Berliner Gesundheitspreis

Gesundheit lässt sich lernen

Menschen mit einer eingeschränkten Gesundheitskompetenz ernähren sich ungesünder als andere, rauchen häufiger und werden früher und öfter chronisch krank. Drei Projekte, die die Gesundheitskompetenz fördern sollen, erhielten jetzt den Berliner Gesundheitspreis 2019.

Von Taina Ebert-Rall Veröffentlicht:
Der 3. Platz ging an die „Patientenuni“ der MHH, die laienverständlich Medizinwissen vermittelt.

Der 3. Platz ging an die „Patientenuni“ der MHH, die laienverständlich Medizinwissen vermittelt.

© AOK Bundesverband

BERLIN. „Gesundheit lässt sich lernen“ lautete das Motto des Berliner Gesundheitspreises 2019. Insgesamt 50.000 Euro gingen an Projekte, die nach Überzeugung der unabhängigen Jury mit innovativen Ansätzen die Gesundheitskompetenz in der Bevölkerung stärken und es den Menschen erleichtern, Gesundheitsinformationen aktiv zu nutzen.

Den Sieg und damit ein Preisgeld von 25.000 Euro errang „Was hab‘ ich?“ für seine Krankenhaus-Entlassbriefe, die laut Firmengründer Ansgar Jonietz „Medizinerlatein in Patientendeutsch“ übersetzen. Das Team von „Was hab‘ ich?“ hat dafür eine innovative Software entwickelt, mit der Kliniken individuelle, verständliche Patientenbriefe automatisiert erstellen können.

Denn gerade nach einer stationären Behandlung ist es für Patienten wichtig zu wissen, welche Diagnose vorliegt und wie sie sich im Interesse der Gesundheit verhalten sollten. Zwar werden diese Themen in der Regel auch im Entlassgespräch erläutert.

Doch eigene Erhebungen haben gezeigt, dass sich viele Menschen bereits unmittelbar nach einem Arztgespräch an bis zu 80 Prozent der dabei besprochenen Inhalte nicht mehr erinnern können. Gefragt sind deshalb verständliche Informationen, die Patienten in die Lage versetzen, auf Augenhöhe mit den behandelnden Ärzten zu sprechen.

Studenten übersetzen Arztbriefe

Die Preisträger 2019

Seit 1995 wird der Berliner Gesundheitspreis vom AOK-Bundesverband, der Ärztekammer Berlin und der AOK Nordost alle zwei Jahre vergeben. Die Preisträger in diesem Jahr:

  • Platz 1 – mit einem Preisgeld von 25.000 Euro: https://washabich.de/
  • Platz 2 – mit einem Preisgeld von 15.000 Euro: ScienceKids, Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung, Kontakt: Melanie Macias Alvarez, (071 41)140-640
  • Platz 3 – mit einem Preisgeld von 10.000 Euro: www.patienten-universitaet.de

Weitere Infos zum Berliner Gesundheitspreis unter: www.aok-bv.de/engagement/berliner_gesundheitspreis/

Ansgar Jonietz gründete dazu 2011 gemeinsam mit zwei befreundeten Medizinstudierenden die Internetplattform „Was hab‘ ich?“. Patienten können hier ärztliche Befunde und andere medizinische Dokumente hochladen, Ärzte und speziell geschulte Medizinstudierende höherer Semester übersetzen die Unterlagen kostenlos in eine laienverständliche Sprache.

Mittlerweile ist aus dem studentischen Start-up eine gemeinnützige GmbH geworden, die sich auf vielfältige Weise für mehr Verständlichkeit im Gesundheitswesen engagiert. Die vom Gewinnerteam entwickelte automatisierte Lösung kann bundesweit ohne viel Aufwand in allen Krankenhäusern eingesetzt werden.

Der zweite Platz, prämiert mit 15.000 Euro, ging an das Projekt ScienceKids. In diesem Programm finden Schülerinnen und Schüler durch Selbermachen, Experimentieren und Ausprobieren selbst Antworten auf Fragen zu gesunder Ernährung, Bewegung und seelischem Wohlbefinden.

Mittlerweile wird das Programm in rund 1000 Schulen in Baden-Württemberg eingesetzt und ist eine ideale Möglichkeit, das Thema Gesundheit über die regulären Unterrichtsfächer in den Schulalltag zu integrieren. ScienceKids wurde 2006 vom Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg, dem Zentrum für Schulqualität und Lehrerbildung sowie der Stiftung Sport in der Schule gemeinsam mit Wissenschaftlern, Lehrkräften, Eltern und Schülern entwickelt.

Ein Preisgeld von 10.000 Euro erhielt die drittplatzierte „Patientenuniversität“ an der Medizinischen Hochschule Hannover. Sie hat es sich seit ihrer Gründung 2007 zur Aufgabe gemacht, mit Vorlesungen und Aktionen laienverständliches Wissen zu vermitteln.

