Mit Bewegung gegen die Wohlstandsbäuche

Mehr Menschen hat kaum eine Sportkampagne erreicht: Die Aktion "Trimm dich" des Deutschen Sportbundes wird am heutigen Dienstag 40 Jahre alt. An Trimmstationen, bei Trimmspiralen und auf Trimmpfaden sollten die Deutschen für den Breitensport begeistert werden.

Von Rebecca Beerheide Veröffentlicht:
Mit der Aktion Trimm Dich sollten Menschen für Sport begeistert werden. © dpa

Mit der Aktion Trimm Dich sollten Menschen für Sport begeistert werden. © dpa

© dpa

Ein lockerer Waldlauf, alle 300 Meter Turn- und Gymnastikübungen oder ein paar Klimmzüge an einer Eisenstange - so sollten die Wohlstandsbäuche der gestressten Büroarbeiter Anfang der 1970er Jahre abtrainiert werden. Die Bewegungskampagne "Trimm Dich" wurde vor 40 Jahren am 16. März 1970 vom Deutschen Sportbund gestartet. Und sie war bis in die 1990er Jahre sehr erfolgreich: Trimm Dich kannten laut dem Meinungsforschungsinstitut Emnid bis zu 93 Prozent der Deutschen - Werte, von denen Macher von Werbekampagnen oft nur träumen.

Beliebt war auch die dazugehörige Symbolfigur "Trimmy" - und zwar quer durch alle Alters- und Berufsgruppen. "So ein Wurf wie Trimmy gelingt nur einmal im Leben", bilanziert die Berliner Public Health-Forscherin Verena Mörath in einer Analyse der Aktion.

Mit der Kampagne wollte der Deutsche Sportbund, der heute Deutscher Olympischer Sportbund (DOSB) heißt, mehr Menschen in die Sportvereine locken. In den Sportvereinen waren mehr Männer als Frauen aktiv, obwohl laut einer Umfrage des Allensbach-Instituts von 1968 sich 68 Prozent der Bevölkerung dafür interessierten, selbst Sport zu treiben. Doch nur 16 Prozent taten es regelmäßig. Die Kampagne sollte denen, die noch nie Sport gemacht haben, die Angst davor nehmen.

Einfache Werbesprüche, große Wirkung

Mit einfachen Slogans wie "Lauf mal wieder" oder "Schwimm mal wieder" wurden Interessierte ab 1970 motiviert, mehr für die körperliche Fitness zu tun. In den folgenden Jahren warben die Slogans "Trimm Dich am Feierabend", "Trimmer erleben was" oder "Trimmer haben eine gute Figur" für den alltäglichen Sport. Symbolfigur für die Aktion war "Trimmy", ein kleiner, unscheinbarer Bursche, ein Durchschnittstyp, der aktiv Sport treibt. Mit der Zeit wurden verschiedene weitere Angebote der Trimm-Dich-Kampagne entwickelt: Die Trimmspirale, die Trimmspiele und der Lauf-Treff. An Autobahnraststätten entstanden Trimmstationen, Gemeinden und Sportvereine veranstalteten die Trimmwochen. Die Trimmspirale sollte als Auszeichnung für fleißige Trimmer gelten, die Punkte in 23 Sportarten sammeln konnten und dafür eine Urkunde sowie eine Anstecknadel erhielten. Als pädagogisch sinnvoll aber völlig unwissenschaftlich bezeichnen die damals Verantwortlichen die Aktion heute.

Untrennbar mit der Trimm-Dich-Aktion ist der Trimmpfad verbunden - obwohl der Pfad nie ein Teil der Sportbund-Kampagne war. Entwickelt wurde der "Vitaparcour" von der Zürcher Lebensversicherung "Vita". An unterschiedlichen Stationen auf einer Waldstrecke sollten kurze Sportübungen das Training optimieren. Zeitgleich zur Trimm-Dich-Aktion schickte die Versicherung an Kommunen Schilder und Anleitungen für Übungsgeräte - was den Effekt hatte, dass die Kommunen den Sportbund als Urheber ansahen und ihn verpflichten wollten, für die Instandhaltung der Anlagen aufzukommen. Der Sportbund reagierte: Er regte Freizeitsportanlagen im Wald unter dem Namen "Trimmpark" an. Die Übungen wurden von sportwissenschaftlicher Seite als sinnvoller betrachtet als das Konzept des Trimmpfads. Doch der Name "Trimmpfad" hat sich erhalten.

