Bestattungen

Wenn Friedhöfe sterben

Friedhöfe erleben derzeit eine Art Wirtschaftskrise: Mehr als die Hälfte der Bestattungen sind aktuell Urnenbeisetzungen. Urnen benötigen kleinere Gräber, die Einnahmen sinken – doch die Fixkosten bleiben hoch. Das bereitet Kommunen und Kirchen Probleme.

Von Jens Albes Veröffentlicht:
Auch Friedhofe leiden unter einer Wirtschaftskrise. Auch der Trend zu alternativen Bestattungen bringt Kommunen ins Schwitzen.

Auch Friedhofe leiden unter einer Wirtschaftskrise. Auch der Trend zu alternativen Bestattungen bringt Kommunen ins Schwitzen.

© izzzy71 / Getty Images / iStock

Sterben immer mehr Friedhöfe? Judith Könsgen von der Deutschen Friedhofsgesellschaft schätzt, "dass etwa ein Drittel der heutigen Friedhöfe in den nächsten fünf bis zehn Jahren in der jetzigen Form so nicht weitergeführt werden können".

Gründe seien vor allem der Trend zu Urnengräbern mit weitaus weniger Flächenbedarf und die damit sinkenden Einnahmen der Friedhöfe trotz teils drastisch steigender Gebühren. Eine Quersubventionierung mit anderen Einnahmen von Kommunen sei verboten. Zugleich blieben die Fixkosten hoch.

Kirchlich oder kommunal?

Bundesweit gibt es derzeit rund 32.000 traditionelle Friedhöfe, wie Michael Albrecht vom Verband der Friedhofsverwalter Deutschlands in Hannover mitteilt. Davon werden etwa 9200 von der evangelischen und 3600 von der katholischen Kirche betrieben. "Die anderen knapp 20.000 sind kommunale Friedhöfe."

Gänzlich private Friedhöfe gibt es nicht in Deutschland, wohl aber den Einstieg von Unternehmen in Zusammenarbeit mit Kommunen und Kirchen.

Früher pflegten Angehörige Gräber vor Ort. "Geschah das nicht, wurde im Dorf getuschelt, denn bis vor etwa 15 Jahren war ein Grab immer auch eine Art Statussymbol", sagt Könsgen, deren Deutsche Friedhofsgesellschaft eine Tochterfirma des privaten und bundesweit größten Krematoriums bei Dachsenhausen im Taunus ist.

Heute sind Familienmitglieder oft mobiler, weiter verstreut und weniger aneinander gebunden. Laut Verbraucherinitiative Aeternitas in Königswinter sind daher pflegefreie Angebote wie Urnenwände, Rasengräber, Baumbestattungen, Gemeinschaftsgräber und Seebestattungen im Trend. Albrecht schätzt die Zahl der Urnenwälder in Deutschland auf 150. Der Marktanteil sei aber immer noch sehr niedrig.

Trend zum Sparen

Generell lässt sich mit Feuerbestattungen Geld sparen im Vergleich zum traditionellen Erdbegräbnis. Bundesweit rund 160 Krematorien bieten laut Aeternitas Einäscherungen an. Fast die Hälfte von ihnen wird bereits privat betrieben wie bei Dachsenhausen im Taunus, die anderen kommunal.

Nach Branchenschätzungen wird inzwischen bei 62 bis 65 Prozent der jährlich rund 925.000 Verstorbenen in Deutschland eine Einäscherung gewählt. 2011 sollen es noch 55 Prozent gewesen sein. Auch in den kommenden Jahren wird laut dem Bundesverband Deutscher Bestatter mit einem Anstieg gerechnet.

Der Sprecher des Verbands der Friedhofsverwalter, Albrecht, glaubt trotzdem nicht an ein baldiges Sterben von Friedhöfen: "Es gibt hier keine eigenen bundesweiten Statistiken, aber in den letzten Jahren ist mir keine Friedhofschließung bekanntgeworden." Bis etwa 2040 werde auch ein Anstieg der Zahl der jährlichen Sterbefälle auf mehr als 1,2 Millionen erwartet.

udem gebe es bei Ruhefristen zwischen 15 und 30 Jahren für Gräber keine raschen Veränderungen bei Friedhöfen. Dennoch habe hier der Trend zur Urne zu immer mehr ungenutzten Teilflächen geführt: Ein Urnengrab dürfte wohl meist zehnmal kleiner sein als ein Erdgrab.

Nach einer Berechnung des Instituts für Kommunale Haushaltswirtschaft (Helsa) von 2015 machen sie mehr als ein Drittel aus. Demnach sind von 425 Millionen Quadratmetern auf deutschen Friedhöfen 165 Millionen Überhangflächen. Das entspricht mehr als 23.000 Fußballfeldern. Der Unterhalt dieser ungenutzten Areale koste jährlich viele Millionen.

Kleine Oasen im Großstadtleben

Albrecht hält dagegen: Überhangflächen würden auch zur Aufwertung eines Friedhofs mit zusätzlicher Bepflanzung als Park zur Erholung von Stadtbewohnern genutzt. "Viele haben einen hohen ökologischen Wert. Das sind kleine Oasen in Großstädten."

Überhangflächen für eine Bebauung abzutrennen sei oft nicht möglich, weil es auf ihnen immer wieder Inseln von Gräbern mit langen Ruhezeiten gebe. "Da gehen Investoren auch nicht so gerne ran", sagt der Sprecher des Verbands der Friedhofsverwalter. Leichter möglich sei eine Bebauung auf Vorratsflächen von Friedhöfen, auf denen nie jemand begraben worden sei.

Der Bonner Juraprofessor und Biorecht-Experte Tade Spranger sagt: "In Berlin zum Beispiel sind tatsächlich schon ehemalige Friedhofsflächen der evangelischen Kirche bebaut worden. Bei der chronischen Wohnungsnot in Großstädten kann das eine gute Alternative sein." Wichtig sei, auf Friedhöfen langfristig zu planen und zusammenhängende Freiflächen zu erhalten oder allmählich neu zu schaffen.

Friedhöfesverwaltungen "schaufeln sie sich ihr eigenes Grab"

Auch Spranger kann sich gut vorstellen, dass ein Drittel aller deutschen Friedhöfe in zehn Jahren nicht mehr in der heutigen Form besteht. "Heute wird jemand in Mannheim geboren, arbeitet in Frankfurt und stirbt in Heidelberg. Es gibt weniger Ortsbindungen und mehr Wettbewerb unter Friedhöfen. Für Bonner zum Beispiel sind die Friedhofsgebühren in den Umlandgemeinden oft niedriger."

Zum Trend zur Feuerbestattung und zu alternativen Begräbnisformen wie Urnen in besonderen Wäldern trägt dem Juraprofessor zufolge auch "die Nutzerunfreundlichkeit vieler Friedhöfe" bei: "Oft ist dort vieles verboten, zum Beispiel bestimmte Bepflanzungen bei Gräbern oder Spielzeug auf Kindergräbern."

Spranger ergänzt: "Viele Friedhöfe gestatten auch keine Begräbnisse an Samstagen, obwohl Angehörige heute oft eine weite Anreise haben. Dabei sind auch kommunale Schwimmbäder samstags geöffnet." Friedhofsverwaltungen müssten flexibler werden: "Sonst schaufeln sie sich ihr eigenes Grab." (dpa)

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