HINTERGRUND

Neue Konservierungsbox läßt das explantierte Herz schlagen, während es zum Empfänger reist

Von Nicola Siegmund-Schultze Veröffentlicht:

Weltweit zum ersten Mal ist Mitte Januar in Bad Oeynhausen ein Herz verpflanzt worden, das in der Konservierungsbox nicht stillgestanden, sondern geschlagen hat. Damit läßt sich möglicherweise das Zeitfenster zwischen Ex- und Implantation von vier auf zwölf Stunden erweitern.

Das neue Konservierungssystem könnte helfen, den Organmangel in Deutschland zu lindern. So sind 2005 in Deutschland knapp vierhundert Herzen verpflanzt worden, und sie haben nur für etwa die Hälfe der Kranken gereicht, die auf der Warteliste standen.

Erst kürzlich hat das Herz- und Diabeteszentrums Bad Oeynhausen ein Spenderherz mit sehr guter Funktion ablehnen müssen, welches aus Griechenland gekommen wäre: "Bis zur Implantation hätte das Herz etwa sechs Stunden undurchblutet in einer Konservierungslösung gelegen", sagt Privatdozent Gero Tenderich von dem Zentrum, "zu lange, um eine für den Empfänger akzeptable Langzeitfunktion erzielen zu können."

Die Ischämiezeit liegt bisher bei maximal drei Stunden

Wird irgendwo ein Organspender gemeldet, beginnt ein Wettlauf mit der Zeit. Für Herzverpflanzungen gilt das besonders. Denn beträgt die Ischämiezeit, also die Zeit, in der das Organ nicht durchblutet wird, mehr als drei Stunden, erhöht sich die Einjahresmortalität der Empfänger um etwa 50 Prozent im Vergleich mit Patienten, die ein Herz erhalten, welches nur für eine Stunde stillgestanden hat. "Im Durchschnitt beträgt die Ischämiezeit für Herzen in Deutschland drei Stunden, an unserem Zentrum akzeptieren wir maximal vier Stunden", so Tenderich zur "Ärzte Zeitung".

Das Herz ist sehr empfindlich für Ischämieschäden. Sie können durch die herkömmlichen Konservierungsmethoden bei vier Grad Celsius vermindert, nicht aber verhindert werden. Das könnte sich mit dem neuen System ändern. "Sollte es sich in der klinischen Praxis bewähren, dürfte eine neue Ära in der Herztransplantation anbrechen", vermutet Professor Reiner Körfer, Leiter des Herz- und Diabeteszentrums Bad Oeynhausen.

Kernstück des transportablen Organ Care Systems des US-Unternehmen TransMedics ist ein Perfusionsmodul, in welches das explantierte Herz gelegt wird. Ein bis 1,5 Liter heparinisiertes Spenderblut, das Körpertemperatur hat, durchströmt die Koronararterien, nicht aber die Kammern. Das Herz schlägt also leer. Das Blut wird kontinuierlich mit Sauerstoff und Nährsubstanzen angereichert. Ein schnurloser Monitor steuert die Systemfunktionen und zeigt in Echtzeit Parameter zur Überprüfung der Organfunktion an.

"Wir haben mit dem System die Zeit der Kardioplegie von erwarteten 186 Minuten auf 16 Minuten verkürzen können", so Tenderich.

Außerdem ermögliche das System den Chirurgen, das Herz nach dem Transport eingehend zu untersuchen, bevor sie es einpflanzen. Es werden Aortendruck und Kontrollfluß gemessen, Ultraschalluntersuchungen sind möglich, die Herzfunktion inklusive Kontraktilitätsverhalten kann im Perfusionsmodul untersucht werden, auch unter Belastung. Und die Ärzte können immunmodulierende Substanzen geben, die den Reperfusionsschaden mindern sollen, wenn das Herz schließlich vom Blut des Empfängers durchströmt wird.

Studie mit 20 Patienten hat begonnen

Und welche Risiken birgt das System? "Im Moment sehen wir keine", sagt Tenderich. "Aber wir müssen natürlich erst einmal die Ergebnisse der Studie mit 20 Patienten abwarten, die derzeit an vier europäischen Zentren, darunter unserem, läuft", so der Chirurg. Wenn die Studie erfolgreich abgeschlossen sei, werde vermutlich eine größere folgen.

Das Unternehmen teilt mit, es rechne mit einer Zulassung des Systems für die klinische Anwendung in Europa im ersten Quartal 2007. Auch für Lebern und Nieren könne es verwendet werden: Tierlebern hätten darin über längere Zeit weiter Galle produziert, Nieren Harn.

Ziel ist, Spenderorgane mit besserer Funktion über längere Strecken als bisher transportieren zu können, so daß mehr Organe ihre optimalen Empfänger erreichen. Mit dem neuen System wäre vielleicht ein Transport bis zu zwölf Stunden möglich, sagt Tenderich.

Die Deutsche Stiftung Organtransplantation unterstützt die klinische Prüfung des Systems und hat signalisiert, sich bei positivem Ergebnis für die Anwendung einzusetzen.



FAZIT

Eine neue Methode könnte es künftig möglich machen, Organe über längere Zeit außerhalb des Körpers zu konservieren. Bei dem Verfahren werden Organe nach der Explantation mit heparinisiertem Spenderblut durchströmt und in Funktion gehalten. So lassen sich größere Transportstrecken überbrücken und zugleich Organschäden mindern. Bisher werden Organe gekühlt und ohne Blutzirkulation aufbewahrt. (nsi)

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