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Operationen

Vor Tonsillektomie Historie beachten

Viele Patienten mit einer Tonsillektomie erhalten vor diesem Eingriff keine adäquate ambulante Antibiotikabehandlung. Diese Vermutung legt eine jüngst veröffentlichte WIdO-Auswertung von mehr als 100 000 Tonsillektomien nahe.

Von Taina Ebert-Rall Veröffentlicht:
Positiver Trend: Vor allem bei Kindern zeigte sich in den vergangenen Jahren ein deutlicher Rückgang bei den Tonsillektomien.

Positiver Trend: Vor allem bei Kindern zeigte sich in den vergangenen Jahren ein deutlicher Rückgang bei den Tonsillektomien.

© LightFieldStudios / Getty Images / iStock

Berlin. Einer Studie des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) zufolge ließ sich bei etwa der Hälfte der AOK-Versicherten, denen in den Jahren 2012 bis 2018 die Gaumenmandeln wegen einer „chronischen Tonsillitis“ operativ entfernt wurden, keine oder keine wiederholte ambulante Behandlung mit Antibiotika nachweisen.

Das deute darauf hin, „dass die konservative Tonsillitis-Therapie mit Antibiotika vor Operation bei vielen Patientinnen und Patienten nach wie vor nicht ausgeschöpft wird“, erklärt der Leiter des WIdO-Bereichs Qualitäts- und Versorgungsforschung, Christian Günster.

Dabei spiele laut der 2015 veröffentlichten Leitlinie zur Behandlung der Tonsillitis die Tonsillektomie als Therapieoption erst dann eine Rolle, wenn mindestens drei antibiotikumpflichtige, eitrige Mandelentzündungen in den letzten zwölf Monaten bei Indikationsstellung festgestellt wurden.

Patienten machen nicht immer mit

Für die in der Zeitschrift HNO erschienene Untersuchung hatte das WIdO anonymisierte Daten von knapp 110.000 Mandelentfernungen mit Daten aus der ambulanten ärztlichen Versorgung samt Arzneiverordnungsdaten der betreffenden Patienten verknüpft (Windfuhr JP, Schmuker C, Günster C. Halsschmerzen als Operationsindikation vor und nach Publikation der Tonsillitis-Leitlinie: Longitudinalstudie mit 115839 Tonsillektomiefällen. HNO 2020, https://link.springer.com/article/10.1007/s00106-020-00944-8).

„Das macht die Studie so einzigartig“, betont Studienautor Jochen Windfuhr, Chefarzt der HNO-Klinik Mönchengladbach. Er weist zugleich auf eine problematische Interpretation der Studienergebnisse hin. Nicht immer sei „leicht nachvollziehbar, warum bei Patienten die Mandeln entfernt werden“. Ärzte seien oft in einer „schwierigen Lage“, etwa, weil sich Patienten nicht an deren Rat hielten.

Prof. Jochen Windfuhr ist Chefarzt der HNO-Klinik Mönchengladbach und Mitautor der Studie „Halsschmerzen als Operationsindikation vor und nach Publikation der Tonsillitis-Leitlinie“

Prof. Jochen Windfuhr ist Chefarzt der HNO-Klinik Mönchengladbach und Mitautor der Studie „Halsschmerzen als Operationsindikation vor und nach Publikation der Tonsillitis-Leitlinie“

© privat

Windfuhr: „Es gibt einfach zu viele Faktoren, die wir als Ärzte nicht überprüfen können. Viele Patienten brechen zum Beispiel die Einnahme eines Antibiotikums frühzeitig ab, etwa wenn die Halsschmerzen nachgelassen haben. Oder sie entscheiden sich aus privaten oder beruflichen Gründen gegen eine Arztkonsultation wegen Halsschmerzen“.

Auch sei es nicht ganz einfach, eine chronische Tonsillitis von einer Rachenentzündung oder von Mischformen zu unterscheiden, bei denen Antibiotika gar nicht wirkten. Im Gegensatz zu den typischen Symptomen und Schmerzen einer akuten Tonsillitis sei eine chronische Tonsillitis mit eher allgemeinen Beschwerden wie verminderter Leistungs- und Konzentrationsfähigkeit schwieriger zu erkennen.

Dies geht auch aus der 2020 neu veröffentlichten Leitlinie „Halsschmerzen“ der Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM) hervor (www.awmf.org/ uploads/tx_szleitlinien/053-010k-S3_Halsschmerzen_2020-11_2.pdf)

Deutlicher Fallzahlrückgang

Nach der Datenanalyse ging der Anteil der Patienten, die im Jahr vor der Operation gar nicht oder nur in einem einzigen Quartal wegen einer Tonsillitis behandelt und denen Antibiotika verordnet wurden, im Beobachtungszeitraum von 50,4 Prozent im Jahr 2012 auf 44,9 Prozent 2018 zurück. Dennoch wurden die Eingriffe unter der Diagnose „chronische Mandelentzündung“ ausgeführt. „Hier spielt möglicherweise ein Kodierungsproblem eine Rolle“, so Windfuhr.

Insgesamt wurde im Beobachtungszeitraum von 2012 bis 2018 ein deutlicher Fallzahlrückgang bei den Mandelentfernungen um 50,3 Prozent festgestellt. Nach der Veröffentlichung der Tonsillitis-Leitlinie im August 2015 habe sich diese Entwicklung nur leicht verstärkt. „Dies passt zu dem bereits seit 2005 nachweisbaren bundesweit stattfindenden Trend sinkender Fallzahlen“. Am deutlichsten ließ sich dies bei unter zehnjährigen nachweisen. Dies sehen die Autoren in der zunehmenden Akzeptanz der Tonsillotomie als Ersatz für die Tonsillektomie begründet.

Professor Jochen Windfuhr

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