HINTERGRUND

Zu viel riskiert - auch neues EPO-Mittel ist nachweisbar

Von Andreas Zellmer und Benjamin Haller Veröffentlicht:

Mit einem rigiden Anti-Doping-Kurs und pathetischer Rhetorik kämpfen die Renn-Direktoren verbissen um die zur Tour de Farce verkommene Frankreich-Rundfahrt. Gleichzeitig werden selbst im Tour-verrückten Gastgeberland Stimmen immer lauter, den "Zirkus", zu beenden. Das Rennen habe nach dem dritten Dopingfall seine gesamte Glaubwürdigkeit verloren, schrieb die "Libération". Das Bulletin der spanischen "El Mundo" lautete: "Der Radsport und die Tour siechen langsam vor sich hin."

Besserung scheint weit und breit nicht in Sicht. Nach Informationen der "L‘Équipe" sei noch mindestens ein weiterer Fahrer des Saunier-Duval-Teams, das nach dem Doping-Fall Riccardo Ricco die Tour verlassen hat, positiv auf das neue EPO-Präparat CERA getestet worden. Die Staatsanwaltschaft will ein Verfahren gegen Ricco wegen des Gebrauchs verbotener Substanzen einleiten und fügte hinzu, es seien interessante Dinge in dessen Hotelzimmer gefunden worden.

Eindrucksvoller Doppelsieg in den Pyrenäen erregte Verdacht.

Das neue Dopingmittel CERA - ein EPO der 3. Generation - hat eine längere Halbwertzeit als seine Vorgänger. Früher sei der Blutbildner alle ein bis zwei Wochen injiziert worden, beim neuen Mittel sei das nur alle zwei bis vier Wochen nötig, erläuterte Dopingforscher Professor Mario Thevis von der Sporthochschule Köln. Bei CERA ist Epoetin ß mit einem Methoxypolyethylenglycolpolymer verknüpft. Durch diese Pegylierung ist das Molekulargewicht von CERA fast doppelt so groß wie das von nativem Erythropoetin. Damit verlängert sich auch die Serumhalbwertszeit.

Für Tour-Chef Christian Prudhomme kommt ein Stopp des seit 1903 gefahrenen Klassikers natürlich nicht infrage. "1904 gab es schon Dopingfälle. Damals wollte der Renndirektor die Tour absagen, aber daran denken wir heute gar nicht. "Das Gute ist: Die Kontrollen scheinen zu funktionieren und so werden sie die Schlaumeier finden, die immer noch glauben, die Rennveranstalter, die Zuschauer und uns Fahrer betrügen zu müssen", sagte der deutsche Meister Fabian Wegmann.

Zumindest Riccos spanischer Equipe Saunier Duval traut selbst Prudhomme nicht mehr über den Weg. "Ihr Manager Mauro Gianetti ist ein Mann von schlechtem Ruf", sagte der Franzose diesmal unverblümt auf einer Pressekonferenz in Narbonne. Auf die Frage nach systematischem Doping der Spanier, wagte sich Prudhomme sogar weit aus dem Fenster: "Ich weiß nicht, ob sie es organisiert betreiben. Aber was ihre Fahrer auf dem letzten Anstieg nach Hautacam gezeigt haben, schien mir doch etwas zu eindrucksvoll zu sein." Dazu passt auch der Bericht der "L‘Équipe", die mindestens von einem weiteren Doping-Fall in Riccos Saunier-Duval-Team berichtete. Zuletzt hatten dessen Team-Kollegen Leonardo Piepoli und Juan José Cobo Acebo auf der schwersten Pyrenäen-Etappe in Hautacam einen aufsehenerregenden Doppelsieg gefeiert.

STICHWORT

Erythropoetin

EPO-Wirkweise: Das Peptidhormon Erythropoetin (EPO) ist ein Wachstumsfaktor, der die Bildung von täglich 200 Milliarden Erythrozyten während der Hämatopoese stimuliert. EPO-Bindungsstellen gibt jedoch auch in nicht-blutbildenden Geweben, etwa im Hippocampus. Diese Hirnregion ist besonders anfällig für Schäden durch Sauerstoffmangel.

EPO-Präparate: Seit 1989 ist Epoetin a auf dem Markt, ein Jahr später kam Epoetin ß, 2001 Darbepoetin a hinzu. Alle drei sind rekombinante humane Erythropoetine, die mit Ovarialzellen des Chinesischen Hamsters (CHO-Zellen) produziert werden. Seit 2007 ist Epoetin d verfügbar, das über eine humane Tumorzelllinie gewonnen wird. Neueste EPO-Generation ist CERA (Continuous Erythropoiesis Receptor Activator). Hierbei handelt es sich um ein pegyliertes Epoetin ß. Das Mittel hat eine wesentlich längere Wirkdauer als die anderen Präparate.

Indikationen: Ziel einer EPO-Therapie ist es, die Bildung von Erythrozyten zu unterstützen. Und zwar etwa bei Patienten mit renaler Anämie, Tumoranämie oder Anämien infolge von Chemotherapien.

Unerwünschte Wirkungen: Neben allgemeinen Symptomen wie Kopf- und Gelenkschmerzen sowie Schwächegefühl kommen thrombotische vaskuläre Ereignisse, wie etwa Schlaganfall oder Hirnblutung. Auch Blutdruckanstieg, hypertensive Krise und generalisierte tonisch-klonische Krampfanfälle können auftreten.

Missbräuchliche EPO-Anwendung beim Doping erhöht den normalen Erythrozyten-Anteil im Blut und steigert die Thrombosegefahr deutlich.

EPO-Nachweisverfahren: Alle rekombinanten EPO-Formen haben andere Glykosylierungsmuster als das native Erythropoetin. Auch das in menschlichen Zellen hergestellte EPO kann mit den etablierten Standard-Laborverfahren nachgewiesen werden, ebenso wie CERA. (hub)

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