Sport im Freien und für jeden: Die Begeisterung für Sport im Wald auf den Trimm-Dich-Pfaden war 1976 in jeder Bevölkerungsschicht groß. © imago

Sport im Freien und für jeden: Die Begeisterung für Sport im Wald auf den Trimm-Dich-Pfaden war 1976 in jeder Bevölkerungsschicht groß. © imago

© imago

Beliebt waren auch die Lauf-Treffs, die seit dem Start 1975 vom AOK-Bundesverband gefördert wurden: Hier konnte jeder ohne Voranmeldung oder Vereinsmitgliedschaft ein paar Mal in der Woche mitlaufen. Je nach Leistungsniveau wurden die Teilnehmer in unterschiedliche Programme eingewiesen. Das Trainingsziel: Eine Stunde mit oder ohne Gehpausen durchhalten. Daraus entwickelte sich auch der Kampagnen-Slogan "Ein Schlauer trimmt die Ausdauer".

Gesundheitsförderung stand in den ersten zehn Jahren der Kampagne nicht im Vordergrund. Das änderte sich in den 1980er Jahren: Unter dem Slogan "Trimming 130 - Bewegung ist die beste Medizin" startete der Deutsche Sportbund Aktionen, bei denen auch die Bundesärztekammer, der Deutsche Sportärztebund, die AOK und die Barmer Ersatzkasse kooperierten. Bei den Übungen sollte ein Puls von 130 erreicht und auf dem Niveau weiter trainiert werden.

Doch wurden die Deutschen wirklich zu mehr Sport ermutigt? Vergleicht man die Ergebnisse der Forschungsinstitute Allensbach und Emnid, so wird laut Wissenschaftlerin Mörath deutlich, dass die Aktion zwischen 1970 und 1975 diesen Effekt nicht hatte. Bei einem Bekanntheitsgrad von 93 Prozent gaben nur 13 Prozent an, regelmäßig am Trimmen teilzunehmen. Ein Ziel hat die Aktion aber dennoch erreicht: Laut Sportbund wurden Frauen deutlich stärker zum Trimmen angeregt als Männer.

Ohne kostenlose Werbeplätze in Zeitungen und im Fernsehen hätte die Kampagne nicht den Bekanntheitsgrad erreicht. Denn der Sportbund hatte zunächst wenig Geld in der Kasse. Daher wurde früh auch auf eine umfangreiche Kooperation mit Förderern aus der Wirtschaft gesetzt. Der Sportbund selbst produzierte im Laufe der Jahre Broschüren, die Auflagen von über zehn Millionen erreichten. Prominente Zugpferde waren unter anderem Frank Elstner und Udo Jürgens.

Dabei ist es interessant, dass der Sportbund seine jahrelange Kampagne kaum evaluierte. Es wurden weder medizinische noch statistische Daten erfasst. So ließ sich später zum Beispiel auch nicht feststellen, wie viele Menschen für die Vereine geworben werden konnten. Das Programm "Trimming 130" wurde von Medizinern eher skeptisch gesehen.

Heute sind viele Trimm-Dich-Pfade verwaist

Heute fristen die Trimm-Dich-Pfade ein eher trauriges Dasein: Sie verwaisen in den Wäldern, die Sportgeräte sind morsch und die Kommunen können eine Instandhaltung oft nicht mehr finanzieren. Sportwissenschaftler finden die Übungen veraltet, das Training für koordinative Fähigkeiten komme zu kurz. Jetzt, 40 Jahre nach dem Start der Ursprungskampagne, soll das Programm mit Hilfe eines Milchprodukte-Unternehmens wiederbelebt werden. Zielgruppe heute sind Kindergärten.

Schlagworte:
Mehr zum Thema
Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen
Lesetipps
Das Maximum in Europa für die Facharztweiterbildung seien fünf Jahre, das Minimum drei Jahre. „Nur so als Überlegung, ob und wo man reduzieren könnte“, sagte Prof. Henrik Herrmann (links), der zusammen mit Dr. Johannes Albert Gehle (rechts) den Vorsitz der Ständigen Konferenz „Ärztliche Weiterbildung“ der Bundesärztekammer innehat.

Beschluss des 128. Ärztetags

Die ärztliche Weiterbildung soll schlanker werden