Bayern

Pflege als Beitrag zur Wertschöpfung

Personaluntergrenzen, Tarifvertrag, Kapazität, Qualität – die Pflege muss an allen Ecken und Enden aufgemöbelt werden, sind sich Experten einig. Aufnahmestopps und Unterbesetzung in Heim und Klinik mahnen zur Eile.

Von Christina Bauer Veröffentlicht:

MÜNCHEN. Zu wenig Kapazitäten für zu viele Pflegepatienten, Tendenz sich verschlechternd. "Ein zeitweiser Aufnahmestopp in Pflegeheimen ist leider auch in Bayern keine Ausnahme mehr", sagte der alternierende Vorstand des Verwaltungsrats der AOK Bayern, Matthias Jena, bei einem Pflege-Fachtag der AOK.

Allein in diesem Bundesland seien 2000 Stellen unbesetzt. Das auf Bundesebene beschlossene Pflegepersonalstärkungsgesetz und das in Bayern dieses Jahr verabschiedete Pflegepaket gingen in die richtige Richtung.

Zudem müsse aber ein einheitlicher Tarifvertrag erreicht werden, wie derzeit von der Gewerkschaft verdi angestrebt. Das sei besonders für die Altenpfleger wichtig, die im Gegensatz zu Krankenpflegern weit schlechter bezahlt würden.

"Strukturen in der Pflege ändern"

Dr. Klaus Wingenfeld, Geschäftsführer des Instituts für Pflegewissenschaft der Universität Bielefeld, stellte fest, mehr Geld allein reiche nicht. Man müsse "Strukturen ändern", damit sinnstiftende Arbeit gelinge. Pflege müsse sich im Sinne einer Problemlösung an wechselnden Patientenbedarfen orientieren. Die bestünden neben körperlichen Aspekten oft etwa auch in der Bewältigung von Krisen oder seelischen Belastungen.

Wie Johanna Sell, Bereichsleiterin Pflege beim MDK Bayern, hervorhob, müsse zudem mehr für die Qualität getan werden. Die nach aktuellen Qualitätsmessungen berichtete Note 1,3 für bayerische Heime und Dienste sei zu hinterfragen.

"So uneingeschränkt großartig ist die Pflegequalität in bayerischen Einrichtungen leider nicht", sagte Sell. Das Problem einer sinnvollen Qualitätsmessung sei weiter ungelöst.

Neue Prüfungsverfahren müssten möglichst bald implementiert werden. "Da braucht es dringend Änderung", so Sell. Allein der MDK habe im Jahr 2017 insgesamt 461 Beschwerden zu Qualitätsmängeln erhalten. Diese stammten nicht nur von Pflegebedürftigen und Angehörigen, sondern auch von Mitarbeitern.

In 110 Fällen habe es wegen der Schwere der Kritik eine zeitnahe Anlassprüfung gegeben, wovon sich 62 ganz oder teilweise bestätigt hätten. Das seien "bedenkliche Zahlen". Ferner resultiere fast jede Regelprüfung in Empfehlungen für Verbesserungen.

Ständig wachsende Anforderungen

Der bayerische Patienten- und Pflegebeauftragte Hermann Imhof wies auf die hohe Belastung professionell Pflegender hin. Sowohl in der Altenpflege als auch in der Krankenpflege zeigten sich immer mehr die Folgen der ständig wachsenden seelischen und körperlichen Anforderungen. "Wir muten den Pflegekräften zu, dass sie jeden Tag mit dem Kopf unterm Arm nach Hause kommen", resümierte Imhof.

Die zu geringen Personalkapazitäten seien eine Folge jahrzehntelangen Spardrucks. Aus ökonomischer Sicht sei zu oft der Trugschluss erfolgt, an der Pflege ließe sich gut sparen. Damit es hier ein Umdenken gebe, müssten die Verantwortlichen "Pflege als Beitrag zur Wertschöpfung verstehen".

Irene Maier, Vizepräsidentin des Deutschen Pflegerates, lobte die beschlossenen Gesetzesänderungen. Deren Umsetzung müsse aber aufmerksam begleitet werden. So solle es ab 2020 für Pflegebudgets eigene Verhandlungen geben, was ein Fortschritt sei im Vergleich zum bisherigen DRG-System.

Welche Berufe einbezogen würden, und auf der Basis welchen Tarifs verhandelt werde, sei aber noch unklar. Ebenfalls seien die Personaluntergrenzen zu begrüßen, die ab Anfang 2019 gelten sollen.

Festlegungen bringen Risiken mit sich

Für Intensivpflege, Geriatrie, Kardiologie und Unfallchirurgie gebe es nun Festlegungen. Die brächten zugleich aber Risiken mit sich. So könnte der Schlüssel von einer Pflegekraft für zwei Patienten in der Intensivpflege dazu führen, dass Intensivpatienten zu schnell auf andere Stationen verlegt würden.

Insgesamt bestehe die Gefahr, dass Patienten von Stationen mit Fachkräfteschlüssel wegverlegt würden. "Wir haben die Sorge, dass wir ein Stationsnomadentum entwickeln", so Maier.

Zudem müsse klar sein, dass die Untergrenzen nur ein Mindestmaß seien, um Gefahr von Patienten abzuwenden. Orientierung für die Versorgung müsse aber sein, dass es so viele Fachkräfte gebe, dass die Patienten bedarfsorientiert versorgt würden.

Davon sei die Pflege derzeit meilenweit entfernt. "Aus Sicht des Deutschen Pflegerates fehlen in Deutschland mindestens 100.000 Stellen", sagte Maier.

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