"100 000 Jahre Sex" - Prüderie war für unsere Vorfahren ein Fremdwort

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Vom steinzeitlichen Fruchtbarkeitssymbol über römische Lampen mit erotischen Motiven bis zum mittelalterlichen Keuschheitsgürtel: Unter dem Titel "100 000 Jahre Sex" macht das Hamburger Helms-Museum bis zum 16. Januar eine Reise durch die Kulturgeschichte der Sexualität.

"Wir wollen zeigen, wie der Mensch in der Vergangenheit auf sehr unterschiedliche Weise mit Sexualität umgegangen ist", sagt der Direktor des Museums, Professor Rainer-Maria Weiss. Zu sehen sind etwa 260 Objekte von über 60 Leihgebern aus acht Ländern. Nach Hamburg ist die Schau noch in Dresden und Frankfurt sowie in Dänemark und Italien zu sehen.

Griechen hatten unkompliziertes Verhältnis zur Sexualität

"Heute sind viele der Ansicht, daß wir nach der sexuellen Revolution der 60er und 70er Jahre die sexuelle Freiheit gepachtet haben", sagt Weiss. "Aber tatsächlich haben wir nur das Joch der Prüderie abgeworfen, das unsere Vorfahren sich selbst auferlegt haben."

Vor allem die Griechen hatten ein völlig unkompliziertes Verhältnis zur Sexualität, überall in der Stadt waren Standbilder errichtet, die den Körper in seiner Schönheit verherrlichten. Weiss: "Sex und sexuelle Handlungen dienten dem Lustgewinn und dem Vergnügen, nicht ausschließlich der Fortpflanzung." Zu sehen sind Phallusamulette, die Glück bringen sollten, erotische Szenen auf Vasen und Tellern und Figuren in eindeutigen Positionen.

Einen besonderen Einblick in das ebenfalls freizügige Leben der Römer bieten die Wandgemälde aus dem untergegangenen Pompeji. "Es war selbstverständlich, daß Männer ins Bordell gingen oder sich Sklavinnen hielten", sagt Weiss. Münzen mit Nummern, auf denen verschiedene Sexstellungen zu sehen sind, machten angeblich in den Freudenhäusern die Runde.

Auch Wandschmierereien, heute würde man Graffiti sagen, wurden in einem römischen Bordell entdeckt. "Hier habe ich mit einer Dame mit wollüstiger Hinterbacke die Nacht verbracht", hat da ein Römer in die Wand gekritzelt.

Solche Sprüche und Zeichnungen waren in früheren Zeiten nicht mit dem Bild der Klassik zu vereinbaren. "All diese archäologischen Fundstücke wurden strengstens unter Verschluß gehalten", so Weiss. Aufbewahrt wurden sie in geheimen Archiven wie dem Gabinetto Segreto in Neapel und dem Secret Cabinet im britischen Museum. Auch mit der christlichen Moral war Sexualität nicht vereinbar.

Die Ausstellung zeigt das Bußbuch des Burchard von Worms aus dem Jahr 1000, in dem Priester Anleitungen erhalten, welche Art der Buße sie für sexuelle Handlungen aussprechen sollen. Ob tatsächlich jemals ein Ritter seiner holden Angetrauten einen Keuschheitsgürtel angelegt hat, bleibt dagegen fraglich. "Alle Keuschheitsgürtel, die wir kennen, stammen aus dem 19. Jahrhundert", meint Weiss.

Phallus-Darstellung in der Latrine einer Äbtissin gefunden

Daß die Schäfchen nicht immer so artig waren, wie es die öffentliche Moral wollte, zeigen unter anderem Studien mit eindeutigen Gebärden von Albrecht Dürer und Pilgerabzeichen mit erotischem Inhalt. In einem Kloster in Nordrhein-Westfalen fanden Archäologen sogar ein Trinkgefäß in Phallusform in der Latrine einer Äbtissin.

Im Frankreich von Ludwig XIV. wahrte man ebenfalls nur nach außen die Etikette. Für erheblichen Wirbel sorgte im 19. Jahrhundert die Veröffentlichung der Briefe von Madame Gourdan. Sie war im 18. Jahrhundert eine der bekanntesten Bordellbesitzerinnen in Paris, und auch Könige und Geistliche gehörten zu ihren Kunden. (dpa)

Weitere Informationen im Internet unter www.helmsmuseum.de

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