Jens Spahn im Exklusiv-Interview

Wartezeiten machen die Menschen irre

Wartezeiten auf Arzttermine zu verringern, sollte ein gemeinsames Interesse von Politik und Ärzteschaft sein, findet Jens Spahn. Sie seien eine Gefahr für das System, betont der CDU-Gesundheitsexperte im Exklusiv-Interview mit der "Ärzte Zeitung". Außerdem spricht er über RLV-Fetischisten, lokale Gesundheitszentren, Telemedizin und die Klinikreform.

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Fingerzeig vom Gesundheitsexperten der Unionsfraktion. Zu lange Wartezeiten hält Jens Spahn (CDU) für nicht länger hinnehmbar.

Fingerzeig vom Gesundheitsexperten der Unionsfraktion. Zu lange Wartezeiten hält Jens Spahn (CDU) für nicht länger hinnehmbar.

© Karlheinz Schindler / dpa

Ärzte Zeitung: Sie haben im Bundestag gesagt, in der zweiten Hälfte des Jahres solle der Versorgungsalltag der Versicherten im Mittelpunkt stehen. Sollte das nicht eigentlich immer so sein. Was genau ist also damit gemeint?

Jens Spahn: Gemeint ist, die Debatte auch konsequent aus dem Blickwinkel des Patienten zu führen. Wir diskutieren zu oft aus der Sicht der Ärzte oder der Krankenkassen. Die Regressdebatte kann man aus der Arztperspektive führen, bei meinem Vater erlebe ich sie aber aus Patientensicht. Der fragt mich: "Jens, verschreibt mir meine Ärztin eigentlich das, was ich wirklich brauche?"

Das heißt, dass wir die Frage, wie erlebt es der Patient eigentlich, öfter mal stellen sollten. Beim Regress lösen wir das ja im Übrigen, indem wir ihn faktisch abschaffen werden.

Die Koalition will ja auch beim Thema Wartezeiten handeln…

Jens Spahn (CDU)

Aktuelle Position: Gesundheitspolitischer Sprecher der Unionsfraktion im Bundestag.

Werdegang/Ausbildung: Jens Spahn ist gelernter Bankkaufmann und Politikwissenschaftler.

Karriere: Spahn holte seit 2002 vier Mal in Folge das Direktmandat im Wahlkreis Steinfurt I - Borken I. Seit 2005 ist er Vorsitzender des CDU-Kreisverbandes Borken.

Privates: Geboren 1980 in Ahaus, katholisch

Spahn: Ich weiß, dass Wartezeiten bei den Ärzten ein emotional aufgeladenes Thema sind. Aber ich sage eines: Wir werden auf Dauer - Politik, Ärzteschaft und wer immer Verantwortung trägt im Gesundheitswesen - massiv Akzeptanz für unser ganzes Gesundheitssystem verlieren, wenn an dieser einen Stelle das Stichwort "Zweiklassenmedizin" immer wieder so einfach hochgezogen werden kann, wie dies derzeit geschieht.

Es macht die Menschen irre, wenn gesetzlich Versicherte in bestimmten Bereichen wochen-, ja monatelang auf Termine warten müssen und privat Versicherte sehen den gewünschten Facharzt schon binnen Wochenfrist. Das ist so nicht mehr hinnehmbar. Deshalb haben wir - Politik und Ärzteschaft - ein gemeinsames Interesse, das Problem zu lösen.Im Übrigen sind die Wartezeiten politisch-strategisch das Hauptargument für die Bürgerversicherung.

Wenn man hier die Unterschiede zwischen gesetzlich und privat Versicherten endlich wieder erträglich macht, ist das emotionale Hauptargument für die Bürgerversicherung weg.

Die Techniker Krankenkasse hat die Rückkehr zur Einzelleistungsvergütung auch deshalb vorgeschlagen, weil sie davon ausgeht, dass sie mögliche Wartezeitenprobleme lösen wird. Ist das für Sie eine Option?

Spahn: Ich denke, eine grundsätzliche Reform der Vergütung regelt man nicht mal eben so. Eines habe ich zum 1. Januar 2009 gelernt: Nicht noch einmal ein System über Nacht völlig umbauen, so wie wir es bei der Einführung der Einführung der Regelleistungsvolumina gemacht haben - ohne Praxiserfahrung. Das hat ja ins Chaos geführt.

