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Interview zum WIdO-Gesundheitsatlas

Rückenschmerz? Wir müssen Prävention viel breiter denken!

Materiell benachteiligte Menschen leiden häufiger unter Rückenschmerzen als Beschäftigte mit höherem Einkommen. Das ergab eine Auswertung des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO). Helmut Schröder, WIdO-Geschäftsführer und Co-Autor der Studie, über Prophylaxe-Möglichkeiten von Kommunen und Unternehmen.

Von Frank Brunner Veröffentlicht:
Fast ein Drittel der Bevölkerung leidet unter Rückenschmerz, so das Ergebnis des aktuellen WIdO-Gesundheitsatlas.

Fast ein Drittel der Bevölkerung leidet unter Rückenschmerz, so das Ergebnis des aktuellen WIdO-Gesundheitsatlas.

© gilaxia / Getty Images / iStock

Herr Schröder, der aktuelle Gesundheitsatlas des WIdO zeigt, dass fast ein Drittel der Menschen hierzulande unter Rückenschmerzen leidet. Was ist das Besondere an dieser Untersuchung?

Erstmals stehen Zahlen und Fakten über die Verbreitung von Rückenschmerzen in der gesamten Bevölkerung Deutschlands zur Verfügung. Das Besondere ist dabei, dass dadurch bis auf die Ebene der 400 Landkreise und Städte transparent gemacht wird, wie häufig die Erkrankung vorkommt. Die Auswertungen können Landräten und Bürgermeistern helfen, ihre regionale Situation einzuordnen und Ansätze zu entwickeln, um die gesundheitliche Versorgung der Bürger vor Ort zu verbessern. Denn in den Kommunen werden die Rahmenbedingungen für ein gesundes Leben geschaffen.

Helmut Schröder ist diplomierter Soziologe und Geschäftsführer des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO).

Helmut Schröder ist diplomierter Soziologe und Geschäftsführer des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO).

© AOK-Mediendienst

Was sind die Risikofaktoren für Rückenschmerzen?

Neben einem höheren Alter gibt es verschiedene Risikofaktoren, die zur Entstehung oder Chronifizierung von unspezifischen Rückenschmerzen führen können. Dazu zählen psychosoziale Ursachen, beispielsweise Depression, Stress und Ängstlichkeit. Ein zweiter Aspekt sind arbeitsplatzbezogene Auslöser, wie starke körperliche Belastung, aber auch Unzufriedenheit im Job.

Rauchen und Übergewicht stehen ebenfalls im Zusammenhang mit Rückenschmerzen.

Welche Konsequenzen können wir daraus ziehen?

Noch genügt die Evidenz nicht, um kausale Schlüsse ziehen zu können. Dieses Manko spiegelt sich auch in den Präventionsmöglichkeiten. Belegt ist jedoch, dass regelmäßige körperliche Aktivität Rückenschmerzen vorbeugen kann.

Zumindest scheint eine Kausalität zwischen Adipositas und Rückenschmerzen zu existieren.

Unsere Analyse zeigt eine Korrelation: In Regionen mit höherem Anteil an Menschen mit ärztlich dokumentierter Adipositas leben prozentual mehr Personen mit Rückenschmerzen als in Gegenden mit einem geringeren Prozentsatz an Personen mit Übergewicht. Dies bedeutet jedoch nicht zwangsläufig, dass Adipositas zur Entstehung von Rückenschmerzen führt. Es ist nicht klar, ob das Übergewicht zu Rückenschmerzen führt oder die Rückenschmerzen einen Bewegungsmangel hervorrufen, der dann ein Übergewicht fördert. Auch wenn sich also statistisch eine Verbindung zeigt, muss diese keine Ursache-Folge-Beziehung beschreiben.

Was kann von Akteuren in den Gemeinden unternommen werden?

Zielgruppenspezifische Interventionen in den Kommunen haben insbesondere vulnerable Gruppen im Blick. Das heißt: In Kindergärten, Schulen, Sportvereinen oder Seniorentreffs können Stadtverwaltungen entsprechende Bewegungsangebote initiieren, die helfen, dass der Rücken erst gar nicht in Mitleidenschaft gezogen wird oder zumindest dauerhafter Schmerz vermieden werden kann. Das können Bewegungen im Sitzen, Spaziergänge oder auch Yoga sein.

Welche Maßnahmen können Berufstätige ergreifen?

In Unternehmen sind geeignete Maßnahmen am Arbeitsplatz sinnvoll. Dazu zählen eine möglichst ergonomische Gestaltung des Arbeitsplatzes, die Vermeidung einer Körperfehlhaltung und des Hebens schwerer Lasten. Aber auch psychologische Maßnahmen, wie die Förderung der Arbeitsplatzzufriedenheit, können der Entstehung und Chronifizierung von Rückenschmerzen vorbeugen. Die gesetzlichen Krankenkassen unterstützen Betriebe bei der Gesunderhaltung ihrer Mitarbeiter.

Haben Sie Beispiele für konkrete Präventionsmöglichkeiten?

Bei Tätigkeiten mit körperlicher Beanspruchung, etwa in der Pflege, können spezifische Hebetechniken trainiert und technische Unterstützungen wie elektrische Personenlifter genutzt werden. Bei Tätigkeiten im Sitzen bieten höhenverstellbare Schreibtische, ergonomische Bürostühle oder Bewegungspausen angemessene Möglichkeiten. Wichtig ist dabei, dass rückenentlastende Hilfsmittel nicht nur im Büro, sondern auch beim mobilen Arbeiten oder am heimischen Arbeitsplatz zum Einsatz kommen.

Aus dem Gesundheitsatlas geht hervor, dass die Wahrscheinlichkeit für Rückenschmerzen mit zunehmendem Alter sehr stark steigt. Offenbar ist der Einfluss von Vorbeugung geringer als vermutet.

Vielleicht können Bewegung und Sport Rückenschmerzen im Alter nicht immer vermeiden. Mit Bewegung gerade auch im jüngeren Lebensalter kann jedoch der Rücken trainiert werden, damit er den Herausforderungen des Alterns besser gewachsen ist.

Konnten Sie und Ihre Kollegen weitere Erkenntnisse gewinnen?

Materiell und sozial benachteiligte Menschen leiden häufiger unter Rückenschmerzen als Menschen mit einem hohen sozialen Status. Wir sehen das unter anderem daran, dass in wirtschaftlich prosperierenden Regionen, in denen vergleichsweise viele Menschen mit höheren Einkommen leben, die Rückenschmerz-Häufigkeit geringer ist als in strukturschwachen Landstrichen. Selbst bei Berücksichtigung der unterschiedlichen Altersstrukturen in den jeweiligen Regionen bleibt dieser Zusammenhang bestehen.

Vielen Dank für das Gespräch.
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