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WIdO-Studie

Omikron sorgt für sinkende Fallzahlen in den Kliniken

Das dritte Coronajahr in Folge bescherte den Krankenhäusern den stärksten Einbruch bei den somatischen Behandlungsfällen. Personalausfälle und vorgehaltene Kapazitäten gingen dabei mit einer zunehmenden Ambulantisierung einher.

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In der Coronapandemie blieben Klinikbetten häufiger leer.

In der Coronapandemie blieben Klinikbetten häufiger leer.

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Im dritten Corona-Jahr gab es in den Krankenhäusern 15 Prozent weniger somatische Behandlungsfälle als 2019. Damit fiel der Rückgang 2022 noch stärker aus als in den beiden Vorjahren mit minus 14 Prozent 2021 und minus 13 Prozent 2020.

Grund dafür waren nach einer Analyse des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) große Personalausfälle wegen der Omikron-Infektionswellen, nachdem in den Jahren davor Kapazitäten für schwer an Corona erkrankte Menschen freigehalten worden waren.

Bei den psychiatrischen Fällen fiel der Rückgang 2022 gegenüber 2019 mit elf Prozent etwas geringer aus. Die größten Fallzahl-Rückgänge gegenüber dem Vergleichszeitraum 2019 wurden in der fünften Infektionswelle von Januar bis Mai 2022 verzeichnet.

Einbrüche bei ambulant-sensitiven Diagnosen

Die Aufschlüsselung der Zahlen nach Behandlungsanlässen bis Oktober 2022 zeigt: Die stärksten Einbrüche zeigten sich erneut bei den sogenannten ambulant-sensitiven Diagnosen, die sowohl im Krankenhaus als auch von entsprechend qualifizierten niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten adäquat behandelt werden können. So gab es bei Rückenschmerzen (minus 35 Prozent) sowie Bluthochdruck (minus 35 Prozent) die größten Rückgänge gegenüber dem Vergleichsjahr 2019, gefolgt von der chronischen Lungenerkrankung COPD (minus 28 Prozent), Diabetes (minus 21 Prozent) und Herzinsuffizienz (minus 14 Prozent).

„Schon in den ersten beiden Jahren der Pandemie gab es Rückgänge in vergleichbarer Größenordnung. Corona wirkt sich hier offensichtlich beschleunigend im Sinne der in Deutschland dringend gebotenen stärkeren Ambulantisierung aus“, erläutert WIdO- Geschäftsführer Jürgen Klauber. „Bei einzelnen Diagnosen dürfte angesichts der großen und anhaltenden Einbrüche auch der Abbau von Überversorgung eine Rolle spielen.“

Als „Booster“ für einen grundsätzlichen Wandel bezeichnet denn auch die Vorstandschefin des AOK-Bundesverbandes, Dr. Carola Reimann, die Entwicklung durch die Pandemie. „Die stärkere Ambulantisierung, gerade bei chronischen Erkrankungen, ist ein Ziel der geplanten Krankenhausreform, das wir voll und ganz unterstützen. Darin liegt jetzt die Chance, das Leistungsgeschehen in den Krankenhäusern auf die Leistungen zu begrenzen, die wirklich eine stationäre Behandlung brauchen und flächendeckend in hoher Qualität erbracht werden.“

Ein guter Ansatz zur Ambulantisierung sei die Einführung der sogenannten „Level Ii“-Krankenhäuser, die die Reformkommission vorgeschlagen hat. Reimann: „Sie können eine Brücke zwischen den Sektoren ambulanter und stationärer Versorgung bilden und sich gerade um ältere und chronisch kranke Patientinnen und Patienten mit Herzerkrankungen, Diabetes oder COPD kümmern.

Diese Menschen brauchen bei akuten Verschlechterungen ihres Zustandes zwar oft eine pflegerische Rund-um-die-Uhr-Beobachtung und eine kompetente medizinische Versorgung. Aber sie brauchen keine teure vollstationäre Behandlung in einer spezialisierten Fachabteilung mit High-Tech-Geräten und hoch spezialisierten Fachkräften.

Im Gegensatz zu den beiden Vorjahren haben sich die Op-Zahlen der WIdO-Analyse zufolge bei den planbaren Hüftgelenksimplantationen trotz der Omikron-Wellen normalisiert (minus zwei Prozent). Erneut starke Einbrüche gab es dagegen bei den Mandeloperationen (minus 35 Prozent). „Eine Ursache könnte sein, dass die Hygieneregeln während der Pandemie das Auftreten von Mandelentzündungen verringert haben.

Doch die Rückgänge könnten auch auf einen Abbau von Überversorgung hindeuten“, sagt Klauber. „Studien und Analysen zeigen nämlich, dass diese Eingriffe in der Vergangenheit häufig ohne leitliniengerechte Indikation durchgeführt wurden.“

Rückgang bei Darmkrebs-Op ist noch größer

Bei den Brustkrebs-Op betrug der Rückgang gegenüber 2019 fünf Prozent. „Besonderen Anlass zur Sorge gibt der deutlich stärkere Einbruch bei den Darmkrebs-Operationen“, so Jürgen Klauber.