Deshalb braucht so eine Debatte die nötige Zeit, um Akzeptanz zu schaffen. Allerdings: Jedes System wird eine Mengen- oder zumindest Kostensteuerung haben müssen, sonst geht es durch die Decke.Wir sind keine Regelleistungsvolumen-Fetischisten, so wie wir früher keine Budgetfetischisten waren. Wenn es ein klügeres System gibt, das auch einfacher zu handhaben ist, ist sicher eine hohe Bereitschaft in der Politik da, das auch anzugehen. Es muss halt nur funktionieren.

Eine der Hauptdiagnosen des aktuellen Sachverständigenratsgutachtens ist der nach wie vor zunehmende Ärztemangel. Ist das nicht eine Ohrfeige für das Versorgungsstrukturgesetz aus der letzten Legislaturperiode? Oder dreht sich die Welt so schnell, das man aktuell wieder über weitere Schritte nachdenken muss?

Spahn: Wir haben nie gesagt, dass das Versorgungsstrukturgesetz einfach alle Probleme löst. Das ist ein Instrumentenkasten, der natürlich weiter ergänzt werden kann und muss. Die eine Maßnahme, die die Ärzte zurück aufs Land bringt, wird es nicht geben.

Wird es einen Landarztaufschlag geben?

Spahn: Ich glaube nicht, dass mehr Geld allein das Problem des Ärztemangels auf dem Land lösen wird. Es braucht eine ganze Palette von Möglichkeiten. Das Versorgungsstrukturgesetz muss weiterentwickelt werden. Wir sollten einen Punkt aus dem Sachverständigenrat intensiver diskutieren, nämlich den, auch neue Versorgungsstrukturen in den Blick zu nehmen.

Lokale Gesundheitszentren?

Spahn: Ja, Gesundheitszentren, möglicherweise kommunal mit gesteuert und begleitet. Das ist etwas anderes als selbstständige Praxen. Wir brauchen die Bereitschaft, in unterversorgten Regionen flexiblere Strukturen zu denken. Auch über die Delegation und Substitution ärztlicher Leistungen zur Entlastung der Ärzte im Alltag müssen wir weiter diskutieren. Wenn die genannten Punkte, und eben nicht nur der 50prozentige Honoraraufschlag als Anstoß auch für die innerärztliche Debatte genommen werden, wäre das gut.

Geht es bei den vom SVR vorgeschlagenen Aufschlägen nicht ohnehin auch um Mittel, um die Versorgungsstrukturen an die regionalen Bedarfe anzupassen?

Spahn: Die KVen haben mit dem Versorgungsstrukturgesetz die Möglichkeit erhalten, mit dem Strukturfonds ganz flexibel nach regionalen Bedürfnissen relativ viel Geld einsetzen zu können. Daraus können Investitionszuschüsse, Stipendien, Vergütungsanreize für die Niederlassung auf dem Land und vieles mehr finanziert werden. In vielen KV-Regionen wird das ja schon genutzt. Und das Schöne: Die Kassen müssen den Fonds übrigens zu fünfzig Prozent mitfinanzieren.

Spahn: Greifen die Vorschläge des Rats nicht auch die von vielen jüngeren Medizinern gewünschte Lebensplanung abseits einer 65-Stunden-Woche in der Einzelpraxis auf?

Auch da ist ja schon viel passiert. Das Vertragsarztrechtsänderungsgesetz, eines der am wenigsten beachteten, aber doch folgenreichsten Gesetze der letzten Großen Koalition hat schon viel möglich gemacht, Stichworte sind MVZ, Zweitpraxen, die Möglichkeit, angestellt in einer Praxis zu arbeiten oder gleichzeitig in der Klinik und niedergelassen, eine bessere Vereinbarkeit von Praxis und Familie.

Überhaupt: Die Mehrheit der im niedergelassenen Bereich neu startenden Ärzte ist heute angestellt. Da haben sich die Verhältnisse nach den Bedürfnissen völlig verschoben. Das zeigt, dass wir da eine Menge an Flexibilität geschaffen haben. Und da müssen wir dran bleiben.

Ist die Generation Y in der Ärzteschaft angekommen?

Spahn: Das Thema work-life-balance, dieses Nicht-mehr-24-Stunden-im Einsatz-sein-Wollen zieht sich doch durch alle Lebensbereiche und Branchen. Da nützt kein Jammern und Klagen. Und tatsächlich gehört ein mehr an Freizeit in gewisser Weise auch den Errungenschaft des modernen Wohlfahrtstaates.

Wenn weniger Ärzte immer weniger arbeiten, ergibt sich über kurz oder lang eine Lücke in der Versorgung...

