Debatte zum Beschneidungsurteil

Nur Minderheit in Israel lehnt Beschneidung ab

Die Beschneidung von Jungen ist auch in Israel nicht unumstritten. Es gibt Eltern, die sich dagegen entscheiden, weil sie die Prozedur für überflüssig halten. Für die Mehrheit aber ist sie Teil der jüdischen Identität.

Von Ulrike Schleicher Veröffentlicht:
Medizinisches Besteck und ein hebräsches Testament. Das medizinische Besteck benötigt der Mohel (Beschneider) für die Brit Mila, die rituelle jüdische Beschneidung.

Medizinisches Besteck und ein hebräsches Testament. Das medizinische Besteck benötigt der Mohel (Beschneider) für die Brit Mila, die rituelle jüdische Beschneidung.

© David Ebener / dpa

TEL AVIV. Über die Beschneidung von Jungen wird auch in Israel diskutiert. Es ist zwar eine Minderheit, aber sie entscheiden sich gegen dieses Ritual. Schätzungen gehen von zwei bis drei Prozent unbeschnittener Männer und Jungen aus, offizielle Zahlen gibt es nicht.

Vor allem Eltern, die sich über die Prozedur informieren, kämen davon ab, sagt Ronit Tamir, die Gründerin einer Organisation gegen Beschneidung namens Kahal.

Die Software-Ingenieurin, die sich als nicht religiös bezeichnet, wollte vor zwölf Jahren ursprünglich nur Gleichgesinnte treffen: Ihr Sohn ist nicht beschnitten und sie befürchtete Nachteile für ihn.

Es stellte sich jedoch heraus, "dass viel mehr werdende Eltern nicht wissen, ob sie sich für oder gegen eine Beschneidung entscheiden sollen und Rat suchen", sagte sie jüngst israelischen Medien. Im Laufe der Jahre hätten sich immer mehr dagegen entschieden: "Es ist, als ob ein Damm gebrochen wäre."

Beschneidung als Norm

Wer mit Eltern in Israel spricht, stellt fest, dass nicht wenige mit der Beschneidung ganz einfach eine Norm einhalten, und der soziale Druck eine wichtige Rolle spielt. So ist die Angst groß, das Kind könnte ausgegrenzt werden. "Ich will nicht, dass mein Sohn als Freak betrachtet wird", sagt etwa eine junge Mutter aus Tel Aviv.

Ihre Freunde argumentierten ähnlich. Aber: "Eigentlich wird über das Ganze gar nicht nachgedacht."

Arnon Hyman aus Gedera, südlich von Tel Aviv, hat sich damit auseinandergesetzt und kam zu dem Schluss: "Ich sehe keinen Sinn darin, obwohl ich sonst religiöse Traditionen einhalte." Aber seine Frau sei unbedingt für eine Beschneidung, "so haben wir unsere drei Söhne dem Ritual unterzogen", statt von einem Mohel, dem ausgebildeten Beschneider, allerdings von einem Arzt vorgenommen, der dem acht Tage alten Kind ein Narkosemittel verabreichte - "so hat es wenigstens keine Schmerzen gehabt", sagt Hyman.

Nur kurz geweint

"Mein Sohn hat kurz geweint, das war alles", ist die Erfahrung von Jakub Abramson, einem Wissenschaftler am Weizman-Institut, der zu einem Mohel ging. Für den 35-Jährigen gibt es keinen Zweifel an der Richtigkeit einer Beschneidung.

Abgesehen von gesundheitlichen Vorteilen - weniger Infektionen zum Beispiel - "gehört das Ritual zu unserer Religion und somit auch zu unserer Nation". Das jüdische Volk habe nur überlebt, weil es in der Diaspora seine religiösen Regeln eingehalten habe.

Die würde er sich von niemandem verbieten lassen, sagt er mit Blick auf das Urteil des Kölner Landgerichts. "Ich würde auswandern."

Das Gericht hatte Ende Juni die religiös motivierte Beschneidung eines Jungen als Körperverletzung bewertet und für strafbar erklärt. Dies wird seitdem in Deutschland kontrovers diskutiert. Das Bundesjustizministerium will bald einen Gesetzentwurf vorlegen mit dem Ziel, religiös motivierte Beschneidungen zu erlauben.

Der israelische Oberrabbiner Yona Metzger sprach sich am 21. August in Berlin gegen eine Betäubung vor der Beschneidung aus. Er hält aber eine medizinische Fortbildung für die jüdischen Beschneider für akzeptabel.

Geschichtsexperte: Beschneidung abschaffen ist absurd

Für den Leiter des Koebner-Institutes für Deutsche Geschichte an der Hebräischen Universität in Jerusalem, Moshe Zimmermann, sind die Beschneidungsgegner in Israel Exoten. "Hier ist niemand säkular. Wir sind über das Gesetz ans Judentum gebunden." Beschneidung abschaffen zu wollen, wäre so absurd wie ein Aufstand gegen den Personalausweis.

Der Experte für die Geschichte von Juden in Deutschland ärgert sich über das Kölner Urteil: Es zeuge von Ignoranz. "Niemand kann diese Entscheidung treffen, ohne den Talmud gelesen zu haben."

Es gibt jedoch auch progressive gläubige Juden in Israel, die den Bund mit Gott und die Namensgebung für den Sohn ohne das Beschneidungsritual (Brit Milah) zelebrieren: Das Ritual, das in Anwesenheit von einem Rabbiner gefeiert wird, heißt Brit Schalom (friedliche Verbindung mit Gott).

Es ist Ausdruck des Wandels einer religiösen Tradition, den die Organisation «Juden gegen Beschneidung» als notwendig und normal bezeichnet. "Wäre das unmöglich, würden wir immer noch dafür hingerichtet, wenn wir unseren Eltern nicht gehorchen."

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