Welche Impfungen brauche ich? Wie macht sich eine Depression bemerkbar? Und was kann ich gegen Arthrose tun? – so lauten Titel der Vorlesungen, die an der Patientenuni angeboten werden. Davon profitieren vor allem Menschen mit eher geringer Bildung, wie eigene Erhebungen der Patientenuniversität zeigen. Bislang haben mehr als 50.000 Teilnehmer die Veranstaltungen besucht.

Insgesamt 41 Projekte aus dem ganzen Bundesgebiet hatten sich für den Berliner Gesundheitspreis beworben. „Alle Menschen wollen möglichst lange gesund leben. Mehr denn je braucht es dazu individuelle Gesundheitskompetenz. Wenn sie nicht vorhanden ist, belastet dies auch das Gesundheitswesen. Deshalb liegt uns und vielen anderen Akteuren sehr am Herzen, dass die Menschen leicht verständliche Informationen über ihre Gesundheit erhalten.

Dazu gehört die Motivation, diese Informationen in ihren Alltag zu übernehmen“, sagte Daniela Teichert, designierte Vorstandsvorsitzende der AOK Nordost über ihr Engagement beim Berliner Gesundheitspreis. „Mit unserem aus Patientensicht entwickelten Digitalen Gesundheitsnetzwerk wollen wir Nutzern deshalb künftig auch ermöglichen, Gesundheitsinformationen leichter und besser zu verstehen.“

Litsch: „Nachahmen ist erwünscht“

Für Martin Litsch, Vorstand des AOK-Bundesverbandes, liegt eines der wichtigsten Ziele des Berliner Gesundheitspreises darin, gute Ideen und funktionierende Ansätze stärker bekannt zu machen: „Nachahmen ist beim Berliner Gesundheitspreis nicht nur erlaubt, sondern ausdrücklich erwünscht. Um die Gesundheitskompetenz in der Bevölkerung zu erhöhen, brauchen wir noch viel mehr gute Angebote. Immerhin fällt es jedem zweiten Menschen in Deutschland schwer, Gesundheitsinformationen zu finden und zu verstehen. Die AOK engagiert sich für dieses Ziel unter anderem beim Nationalen Aktionsplan Gesundheitskompetenz, dessen Schirmherrschaft das Bundesgesundheitsministerium innehat.“

Interview: Wir müssen in Kompetenzen investieren

Ärzten fehlt oftmals schlicht die Zeit fürs Nachhaken, so Berlins Ärztekammerchef Dr. Günther Jonitz. Daher seien Kommunikationstrainings so wichtig.

Herr Jonitz, welche Stolpersteine erschweren die Kommunikation zwischen Arzt und Patient?

Dr. Günther Jonitz: Zeitmangel und Verständigungsprobleme. Die Arzt-Patienten-Kommunikation ist sehr wichtig, damit eine erfolgreiche Therapie besprochen und durchgeführt werden kann. In unserem immer stärker regulierten Gesundheitswesen hapert es daran, dass Ärzte genug Zeit haben, um sich in Ruhe mit den kranken Menschen zu befassen, und dass das auch honoriert wird.

Gleichzeitig müssen alle Gesundheitsberufe schon in der Ausbildung besser darauf vorbereitet werden, wie man mit Patienten verständlich spricht. Kommunikation kann und sollte gelernt werden. In der Medizinerausbildung ist das bereits verankert, die ärztlichen Weiterbildungsordnungen legen gerade nach. Diese Kurse sind sehr beliebt.

Was bedeutet das für den Versorgungsalltag?

Jonitz: Die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit ist groß. Natürlich kann man sich in der zur Verfügung stehenden Zeit um eine patientenverständliche Sprache bemühen. Aber oft fehlt die Zeit, nachzufragen, ob das Gesagte auch verstanden wurde. Wenn Therapien nicht zum Erfolg führen, ist das für beide Seiten unbefriedigend. Wir müssen darum in Menschen, Kompetenzen, Systeme und Kultur investieren!

Wie können die Gesundheitsberufe die Gesundheitskompetenz der Patienten stärken?

Jonitz: Wenn Menschen früh an das Thema herangeführt werden, kann man chronischen Krankheitskarrieren vorbeugen. Es muss mehr Zeit für das Gespräch möglich gemacht werden, auch im Team der Versorgung und gerade bei chronisch Kranken. Schriftliche Informationen in verständlicher Sprache, evidenzbasiert und auf die individuellen Probleme der Patienten zugeschnitten, müssen verfügbar gemacht werden.

Das Gleiche gilt für Apps, die den Patientinnen und Patienten helfen, sich besser zurechtzufinden, und die direkte Kommunikation mit dem Arzt erleichtern. Patientenschulungen in Gruppen können helfen, sich gemeinsam besser zu verhalten und sich gegenseitig zu unterstützen. (Heller-Jung)

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