Patientensteuerung

Nicht naiv ins Ausland schielen!

Modelle der Patientensteuerung sind in vielen EU-Staaten aus purer finanzieller Not geboren. Deutschland solle bei der Adaption vorsichtig sein, mahnte ein EU-Gesundheitsexperte.

Florian StaeckVon Florian Staeck Veröffentlicht:

STUTTGART. Bei dem Versuch, die Versorgung von Patienten zu steuern, sollte nicht zu unbedarft nach "Vorbildern" im EU-Ausland Ausschau gehalten werden. Davor hat Dr. Günter Danner, stellvertretender Direktor der Europavertretung der Deutschen Sozialversicherung, beim Landeskongress Gesundheit in Baden-Württemberg gewarnt. Der Kongress widmete sich ganz der Frage, wie Behandlungsprozesse der Zukunft aussehen.

Hohe Freiheitsgrade in Deutschland

Das deutsche Gesundheitssystem, so Danner, zeichne sich durch – im europäischen Vergleich – hohe Freiheitsgrade aus, und zwar hinsichtlich der ärztlichen Vielfalt wie der freien Arztwahl durch die Patienten. In den meisten Nachbarstaaten hingegen sei ein direkter Zugang zum Facharzt ebenso unbekannt wie der Arzt als freier Beruf, erinnerte Danner.

Der Ökonom gab zu, das deutsche Modell der Krankenversicherung habe Schwächen und trage "durchaus chaotische Züge". Doch es könne zu Fehlschlüssen führen, wenn allzu unvermittelt aus dem Ausland Modelle der Patientenversorgung adaptiert werden. "Das gilt erst recht in blühenden Landschaften wie Baden-Württemberg", so Danner.

Das Steuern der medizinischen Versorgung sei immer nicht nur ein lenkender, sondern auch ein begrenzender Vorgang. Gerade steuerfinanzierte Gesundheitssysteme zeichneten sich durch eine Vielzahl von Dirigismen aus, erinnerte Danner. Diese beträfen geringere Freiheitsgrade für Patienten ebenso wie niedrigere Standards beim Sozialdatenschutz.

Vor diesem Hintergrund appellierte Danner in Stuttgart an die Vertreter aus Politik und Selbstverwaltung, kritisch zu fragen, wie viel Strukturverlust durch mehr Patientensteuerung man bereit sei, im deutschen Gesundheitswesen hinzunehmen.

Ohnehin müssten die ökonomischen Perspektiven einer stärkeren Patientensteuerung vor dem Hintergrund einer seit langem bekannten Tatsache gesehen werden: 20 Prozent der Patienten in der Gesetzlichen Krankenversicherung verursachten rund 80 Prozent der Kosten, erinnerte Danner. Hierbei handele es sich ganz überwiegend um schwer- oder schwerstkranke Menschen, die in weiten Teilen der Versorgung ohnehin keine freie Wahl mehr hätten.

Deutscher "Sonderweg"

Danner sieht das Sozialstaatsmodell in Deutschland im Vergleich zu den meisten anderen EU-Gesundheitssystemen als "Sonderweg" – und die Systeme entwickelten sich in Europa seit der Finanz- und Schuldenkrise "diametral auseinander". Steuerfinanzierte Gesundheitssysteme habe diese Krise ungemein härter getroffen als das "Bismarck"-Modell. Denn dort werde am Kabinettstisch entschieden, wie viel Geld für Pflege und Gesundheit zur Verfügung stehen. Und in Krisenstaaten wie Griechenland sei jeder dritte Einwohner auf "Barmherzigkeitsmedizin" angewiesen. Für viele Bürger in EU-Mitgliedsländern sei die deutsche Gesundheitsversorgung ein "Wunschmodell", so Danner.

Das deutsche Gesundheitssystem wäre für viele EUBürger ein Wunschmodell.

Dr. Günter Danner Stellvertretender Direktor der Europavertretung der Deutschen Sozialversicherung

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