone müssen die Muskulatur des Spenders erreichen, bevor diese atrophiert - die Nerven des Spenders sterben zwar ab, aber dessen Nervenscheiden bleiben.

Die Abstoßungsprophylaxe ist reduziert worden

Der Rückbildung der Muskulatur beugt eine regelmäßige Elektrostimulation vor. Noch immer macht der Patient eine intensive Physiotherapie inklusive sensorischem Training, mit dem das Gehirn wieder lernt, Hand- und Fingerbewegungen zu steuern. Dem Landwirt waren bei einem Arbeitsunfall beide Arme in T-Shirt-Ärmel-Höhe abgetrennt worden. Mit Prothesen kam er nicht zurecht.

Die Abstoßungsprophylaxe ist inzwischen reduziert worden: Der Patient erhalte Tacrolimus, Mycophenolatmofetil und ein Glukokortikoid in niedrigen Dosierungen, ähnlich einer Erhaltungstherapie nach Nierentransplantation, sowie topisch Tacrolimus. Drei Abstoßungsepisoden hat er überstanden sowie eine Pneumokokken-Pneumonie.

"Es war uns immer klar, dass wir mit der Transplantation zweier kompletter Arme wissenschaftliches Neuland betreten", sagte Höhnke. Unklar sei, wie solch komplexes, vaskularisiertes Spendergewebe bis zur Durchblutung durch den Empfänger optimal konserviert werden könne und welches das beste Immunsuppressionsregime sei.

Bei 36 Patienten wurden bisher Hände verpflanzt

Mit Handtransplantationen haben Mediziner inzwischen etwas mehr Erfahrung: Bei 36 Patienten sind weltweit Handtransplantationen dokumentiert, zum Teil beidseitig, berichtete Dr. Stefan Schneeberger vom Universitätshospital in Innsbruck. Vier Patienten haben dort Hände allogener Spender erhalten. Der erste vor neun Jahren operierte Mann hat seine Feinmotorik auch in den Fingern wiedererlangt, er kann etwa einen Kugelschreiber auseinandernehmen und wieder zusammensetzen.

Allerdings gebe es auch unerwünschte Langzeitfolgen wie Diabetes mellitus, Hyperlipidämie, Infektionen mit dem Zytomegalie-Virus oder anhaltenden Kopfschmerz. Ein Ziel müsse daher sein, künftig medikamentensparende Therapieregime auch bei Patienten mit fremden Händen zu erproben. Einer der Innsbrucker Patienten erhält zum Beispiel nur Tacrolimus als Erhaltungstherapie.

Von fünf Patienten, denen vom Team um den Pionier Professor Warren E. Breidenbach aus Louisville in den USA neue Hände übertragen wurden, musste ein Transplantat 278 Tage nach der Operation amputiert werden: Blutgefäße waren fibrosiert und verstopft mit der Folge einer irreversiblen Ischämie. Alle anderen Patienten hätten gute Transplantatfunktionen, allerdings auch eine Arteriopathie mit Verdickung der Gefäßwände. "Je weniger intensiv die Immunsuppression, desto ausgeprägter die Gefäßveränderungen", berichtete Kaufmann. Bislang sei unklar, ob diese Folge von chronischen Abstoßungsreaktionen seien.

Solche Gefäßveränderungen ließen sich bereits früh bei Biopsien im allogenen Muskelgewebe nachweisen, zur engmaschigen Beobachtung müsste jedoch Ultraschall bevorzugt werden. In Louisville wird derzeit ein Ultraschallmikroskop erprobt, mit welchem sich nicht-invasiv die Gefäßdicke genau bestimmen lässt: Die Auflösung beträgt bis zu 30 Mikrometer.

Am Klinikum rechts der Isar sollen weitere Transplantationen dieser Art erfolgen, wenn der Verlauf beim ersten Patienten weiter so positiv bleibt. Möglicherweise sei zu klären, wer für die Allokation von Extremitäten zuständig sei, sagte Professor Günter Kirste von der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO). Die DSO hatte bei der Spender-Suche unterstützt. Hände und Arme gelten nicht als Organe, sondern als vaskularisierte Gewebe. Sie könnten in den Regelungsbereich des Gewebegesetzes fallen.

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