Spahn: Wir können die Ärzte ja nicht per Gesetz zwingen, länger zu arbeiten. Das Gegenteil ist ja passiert: Die EU-Arbeitszeitrichtlinie hat einen Bedarf von zigtausende neuen Ärzten ausgelöst, ohne dass dadurch eine Stunde mehr geleistet worden wäre.

In den Kliniken arbeiten Jahr für Jahr netto vier- bis fünftausend Ärzte mehr, und trotzdem sind viele Stellen offen. Das hat in den letzten Jahren eine hohe Zahl von Ärzten absorbiert, die wir sonst an ganz anderen Stellen einsetzen könnten.

Es müssen also Effizienzreserven gehoben werden. Stichwort: E-Health-Gesetz: Wie lässt sich die Telemedizin nach vorne bringen?

Spahn: Wir stellen uns die Frage, wie man Telemedizin regelhaft und planbar in EBM und GOÄ einbettet. Heute ist das ja fast ein Vabanquespiel, ob solche Leistungen vergütet werden, oder nicht.

Wird das E-Health-Gesetz auch ein Beschleunigungsgesetz für die elektronische Gesundheitskarte?

Spahn: Ja. Es muss endlich ein Mehrwert spürbar werden durch den Einsatz der elektronischen Gesundheitskarte - und zwar für Ärzte und Patienten. Sonst schaffen Sie keine Akzeptanz. Wir brauchen die Notfallakte, die elektronische Patientenakte und das elektronische Rezept, damit im Behandlungsalltag der Mehrwert der Karte spürbar wird.

Ein Zweites ist die Kommunikation der verschiedenen Software-Systeme untereinander, die Interoperabilität. Die Hersteller sagen uns zwar alle immer, sie würden das schon hinkriegen, aber es ist ja nicht so. Wir sollten gesetzlich notifizieren, dass, wer Software für Krankenhäuser, Praxen oder Pflegeeinrichtungen anbieten will, offene Schnittstellen gewährleisten muss.

Denn heute können die Patientendaten fast nie vom Pflegeheim zum Krankenhaus digital gesandt werden. Das bedeutet viel unnütze Mehrarbeit, wenn das alles immer wieder neu händisch erhoben werden muss.

Was könnte das für das Sichere Netz der KVen heißen?

Spahn: Das KV-Safe-Net muss offen sein für die Telematikinfrastruktur. Die Erwartung habe ich schon, dass da keine Parallelstrukturen entstehen. Sonst muss man das erzwingen.

Die Koalitionäre wollen in der Kassenärztlichen Bundesvereinigung Parität zwischen Hausärzten und Fachärzten schaffen. Gibt es dazu schon konkretere Ideen?

Spahn: Nein. Diese Parität zu schaffen ist leichter gesagt als getan, auch mit Blick auf die dritte Gruppe der Psychotherapeuten. Wenn uns die Ärzteschaft selbst, im Konsens, inklusive Hausärzte, einen klugen alternativen Vorschlag macht, wie man der Idee, das sich alle angemessen repräsentiert fühlen, gerecht wird, werden wir uns dem sicher nicht verwehren.

Aber der muss dann auch von allen mitgetragen sein. Wenn die Ärzte allerdings keinen gemeinsamen Vorschlag hinkriegen, werden wir das wie vereinbart gesetzlich regeln.

Die Krankenkassen müssen ihren Versicherten nach Beitragserhöhungen künftig per Brief mitteilen, wenn es günstigere Angebote gibt. Sie haben gesagt, es müsse weiterhin Preiswettbewerb geben. Ordnen Sie den Qualitäts- dem Preiswettbewerb unter?

Spahn: Nein, Preis- und Qualität gehören zusammen. In so einem Brief hat eine Kasse die Chance, zu sagen: Wir sind vielleicht ein bisschen teurer, aber wir bieten auch etwas dafür. Seien es Versorgungsverträge, Satzungsleistungen oder die Erreichbarkeit in Geschäftsstellen. Das Gejammere, der Preis dürfe keine wahrnehmbare Rolle spielen, sondern nur die Qualität, kann ich nicht nachvollziehen.

Die Kassen erlebe ich sonst, wenn es nicht um sie selbst geht, immer genau anders herum. Dann geht es ihnen immer nur um den Preis und nie um die Qualität. Ich fand es schon arg doppelzüngig, wie da einige unterwegs waren. Dass so eine Regelung zu so einem Theater führt, spricht dafür, sie zu machen.

