Kooperation | In Kooperation mit: AOK-Bundesverband

Shared Decision Making

Wenn Patienten bei medizinischen Entscheidungen mitreden

Shared Decision Making soll die Therapietreue von Patienten erhöhen. In Bremen wird die gemeinsame Entscheidungsfindung jetzt Teil des Hausarztvertrages.

Von Jörn Hons Veröffentlicht:
In Bremen sollen 450 Hausärzte die Entscheidungsfindung mit Patienten einsetzen.

In Bremen sollen 450 Hausärzte die Entscheidungsfindung mit Patienten einsetzen.

© Alexander Raths / Getty Images / iStock

Berlin. Das Ideal: Ein Arzt legt mit seinem Patienten fest, welche Diagnostik infrage kommt und welche Therapie gewählt wird, er spricht über die Medikamente und gibt ihm einen Behandlungsplan mit, an den sich der Patient dann Wort für Wort hält. Das Problem: So idealtypisch läuft eine Arzt-Patienten-Beziehung ziemlich selten ab.

Ein Grund, warum „Shared Decision Making“ (SDM), die gemeinsame Entscheidungsfindung zwischen Arzt und Patient, immer mehr Bedeutung gewinnt. Mit ihr sollen die immer besser informierten Patienten „abgeholt“ und auf Augenhöhe betreut werden – und andererseits soll damit die Bereitschaft der Kranken steigen, einer gemeinsam vereinbarten Therapie auch treu zu bleiben. Denn Tatsache ist auch, dass viele Menschen sich im Gespräch mit ihrem Arzt nicht richtig gehört, nicht richtig gesehen, nicht richtig ernst genommen fühlen.

Im Bundesland Bremen ändert sich das gerade: die AOK Bremen/Bremerhaven setzt zusammen mit weiteren Partnern „Shared Decision Making“ um. Hausärzte und Patienten sollen dabei lernen, besser miteinander zu sprechen und gemeinsam, auf Augenhöhe, über die passende Therapie entscheiden. SDM ist ein neuer Bestandteil des Hausarztvertrages in Bremen – und verpflichtet damit rund 450 Hausärzte, es anzuwenden.

Projekt aus dem Innovationsfonds

Entwickelt wurde das Programm am Campus Kiel des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein, wo es Klinikärzte seit mehreren Jahren erproben und anwenden – finanziert mit Mitteln des Innovationsfonds. Professor Friedemann Geiger, Psychologe und Leiter des Programms, hält die gemeinsame Entscheidungsfindung immer dann für angebracht, wenn mehrere Behandlungsmöglichkeiten medizinisch vertretbar sind. „Einerseits muss der Arzt dabei verständlich über die Vor- und Nachteile der Optionen informieren“, betont Geiger, „dafür ist er der Experte“. Anderseits müsse der Patient beitragen, welche Wünsche und Befürchtungen er habe. „Das kann man als Arzt nicht voraussehen – dafür ist der Patient der Experte.“

MFA werden zu Decision Coaches

Das Programm für eine gemeinsame Entscheidungsfindung besteht aus vier Modulen: einem Training für Ärzte, der Information und Aktivierung der Patienten, den Online-Entscheidungshilfen und der Ausbildung von Praxis-Mitarbeitern zu sogenannten Decision-Coaches (Entscheidungstrainern). So können Ärzte zum Beispiel auf einer Internetplattform Onlinetrainings absolvieren und mit einem Wissenstest abschließen.

Shared Decision Making ist kein Zwang, sondern ein Angebot an die Patienten.

Prof. Friedemann Geiger, Psychologe und Leiter des Programms zum Shared Decision Making der Uniklinik Schleswig-Holstein

Ein zentrales Element ist auch das Training der Mediziner im ganz regulären Arzt-Patienten-Gespräch, das per Video aufgezeichnet werden kann. Experten des Uniklinikums schauen sich diese Gespräche der Ärzte mit den Patienten an – und geben ihnen anschließend Tipps, was sie beim nächsten Mal besser machen können. „Viele Patienten sagen, dass ihr Arzt viel zu wenig fragt – und dass er sie im Gespräch häufig nicht ernst nimmt oder gar übergeht“, so Geiger. Die Mediziner will er mit Hilfe von SDM dazu bringen, sich intensiver mit den Patienten auseinanderzusetzen. Vor allem chronisch Kranke sollen davon profitieren.

Drei Fragen sollten geklärt werden

Zwar lässt sich fast jede Krankheit umfassend im Internet recherchieren, mehr Orientierung bietet das aber nicht automatisch – sondern erst im Gespräch mit dem Arzt, betont Geiger. Er stellt aber auch klar: „Shared Decision Making ist kein Zwang, sondern ein Angebot an die Patienten.“ Dafür müssten alle hinzulernen: Ärzte, medizinisches Personal und Patienten. Die Patienten sollen dabei in erster Linie lernen, im Gespräch mit dem Arzt drei wichtige Fragen zu stellen:

  • Welche Möglichkeiten habe ich (inklusive Abwarten und Beobachten)?
  • Was sind die Vorteile und die Nachteile jeder dieser Behandlungsmöglichkeiten?
  • Wie wahrscheinlich ist es, dass diese Vorteile und Nachteile bei mir auftreten?

Damit diese Fragen bei den unterschiedlichen Krankheiten im entscheidenden Moment präsent sind, werden sie online, als Broschüren, Handkarten und Videos zur Verfügung gestellt. Insgesamt arbeiten die Kieler Forscher an 80 Entscheidungshilfen, knapp die Hälfte sind bereits im Einsatz. Mit von der Partie beim Kieler Projekt ist Fernsehmoderator Dr. Eckart von Hirschhausen. Im Video erläutert er das Projekt sowie den Gebrauch der Entscheidungshilfen. Laut Geiger zeigen wissenschaftliche Studien, dass sich die Patientenzufriedenheit mit solchen Infos und den Trainings der Ärzte deutlich verbessert. „Einzigartig in Bremen ist, dass wir Shared Decision Making in einem ganzen Bundesland einführen – und wir sind optimistisch, dass wir dieses Modell auf den Rest der Republik übertragen können.“

Weitere Informationen: www.sdm-bremen.de

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