Prozessauftakt

Berliner Arzt wegen Sterbehilfe-Fall vor Gericht

Ärztliche Hilfe zum Suizid ist straffrei, wenn jemand aus freiem Willen sterben will. Was aber, wenn jemand eine schwere psychische Erkrankung hat? Ist dann eine freie Entscheidung noch möglich?

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Berlin. Vor dem Berliner Landgericht beginnt am Dienstag ein Prozess gegen einen Arzt wegen unzulässiger Beihilfe zum Suizid. Dem 74-Jährigen wird vorgeworfen, in zwei Fällen einer schwer depressiven Frau Medikamente zur Selbsttötung überlassen zu haben. Während der erste Versuch im Juni 2021 fehlschlug, starb die Frau beim zweiten Versuch wenige Wochen später. Anfang Februar hatte das Landgericht Essen in einem ähnlichen Fall einen Arzt zu drei Jahren Gefängnis verurteilt.

Ärztliche Beihilfe zum Suizid ist straffrei, wenn die Entscheidung des Sterbewilligen freiverantwortlich gefallen ist. Nach Ansicht der Berliner Staatsanwaltschaft war dem Angeklagten aber bewusst, dass die Frau aufgrund ihrer psychischen Erkrankung zur freien Willensbildung nicht in der Lage gewesen sei. Die Anklage lautet unter anderem auf Totschlag in mittelbarer Täterschaft. Das Gericht hat bis zum 26. März zehn Verhandlungstage angesetzt.

Schon einmal wegen Sterbehilfe freigesprochen

Laut Anklage überließ der Arzt der Frau im Juni 2021 in ihrer Berliner Wohnung 80 Tabletten mit einem tödlichen Wirkstoff, die sie in seinem Beisein eingenommen habe. Der Angeklagte sei auch nach der Einnahme in der Wohnung der Frau geblieben. Die Frau habe aber überlebt, da sie die Tabletten wenige Stunden nach der Einnahme erbrochen habe. Am 12. Juli 2021 habe er der Frau dann in einem Hotelzimmer eine Infusion mit einem anderen tödlich wirkenden Medikament gelegt. Die Frau habe die Infusion selbst in Gang gesetzt. Kurz darauf sei sie daran gestorben.

Der Angeklagte musste sich bereits 2018 vor dem Berliner Landgericht in einem Prozess wegen unterlassener Hilfeleistung verantworten, nachdem er einer Patientin ein Mittel zur Selbsttötung verschafft hatte und keine Rettungsmaßnahmen nach der Einnahme in seinem Beisein unternahm. Der Prozess endete damals mit einem Freispruch, der ein Jahr später auch vom Bundesgerichtshof nochmals bestätigt wurde.

Das Bundesverfassungsgericht hatte im Februar 2020 ein weitreichendes Recht auf selbstbestimmtes Sterben postuliert und die Tätigkeit von Sterbehilfevereinen wieder zugelassen. Zugleich diskutiert die Politik derzeit, wie verhindert werden kann, dass sich Menschen auf äußeren Druck hin oder durch Depressionen das Leben nehmen. (KNA)

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