Sie sind mit der Bemerkung in die Gespräche zur Krankenhausstrukturreform eingestiegen, dass Sie Ihren Optimismus aufgegeben hätten, dass es zu einer Klinikfinanzierung aus einem Guss kommen könne. Gilt die nach zwei Gesprächsrunden so noch?

Spahn: Ein wirklich großer Wurf wäre ja eine grundsätzliche Lösung für die dauerhafte Finanzierung der Krankenhäuser und die Planungskompetenzen sowie ihre Aufteilung. Den Eindruck habe ich derzeit nicht, dass wir dabei weiterkommen. Man muss sehen, dass der Bund mit dem Koalitionsvertrag in Vorleistung getreten ist. Die Erwartungshaltung der Länder kann nun nicht sein, die Verhandlungen seien nur dafür da, dass der Bund noch einmal nachlegt. Diese Erwartungen gibt es.

Die Länder müssen sich auch verpflichtend einbringen. Die Bereitschaft gibt es, aber unterschiedlich stark ausgeprägt.Übrigens: Ich bin nicht so pessimistisch, dass ich davon ausgehe, es passiere an dieser Stelle gar nichts. Mit dem Qualitätsinstitut wird es mehr Transparenz, mehr Vergleichbarkeit geben. Erstmals können zumindest in einem kleinen Bereich Qualitätsaspekte mit der Vergütung verknüpft werden.

Aber dass wir das Grundverhältnis in der Finanzierung verändern, daran glaube ich nicht mehr. Ich lasse mich aber gerne positiv überraschen. Meine These war immer, durch die Schuldenbremse seien die Länder so unter Druck, dass man über die Investitionskosten und die Planung anders reden kann. Aber so weit scheint es noch nicht zu sein.

Wird es denn einen Krankenhausstrukturfonds geben?

Spahn: Als jemand, der einen solchen Fonds damals in den Entwurf des Koalitionsvertrags hinein verhandelt hat, bin ich weiterhin ein Fan eines solchen Fonds. Aber derzeit sehe ich den noch nicht als Ergebnis der Verhandlungen. Da müssen wie gesagt beide Seiten liefern.

Sie sind in der Gruppe cdu2017 aktiv, in der sich jüngere CDU-Abgeordnete und Landespolitiker für eine mehr Nachhaltigkeit in der Rentenpolitik der Koalition und überhaupt in der Vorsorge einsetzen. Ihr Beitrag ist der Vorsorgefonds in der Pflegeversicherung, an dem sich massive Kritik entzündet hat und der als wenig renditeträchtig eingeschätzt wird. Warum setzen Sie sich so vehement für dieses Instrument ein?

Spahn:  Zum einen ist es ein ganz wichtiges Zeichen, dass wir zum ersten Mal in einem Sozialen Sicherungssystem überhaupt Vorsorge betreiben für die Alterung der Gesellschaft. Ich sage immer, dass das nicht nur ein Schutz der künftigen Beitragszahler ist, sondern auch künftiger Pflegebedürftiger. Ein zu hoher Beitrag wird sonst irgendwann eine Debatte über Leistungskürzungen auslösen.

Mit dem Fonds ist es wie mit der Rente mit 67 oder der Schuldenbremse: Wenn so etwas einmal aufs Gleis gesetzt ist, wird sich die Debatte mit den Jahren weiter entwickeln.

Man kann ja sagen, es ist zu wenig. Aber es ist besser als gar nichts. Es muss übrigens nicht bei 1,2 Milliarden Euro im Jahr bleiben. Es wird ja eine regelmäßige Evaluation geben. Dann kann man im Verlauf nachsteuern.

Das Präventionsgesetz scheint sich zu verzögern. Muss man befürchten, dass es wie seine Vorgängerentwürfe scheitert?

Spahn: Nein. Was wir im ersten halben Jahr gesetzgeberisch gemacht haben, ist schon ein ziemliches Programm: das Arzneimittel-Schnellgesetz, das GKV-Finanzierungsgesetz, das Pflegegesetz ist in dieser Woche in der ersten Lesung, das Versorgungsgesetz wird zum Ende der Sommerpause seinen Weg gehen. Wir haben die Arbeit in der Bund-Länder-Arbeitsgruppe Krankenhaus aufgenommen, die inhaltlich vorbereitet und begleitet sein will.

