Interview

Fit für die Betreuung Demenzkranker

Ohne Orientierung, verunsichert, unverstanden: Für Angehörige und auch Praxisteams ist oft nur schwer vorstellbar, was ein Leben mit Demenz bedeutet. Der Kompaktkurs Demenz Partner vermittelt grundlegende Kenntnisse zum Krankheitsbild. Schon kleine Gesten können für Erkrankte hilfreich sein, sagt Dr. Katharina Graffmann-Weschke.

Von Taina Ebert-Rall Veröffentlicht:
Verhaltensweisen wie Misstrauen und Angst können Warnsignale für eine Demenz sein. Sie treten 30 bis 40 Monate vor den kognitiven Störungen auf.

Verhaltensweisen wie Misstrauen und Angst können Warnsignale für eine Demenz sein. Sie treten 30 bis 40 Monate vor den kognitiven Störungen auf.

© Patrick Pleul / dpa

Frau Dr. Graffmann-Weschke, wie genau ist der Demenz-Partner-Kurs aufgebaut und was wird darin vermittelt?

Dr. Katharina Graffmann-Weschke: Der Kurs führt in etwa 90 Minuten über verschiedene Stufen zu einem besseren Verständnis für Menschen, die sich für Gesunde auf den ersten Blick ungewöhnlich verhalten. Zunächst einmal wird die Erkrankung definiert. Es wird erläutert, was bei der Entstehung einer Demenz im Gehirn passiert, an welchen Hauptmerkmalen beziehungsweise Symptomen man sich orientieren kann, wie lange diese Symptome anhalten müssen, um von einer Demenz zu sprechen. Es wird auch über die Risikofaktoren für eine Demenz informiert und über die Diagnose sowie über Behandlungsmöglichkeiten. Und schließlich darüber, wie wir Menschen mit Demenz am besten begegnen.

Wie sieht das im Detail aus?

Ich nutze bei der Schulung zum „Demenz Partner“ Folien, die die Deutsche Alzheimer Gesellschaft e.V. für die Initiative Demenz Partner zur Verfügung stellt und die ich um eigene Anmerkungen und persönliche Erfahrungen ergänzt habe. Dabei erläutere ich beispielsweise, was wir unter dem Demenz-Hauptmerkmal „eingeschränkte Alltagsfähigkeit“ verstehen, dass also schon allein ein Arztbesuch oder der tägliche Einkauf für Menschen mit Demenz plötzlich ein kaum zu bewältigendes Projekt werden kann.

Auch für die weiteren Hauptmerkmale der Erkrankung, also für Gedächtnisstörungen, für Orientierungsstörungen und für Konzentrationsstörungen sowie für Veränderungen im Verhalten und in der Persönlichkeit finde ich Beispiele, anhand derer sich Menschen, die sich schulen lassen, leicht orientieren können. Es geht einfach darum, konkrete Situationen zu benennen, um die Aufmerksamkeit für Menschen mit Demenz zu schärfen. Der Nachbar hat Schwierigkeiten, beim Einkauf sein Geld abzuzählen? Körperpflege oder Zähne putzen wird zum Problem? Die betagte Mutter verlegt Schlüssel oder vergisst Benimmregeln? Es könnte an der Erkrankung liegen.

Dr. KatharinaGraffmann-Weschke ist Leiterin der „AOK Pflege Akademie“ der AOK Nordost in BerlinWeitere Infos unter:

Dr. Katharina Graffmann-Weschke ist Leiterin der „AOK Pflege Akademie“ der AOK Nordost in BerlinWeitere Infos unter:

© AOK Nordost

Aber die Symptome kommen ja nicht aus dem Nichts ...

Genau deshalb ist es wichtig, dass nicht nur Ärztinnen und Ärzte, sondern möglichst viele Menschen informiert sind und erste Anzeichen als solche erkennen. Denn „Verhaltensstörungen“ wie Reizbarkeit oder Aggressivität, Misstrauen oder Angst treten bereits 30 bis 40 Monate vor den kognitiven Störungen auf. Ein Familienmitglied, ein Betreuer oder Freund der betroffenen Person könnte dann versuchen, eine Differenzialdiagnose durch einen Facharzt anzuregen. Leidet der Betroffene an Parkinson, an einer Depression oder an Entzündungen? Hier könnten sich erste Hinweise zeigen.

