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Interview

Tonsillektomie: Zweitmeinung kann helfen

Es gibt Indikationen zur Tonsillektomie, die unstrittig sind, sagt Professor Markus Jungehülsing vom Ernst von Bergmann Klinikum Potsdam. Warum er trotzdem ein Freund der Zweitmeinung ist.

Von Taina Ebert-Rall Veröffentlicht:
Professor Markus Jungehülsing ist Chefarzt der Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde am Ernst von Bergmann Klinikum Potsdam.

Professor Markus Jungehülsing ist Chefarzt der Klinik für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde am Ernst von Bergmann Klinikum Potsdam.

© Fotostudio Vonderlind

Die Ergebnisse aus dem QSR-Verfahren zeigen deutliche Unterschiede zwischen Kliniken bei den Komplikationsraten nach Tonsilleneingriffen. Worauf kommt es bei Tonsillenoperationen an?

Die Tonsillektomie zählt zu den Routine-Operationen. Der Eingriff ist nicht immer unkompliziert, vor allem wenn die Tonsillen durch vorangegangene tiefgreifende Entzündungen stark mit ihrer Umgebung vernarbt sind.

Während der Tonsillektomie werden die Mandeln mit ihrer Pseudokapsel aus der Gaumenmuskulatur herausgelöst. Hierbei kommen unterschiedliche Techniken zur Anwendung: die stumpfe Präparation mit dem Raspartorium, die scharfe Präparation mit der Schere, aber auch die Präparation mit dem elektrischen Messer oder der Coblation. Es entsteht immer eine große Wundfläche in der Muskulatur, die verheilen muss. Der entstehende Defekt wird aus vielerlei Gründen nicht vernäht. Unter der Mandel liegen einige große arterielle Gefäße. Werden diese verletzt oder durch darauffolgende Entzündungs- und Wundheilungsprozesse arrodiert, kommt es zu mitunter lebensgefährlichen Blutungen.

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Auch kann der Nerv für den Geschmack und der Nerv für die Beweglichkeit der Zunge primär durch die Operation oder sekundär durch die Wundheilung geschädigt werden. Eine zu tiefe Resektion der Mandeln oder eine protrahierte Wundheilung können bewirken, dass sich der Gaumen nicht mehr richtig schließen kann beim Schlucken und Sprechen. Deswegen ist die schonende und gelegentlich zeitaufwändige Gewebspräparation bei der Operation essenziell. Je weniger Gewebe und Schleimhaut geschädigt wird, desto schneller und besser verläuft der Heilungsprozess. Dies muss man auch bei der angewandten Technik berücksichtigen. Zum Beispiel führt der übermäßige Einsatz der bipolaren Koagulation der blutenden Gefäße zu tiefergreifenden Gewebsschäden und damit zumindest zu einer längerdauernden Wundheilung.

Allerdings kann es auch bei sehr sorgfältig durchgeführter Präparation zu einer stärkeren Blutung oder Nachblutung kommen. Die Gründe hierfür sind wiederum vielfältig und liegen nicht an der Qualität der durchgeführten Operation.

Deswegen erlebt seit 15 Jahren die Tonsillen-Teilentfernung eine Renaissance: Hierbei wird nur der größere Teil der Tonsille entfernt, Kapsel und Tonsillenrestgewebe verbleiben auf der Muskulatur, und es kommt durch die weniger tiefe Resektion viel seltener zu Nachblutungen und Wundheilungsstörungen. Bei diesem Verfahren kann es aber zu einem Rezidiv der Mandelentzündungen kommen, da ja circa ein Drittel Restgewebe verbleibt und sich wieder entzünden kann, und letztlich die komplette Entfernung der Restmandeln notwendig machen.

Warum werden Reinterventionen wegen Nachblutungen, Allgemeinkomplikationen und funktionelle Störungen in den Fokus gerückt?

Die Nachblutung ist bei der Tonsillektomie eine häufige und gelegentlich auch bedrohliche Komplikation. Nachblutungen nach einer Mandelentfernung können so stark sein, dass sie lebensbedrohlich sind. So liegt der Fokus auch auf Anzeichen eines komplizierteren Verlaufs wie einer intensivmedizinischen Behandlung.

Außerdem kann es zu weiteren Allgemeinkomplikationen kommen. Dazu gehören etwa eine Sepsis oder respiratorische Komplikationen. Funktionelle Störungen nach einer Mandelentfernung wie Geschmacksstörungen, Zungenbeweglichkeitsstörungen und Störungen des Gaumenschlusses sind eher selten und können in der Regel durch eine sorgfältige Indikationsstellung zur Op – und durch eine sachgemäße Durchführung der Operation vermieden werden. Nichtsdestoweniger treten sie in einem geringen Prozentsatz auch bei sachgemäßem Vorgehen auf. Tritt eine solche Komplikation allerdings bei einem Operateur häufiger auf, muss dieser seine Operationstechnik überdenken.

Worauf ist bei der Entscheidung zur Operation zu achten?

Grundsätzlich muss der Nutzen des Eingriffs größer sein als die möglichen Gefahren durch die Operation, und die Entscheidung darf vor allem wegen der Nachblutungsgefahr nicht leichtfertig getroffen werden. Die AWMF-Richtlinien zur Therapie entzündlicher Erkrankungen der Gaumenmandeln geben hierzu seit 2015 detailliert Auskunft. Es gibt Indikationen zur Tonsillektomie, die unstrittig sind: rezidivierende Abszesse in oder hinter den Mandeln, der Verdacht auf eine Tumorerkrankung der Mandeln und die häufig rezidivierende, akute, fieberhafte Tonsillitis gehören dazu.

Eine einfache symmetrische Vergrößerung der Mandeln ohne weitere Symptome, das regelmäßige Entleeren von Detritus aus den Mandelkrypten, Foetor ex ore, ein Globusgefühl, oder gelegentliche Halsschmerzen ohne Fieber und Allgemeinsymptome sind allein wiederum keine Indikation zur Tonsillektomie. Es besteht im Zweifel für die Patienten immer die Möglichkeit, sich eine zweite fachärztliche Meinung einzuholen.

Unstrittige Indikationen zur Tonsillenteilenfernung mit Adenotomie sind massiv vergrößerte Mandeln bei Kindern mit Schlafapnoe und/oder chronischem Paukenerguss. Eine prospektive multizentrische Studie in Deutschland, die TOTO- Studie, überprüft derzeit die Ergebnisse der Tonsillektomie mit den Ergebnissen der Tonsillotomie bei Patienten, bei denen beide Verfahren möglich wären; hierzu gibt es nämlich im Schrifttum noch keine eindeutigen Ergebnisse. Grundsätzlich besteht auch hier immer die Möglichkeit, eine zweite fachärztliche Meinung einzuholen.

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