Wenn da nun bei der Prävention drei bis vier Monate Verzögerung auftreten, dann ist das eher ein Zeichen für Sorgfalt. Wenn wir es vernünftig machen wollen, können wir nicht alles parallel laufen lassen. Da haben wir Anfang vielleicht ein Stück zu ambitioniert gesagt: Das schaffen wir alles 2014. Das Signal ist aber ganz klar, dass das Präventionsgesetz noch im ersten Drittel der Legislaturperiode umgesetzt wird, idealerweise mit parlamentarischen Beratungen noch in diesem Jahr.

Stichwort Innovationsfonds. Ist es richtig, den GBA über die Mittelvergabe entscheiden zu lassen?

Spahn: Da halte ich es mit der Abwandlung eines Churchill-Zitat: Der GBA ist nicht perfekt, aber es ist uns noch nichts Besseres eingefallen!Es gab den Vorschlag , dass die Länder das Geld verteilen sollen. Das geht gar nicht. Es handelt sich um Geld der gesetzlich Versicherten.

Die Kassen alleine können es auch nicht tun. Das zeigt das Thema Integrierte Versorgung. Sie tun ja auf diesem Gebiet nichts. Deshalb nehmen wir ihnen jetzt ein Stück Geld weg. Es bleibt der GBA als Institution, die dann am ehesten geeignet ist, die Mittel zuzuteilen. Da muss man Strukturen schaffen mit klaren Kriterien, Zuständigkeiten und Gremien innerhalb des GBA.

Es geht nicht darum, dass da der eine dem anderen etwas zuschustert. Es muss wie bei BMBF-Mitteln, also Forschungsgeldern, Zweitgutachter geben.Einen Vorteil hat das Andocken beim GBA zudem: Damit wären die Projekte, die heute viel zu oft im Nirwana enden - Projektzeit vorbei, nichts passiert - angedockt an der Institution, die über die Regelversorgung entscheidet. Das heißt: Wenn das klug gemacht ist, auch in den Abläufen, führen gute Ergebnisse von geförderten Projekten zu einer Übernahme in die Regelversorgung.

Andersherum, haben Projekte, über die nicht entschieden werden kann, weil die Datenlage fehlt, die Chance, mit Daten unterfüttert zu werden, finanziert aus dem Viertel des Fonds, das für Versorgungsforschung eingesetzt werden soll. Deshalb ergibt es einen Sinn, wenn der GBA das macht.

Ist der Fonds ausreichend finanziert?

Spahn: Die vorgesehenen 300 Millionen Euro sind in den Erwartungen wahrscheinlich schon fünffach überzeichnet. Aber am Ende wird man sich wundern, dass das Geld dann doch nicht so schnell abfließt. Wenn erst einmal klar ist, dass hier nicht jedem alles finanziert wird, und man ganz klare Kriterien erfüllen muss, ist der Zuspruch vielleicht geringer, als man heute erwartet.

In der Koalition wird immer wieder angekündigt, auch ethische Themen aufgreifen zu wollen. Wann soll das sein und was steht dann auf der Tagesordnung?

Spahn: Gerade im Gesundheitsbereich gibt es noch eine Reihe von Grundsatzthemen, für die dann Zeit ist, wenn die großen Versorgungsthemen ein Stück weit abgearbeitet sein werden. Das wird ab Mitte nächsten Jahres sein. Ich möchte sehr dafür werben.

Die Sterbehilfedebatte ist für die zweite Jahreshälfte angesetzt und wird in das nächste Jahr hineinreichen. Früher oder später werden wir auch das Gendiagnostikgesetz wieder anfassen müssen, weil die technische Entwicklung so weit ist, dass Sie die Gentests schon für 50 Euro zu Hause vornehmen können. Das bedeutet, dass unser aktuelles Gesetz nicht mehr zur Realität passt.Das ist eine Debatte, für die man sich Zeit nehmen muss.

Wie würden Sie das erste Halbjahr der großen Koalition einschätzen? Man hat gar nicht das Gefühl, dass es große Dissenzen zwischen Ihnen und Herrn Lauterbach gibt, die Bürgerversicherung einmal ausgenommen.

Spahn: Es läuft gut. Wir setzen das, was wir vereinbart haben, in einem guten, positiven, konstruktiven Geist um. Das überrascht manche. Das nehme ich zur Kenntnis. Den Keim dafür haben wir in den Koalitionsverhandlungen gelegt.

Erstmals ist es gelungen, in der Gesundheitspolitik keine wichtigen Fragen offen zu lassen. Wir haben sie vorher geklärt. Und das führt dazu, dass Gesundheitspolitik nicht mehr das Feld ist, auf dem am meisten gestritten wird. Und das ist ja auch mal etwas Gutes.

Das Interview führte Anno Fricke

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