Diese gingen gegenüber der Zeit vor der Pandemie um 16 Prozent zurück – und damit noch stärker als im ersten (minus zehn Prozent) und zweiten Pandemiejahr (minus zwölf Prozent). „Das könnte mit dem reduzierten Umfang der Darmspiegelungen zu tun haben, den wir bereits in früheren Auswertungen des WIdO festgestellt haben“, erklärt Klauber.

Auffällig ist auch der anhaltende Rückgang der Fallzahlen bei den Herzinfarkten und Schlaganfällen, der in den WIdO-Daten bis Oktober 2022 zu sehen ist: Die Herzinfarkt-Behandlungen sind gegenüber 2019 um 13 Prozent zurückgegangen, die Schlaganfall-Behandlungen um elf Prozent. Damit gab es bei diesen Notfällen sogar noch stärkere Rückgänge als im ersten und zweiten Pandemie-Jahr.

„Wir können uns das nicht hundertprozentig erklären. Die Daten deuten darauf hin, dass die Rückgänge bei den leichteren Infarkten und Schlaganfällen höher sind. Offenbar sind insbesondere Menschen mit milderen Symptomen weniger im Krankenhaus behandelt worden“, so Klauber. Es gelte weiter der Appell, bei diesen Notfällen unbedingt und ohne Zögern den Rettungsdienst zu alarmieren.

Anteil der schweren COVID-19- Erkrankungen deutlich gesunken

Das WIdO hat in seiner Auswertung auch die Entwicklungen bei den stationär behandelten Patienten betrachtet, die wegen COVID-19 im Krankenhaus waren. Im Zuge der Omikron-Wellen hat der Anteil der Patienten, die nicht primär wegen COVID-19 im Krankenhaus waren, aber diese Diagnose auch aufwiesen, 2022 deutlich zugenommen. Für einen konsistenten Vergleich über die Pandemiewellen hinweg wurde die Auswertung daher auf Patienten beschränkt, bei denen COVID-19 der primäre Behandlungsanlass war.

Der Vergleich der bisherigen Pandemiewellen zeigt, dass der Anteil der schweren Erkrankungen in den beiden Omikron-Wellen des Jahres 2022 deutlich gesunken ist. So sank der Anteil der beatmeten Patienten in der sechsten Pandemiewelle von Juni bis September 2022 auf acht Prozent. Zum Vergleich: In der vierten Welle Ende 2021 waren es noch 22 Prozent gewesen.

Sterblichkeit bei beatmeten COVID-Patienten unverändert hoch

Auch die Sterblichkeit lag in den beiden Omikron-Wellen mit 17 beziehungsweise zwölf Prozent deutlich niedriger als noch in der vierten Pandemiewelle von Oktober bis Dezember 2021 mit 23 Prozent. In der dritten Pandemiewelle von März bis Mai 2021 hatte die Sterblichkeit schon einmal bei 17 Prozent gelegen.

In dieser Phase der Pandemie dürfte jedoch vor allem das niedrige Durchschnittsalter der Patientinnen und Patienten von 62 Jahren dazu beigetragen haben. In den ersten beiden Pandemiewellen hatte es noch bei 68 beziehungsweise 70 Jahren gelegen, in der Omikron-Welle Anfang 2022 waren es dann 71 Jahre.

Allerdings bleibt die Sterblichkeit bei beatmeten Patienten unverändert hoch: Sie lag in der sechsten Pandemiewelle bei 49 Prozent. 60 Prozent der beatmeten Patienten sind Männer. Auffallend ist die kontinuierlich abnehmende Dauer der Beatmung: Lag diese in der ersten Pandemiewelle bei durchschnittlich 18 Tagen, so waren es in der sechsten Pandemiewelle Mitte 2022 nur noch zehn Tage. „Die Daten spiegeln wider, dass die Omikron-Variante des Coronavirus glücklicherweise seltener zu schweren Krankheitsverläufen führt als die Vorgänger-Varianten“, erläutert Klauber die Ergebnisse.

Die Auswertung des WIdO zu den Krankenhaus-Fallzahlen basiert auf den Abrechnungsdaten der AOK-Versicherten, die etwa ein Drittel der deutschen Bevölkerung abbilden. Basis für die COVID-19-Analysen waren die Daten von Patientinnen und Patienten, die mit bestätigter COVID-19-Diagnose und für diese Erkrankung relevanter Hauptdiagnose im Krankenhaus waren.

Ausgewertet wurden die Daten von rund 220.000 Patientinnen und Patienten, die vom 1. Februar 2020 bis zum 30. September 2022 in den deutschen Krankenhäusern aufgenommen worden waren. (eb)

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