Ich benenne in den Schulungen, die ich gebe, auch Risikofaktoren wie Alter, Schädelhirnverletzungen und andere und verweise auf vorbeugende Maßnahmen. Ich erkläre, wie wichtig die korrekte Medikamenteneinnahme bei Bluthochdruck ist oder die Behandlung von Depressionen. Aber auch auf eigentlich ganz normale Verhaltensweisen mache ich aufmerksam, bringe gesunde Ernährung und Bewegung in Erinnerung oder die große Bedeutung sozialer Kontakte. Dann schildere ich in der Regel noch den Verlauf einer Demenz am Beispiel der Alzheimer-Krankheit – von der Diagnose über Behandlungsmöglichkeiten bis hin zu den Wünschen und Bedürfnissen der Erkrankten.

Wie beschreiben Sie die Bedürfnisse und wie können diese möglichst erfüllt werden?

Ich gehe davon aus, dass alle Menschen sozial eingebunden sein möchten, sie möchten nützlich und hilfreich sein und sich sicher fühlen. Sie möchten in ihrer vertrauten Umgebung sein und möglichst selbstbestimmt leben. Wenn wir uns vergegenwärtigen, dass Menschen mit Demenz sich ihr Wohlbefinden nicht mehr selbst herstellen können, ergeben sich manche Antworten quasi von selbst. Andere muss man erst lernen und einüben. Wir unterstützen sie dabei, sich gut aufgehoben zu fühlen. Das funktioniert, indem wir nicht auf ihre Defizite hinweisen, sondern stattdessen ihre Bedürfnisse ernst nehmen, sie respektvoll behandeln und Ruhe und Sicherheit vermitteln.

Im Gespräch mit Menschen mit Demenz ist es besonders wichtig, Blickkontakt aufzunehmen, aufmerksam zuzuhören, geduldig auf Antworten zu warten, Ja-Nein-Fragen zu nutzen und selbst in einfachen und kurzen Sätzen zu sprechen. Und mit Charme erreichen wir auch bei diesen Menschen viel mehr als mit Rechthaben.

Bietet der Kurs auch Tipps für schwierige Situationen?

Auch hier arbeiten wir viel mit Beispielen. Wenn etwa ein Mensch mit Demenz stark verängstigt ist oder plötzlich aggressiv wird, nutzt es wenig, auf Tatsachen hinzuweisen. Viel besser ist es, zu klären, ob es einen erkennbaren Grund für das Verhalten gibt. Auf jeden Fall sollte das jeweilige Thema aufgenommen und nach einer Lösung gesucht werden. Es hilft dann einfach nicht, zu argumentieren. Wir können auch eine Unterbrechung der Situation herbeiführen oder – falls mehrere Personen anwesend sind – den Gesprächspartner wechseln. Das ist anstrengend, man kann auch mal wütend werden, dann ist es notfalls auch mal gut bei einem Konflikt, natürlich nur mit kurzer Ansage, kurz den Raum zu verlassen und nach wenigen Minuten wieder zurückzukehren. Dann kann die Situation schon deutlich entspannter sein. Die Herausforderungen des Alltags sind so vielfältig und unvorhersehbar, dass es sehr hilft, sich mit ebenso Betroffenen regelmäßig auszutauschen. Und das ermöglichen Selbsthilfegruppen.

Was sagen Sie pflegenden Angehörigen?

Die Angehörigen, ob Verwandte, Freunde oder Nachbarn sind in der Regel die wichtigsten Bezugspersonen und damit entsprechend stark belastet. Bei ganz praktischen Problemen wie Schlucken als medizinisches Problem, gibt es inzwischen Pflegekurse. Dort erfahren Angehörige zum Beispiel, dass sie statt Wasser Zähflüssiges anbieten können, also Smoothies oder Suppen, um Medikamentengaben zu erleichtern. In der AOK Pflege Akademie bieten wir im Rahmen unseres Programms „Pflege in Familien fördern-PfiFf“ eine Reihe von Schulungen an, die sich zum an pflegende Angehörige richten. Zudem können sich Angehörige auch in einem Pflegestützpunkt beraten lassen und sich über mögliche Entlastung informieren.

Per Handyspiel zu Forschungsdaten

  • Rund 1,7 Millionen Menschen in Deutschland leiden an Demenz. Bis 2050 wird diese Zahl auf etwa drei Millionen steigen.
  • Sea Hero Quest: ist ein mit Mitteln der Deutschen Telekom entwickeltes Handyspiel, das zur Erforschung von Demenz beiträgt.
  • Über 4,3 Millionen Menschen haben seit 2016 mitgespielt und Daten für die Demenzforschung gesammelt – weitaus mehr, als dies mit herkömmlichen Methoden möglich gewesen wäre. Sea Hero Quest dient Forschern als Grundlage für eine frühzeitige Diagnose von Demenz und der Entwicklung möglicher Therapien.

Mehr unter www.telekom.com/de/verantwortung/details/sea-hero-quest-spielen-gegen-das-vergessen-587114

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