Sturz-Prävention bei Senioren

Hüpfen und Einbeinstand halten fit

Einfache Übungen wie Treppensteigen oder auf einem Bein Zähneputzen können ohne zusätzlichen Zeitaufwand die Beweglichkeit alter Menschen erhöhen und die Sturzgefahr senken. Das Konzept soll nun auf Personen ab 60 Jahren ausgedehnt werden.

Von Thomas Müller Veröffentlicht:
Bereits vor einigen Jahren haben australische Forscher ein Programm entwickelt, das ältere Menschen dazu animieren will, mehr Bewegung in ihren Alltag zu integrieren – mit Erfolg.

Bereits vor einigen Jahren haben australische Forscher ein Programm entwickelt, das ältere Menschen dazu animieren will, mehr Bewegung in ihren Alltag zu integrieren – mit Erfolg.

© Jenny Sturm /stock.adobe.com

FRANKFURT / MAIN. Sport ist ein Begriff, der viele Menschen einschüchtert. Dabei wäre es gerade im Alter wichtig, sich möglichst viel zu bewegen, um dem Muskelabbau entgegenzuwirken, die körperliche Funktionsfähigkeit zu erhöhen, die Balance zu erhalten und damit das Sturzrisiko zu senken. Wer ältere Menschen zu mehr körperlicher Aktivität bewegen will, darf jedoch nicht erwarten, dass sie von einem Tag auf den anderen mit Joggen, Radfahren oder Wandern beginnen – diese Hürden sind häufig zu hoch. Gefragt sind daher niederschwellige Angebote, die zudem nicht viel Zeit und Geld kosten.

Vor einigen Jahren haben australische Forscher ein Programm entwickelt, das ältere Menschen dazu animieren will, mehr Bewegung in ihren Alltag zu integrieren. Ihr "Lifestyle Integrated Functional Exercise Program", kurz LiFE, hat sich in Studien durchaus bewährt: Das Sturzrisiko ließ sich damit um etwa ein Drittel senken (wir berichteten).

Die Übungen wurden jedoch für Menschen über 70 Jahre konzipiert – in diesem Alter machen sich funktionelle Einschränkungen oft deutlich bemerkbar. Besser wäre es jedoch, ältere Menschen würden schon mit dem Training beginnen, bevor sie hinfallen oder ihren Alltag nicht mehr gut bewältigen – damit könnten sie ihre Chancen erhöhen, im Alter länger fit und unabhängig zu bleiben.

Forscher der Uni Heidelberg versuchen das LiFE-Programm daher an jüngere Ältere ab 60 Jahre anzupassen. Dazu wollen sie die Übungen zum einen so gestalten, dass sie auch körperlich noch fitten Menschen Herausforderungen bieten, zum anderen suchen sie nach Möglichkeiten, die Schulung ressourcenschonender zu gestalten – nach dem ursprünglichen Konzept besuchen qualifizierte Trainer die älteren Menschen siebenmal zu Hause und erklären ihnen, wie sie in ihrer häuslichen Umgebung am besten üben können. Will man möglichst viele Menschen mit LiFE erreichen, klappt das natürlich nicht. Einen Ausweg könnten Gruppenschulungen oder ein Training per Handy-App bieten. Solche Konzepte werden derzeit in Studienevaluiert.

Gruppentraining im Test

Auf dem Geriatriekongress in Frankfurt am Main präsentierte Carl-Philipp Jansen vom Netzwerk Altersforschung der Universität Heidelberg einen gruppenbasierten Ansatz (gLiFE) für die ursprüngliche Zielgruppe der über 70-Jährigen. Nach diesem Ansatz ist nur noch ein Hausbesuch nötig – dieser sei nötig, damit die Trainer die Übungsmöglichkeiten zu Hause überprüfen können, um dann in den Gruppensitzungen genauer darauf einzugehen, sagte Jansen. Der Ansatz wird derzeit in einer Vergleichsstudie gegen das ursprüngliche LiFE-Konzept geprüft.

An der Untersuchung, die soeben begonnen hat, sollen 300 Personen über 70 Jahre mit mindestens einem Sturz in den vergangenen zwölf Monaten teilnehmen. Geplant sind sechs Gruppentreffen innerhalb von elf Wochen mit jeweils acht bis neun Teilnehmern. Nach jeweils sechs und zwölf Monaten wird die Sturzhäufigkeit anhand eines Sturztagebuchs ermittelt. Die Forscher wollen schauen, ob das deutlich kostengünstigere Gruppentraining ähnlich effektiv wie das Einzeltraining ist.

