"Zappelphilipp": Ärzte und Polizei kooperieren

Von Ingeborg Bördlein Veröffentlicht:

MANNHEIM. Kriminelle Karrieren beginnen oft schon im Kindesalter. Besonders gefährdet sind Jungen mit einer hyperkinetischen Störung des Sozialverhaltens, haben Studien gezeigt. In einem bundesweit einmaligen Präventionsprojekt in Mannheim arbeiten Polizisten, Psychiater und Psychologen des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit (ZI) zusammen, um den oft vorgezeichneten Weg vom Zappelphilipp zum Straftäter zu unterbrechen.

Die neuartige Kooperation namens "Zappelphilipp" will durch Früherkennung solcher Störungen und gezielte pädagogisch-therapeutische Maßnahmen in den betroffenen Familien Hilfe zur Selbsthilfe leisten, möglichst schon nach dem ersten Kontakt dieser Kinder mit der Polizei. Die ersten Ergebnisse der Intervention sind ermutigend: Typische Symptome der Aufmerksamkeits-Defizit/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) wie oppositionelles und aggressives Verhalten, Hyperaktivität, Impulsivität und Konzentrationsprobleme waren deutlich zurückgegangen.

Nach der Kriminalstatistik der Stadt Mannheim sind im vergangenen Jahr 541 Kinder zwischen acht und 13 Jahren tatverdächtig gewesen, jährlich kommen weitere 100 Kinder dazu. Meist handelt es sich dabei um Diebstahlsdelikte. Jedes fünfte Kind entwickelte sich aber zum "Intensivtäter" und fiel durch häufige und schwerwiegende Delikte wie schwere Sachbeschädigung, schwere sexuelle Nötigung oder Einsatz einer Waffe auf. Der Rekordhalter hatte schon 53 Delikte auf seinem Konto.

Diese Intensivtäter hatten auffallend häufig eine hyperkinetische Störung des Sozialverhaltens, nämlich zu 60 Prozent. Die meisten waren Jungen unter zehn Jahren, sie hatten Symptome wie trotzköpfiges Verhalten, starke Wutausbrüche und körperliche Aggressivität. Als Erwachsene sind diese Kinder nicht nur depressions- und suchtgefährdet, sondern sie können auch straffällig werden, ist durch Untersuchungen vor allem am ZI Mannheim belegt worden.

Dies bestätigen auch internationale Ergebnisse. Danach leiden ein Viertel der Straftäter in Gefängnissen an ADHS, in der Gesamtbevölkerung sind es dagegen nur fünf Prozent, erläuterte Professor Tobias Banaschewski, Direktor der Kinder- und Jugendpsychiatrie am ZI, bei der Vorstellung des Projekts in Mannheim.

Kinder, die erstmals durch eine Straftat bei der Polizei landen oder beim Jugendamt oder bei Kinderärzten auffällig erscheinen, können an dem Projekt "Zappelphilipp" teilnehmen, wie Claus Himburg von der kommunalen Kriminalprävention Mannheim sagte. Polizisten wurden hierfür eigens geschult, um entsprechende Hinweise auf eine ADHS-Symptomatik zu erkennen.

Bislang konnten 26 Familien für das Präventionsprojekt gewonnen werden, acht haben die Intensivphase der Behandlung bereits abgeschlossen. Die umfassende Diagnostik mit klinischem Interview, Fragebögen, EEG und psychologischen Testverfahren hat bei den meisten der 26 Kinder - fast ausschließlich Jungen - eine hyperkinetische sowie eine Störung des Sozialverhaltens ergeben.

Die Kinder und ihre Familien werden von einem fünfköpfigen Team des ZI - einem Arzt, einer Psychologin und drei Familientrainern - betreut. Dies geschieht als Hometreatment - also im häuslichen Umfeld der Kinder. In 18 Sitzungen von je eineinhalb Stunden über vier Monate werden mit den Kindern und ihren Familienangehörigen etwa das Aufstellen von festen Hausregeln, das Erkennen von Gefühlen, der Umgang mit Wut und Streß und das Bestärken durch positive Rückmeldung eingeübt. Medikamente stehen erst an zweiter Stelle.

Die erste Bewertung nach dieser intensiven Behandlungsphase hat gezeigt, daß die Verhaltensauffälligkeiten der Kinder deutlich abgenommen und fast das Normalniveau von gesunden Jungen erreicht haben. Dieser erste Erfolg soll in drei Auffrischsitzungen im Abstand von jeweils drei Monaten manifestiert werden, bevor die Abschlußbewertung etwa nach einem Jahr stattfindet, erklärte der ärztliche Leiter des Projekts Dr. Gerhard Ristow.

Eine abschließende Evaluation wird nach zwei und zehn Jahren angestrebt- Auch bei der Polizei wird verfolgt, ob die Kinder bis zum 18. Lebensjahr noch einmal straffällig werden.

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