Typische Übungen sind etwa der Tandemstand (ein Fuß vor den anderen setzen), der Tandemgang, Kniebeugen und der Einbeinstand. Die Übungen erfolgen in unterschiedlichen Schwierigkeitsstufen – mit und ohne Festhalten oder mit zeitweiligem Halt. Wichtig ist, bei Alltagstätigkeiten zu trainieren, also etwa beim Zähneputzen, beim Einräumen der Geschirrspülmaschine oder beim täglichen Spaziergang. Ziel ist eine Habitualisierung: Wer es sich angewöhnt, beim Zähneputzen immer auf einem Bein zu stehen, macht das irgendwann automatisch, ohne groß darüber nachzudenken.

Übungsvideos auf dem Smartphone

Etwas anspruchsvoller sollten die Übungen für die Generation 60 plus sein. Das für diese Gruppe angepasste LiFE-Programm (aLiFE) legt den Teilnehmern nahe, auf Zehenspitzen zu gehen, beim Treppensteigen zwei Stufen auf einmal zu nehmen, auf Spaziergängen Objekte zu überspringen oder auf einem Bein stehend den Oberkörper und das andere Bein waagerecht zu halten. Auch diese Übungen gibt es in unterschiedlichen Schwierigkeitsstufen – die Teilnehmer können sich mit der Zeit steigern.

Die Ziele sind jedoch etwas andere als beim ursprünglichen LiFE-Programm: Primär sollen die Beteiligten ihren funktionellen Abbau verlangsamen, indem sie Kraft und Balance trainieren und weniger Zeit mit sitzenden Tätigkeiten verbringen, erläuterte Dr. Michael Schwenk, ebenfalls vom Netzwerk Altersforschung in Heidelberg. Wichtig sei zudem, dass sich die jungen Alten persönliche Ziele setzten, etwa in der Lage zu sein, an einem Fitnesslauf oder einer längeren Wanderung teilzunehmen.

Das adaptierte Programm wurde in einer Pilotstudie bei 30 Personen über vier Wochen hinweg geprüft. Die Teilnehmer erhielten in dieser Zeit vier Hausbesuche von professionellen Trainern. Mit 80 Prozent war die Akzeptanz gut oder sehr gut, praktisch alle würden das Programm Bekannten weiterempfehlen, sagte Schwenk. Auf Balance- und Mobilitätsskalen konnten die Forscher zudem deutliche Verbesserungen erkennen.

Aber auch aLiFE ist kosten- und zeitintensiv. Der nächste Schritt wäre daher, der mit modernen Kommunikationsmitteln bereits vertrauten Baby-Boomer-Generation eine elektronische Variante anzubieten (eLiFE). Die Heidelberger Forscher entwickelten dazu in einem europäischen Verbundprojekt eine Smartphone- und Smartwatch-App. Darüber lassen sich nicht nur Videos abrufen, die die einzelnen Übungen erläutern, die Teilnehmer können ihre Fortschritte über die Geräte dokumentieren und die App kann an das Training erinnern oder über Bewegungssensoren die körperliche Aktivität erfassen.

Eine erste Version ist bereits in einer Pilotstudie geprüft worden. Rund 80 Prozent der Teilnehmer hielten die App für hilfreich und würden sie gerne weiterverwenden. Vor allem die Videos erhielten Zuspruch, dagegen waren die Texterläuterungen den Probanden oft zu lange. Als weiteres Manko fielen kurze Akkulaufzeiten der verwendeten Smartphones auf, zudem wurden viele Aktivitäten nicht richtig erkannt, auch war es den Teilnehmern sehr lästig, die Smartphones den ganzen Tag mit sich herumzuschleppen, so Schwenk. Die Forscher haben die App daraufhin gründlich überarbeitet. Seit März wird das eLiFE-Konzept in einer Studie gegen aLiFE und eine Kontrollgruppe mit schriftlichen Empfehlungen für mehr Bewegung verglichen. 181 Personen im Alter zwischen 60 und 70 Jahren nehmen an drei europäischen Studienzentren teil. Sollte sich eLiFE bewähren, könnte sich in naher Zukunft vielleicht jeder Interessent die entsprechende App auf sein Smartgerät laden und mit dem Training loslegen.

gLIFE

Der gruppenbasierte Ansatz richtet sich an Ältere über 60 Jahre und wird derzeit in einer Vergleichsstudie gegen das ursprüngliche, für über 70-Jährige konzipierte LIFE- Programm geprüft.

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