1996: Horst Seehofer allein zu Haus

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Milliarden-Minus bei den Kassen, die Opposition bockt, der Kanzler müde: Seehofers Kampf gegen den Bauchtanz auf Kassenkosten.

Bonn, im Herbst 1996. Die konservativ-liberale Koalition unter dem ewigen Kanzler Helmut Kohl ist müde - ebenso wie die Wirtschaft. Auch die Aura des einstigen Kabinett-Stars Horst Seehofer, der 1992/1993 ein erfolgreiches Reform- und Kostendämpfungskonzept für Krankenkassen zuwege gebracht hat, ist verblasst.

Seehofer hat sich auf die Kassen verlassen, in der Hoffnung, sie entwickelten die von ihm verordneten Budgets weiter.

Tatsächlich sind sie nicht einmal zu ordnungsgemäßer Buchhaltung imstande. Eingelassen hat sich Horst Seehofer auch mit den Leistungserbringern - seit den Petersberger Gesprächen.

Nun sind die Erwartungen groß, es könne zu einem Ende der Budgetierungen kommen. Derweil schreiben die Krankenkassen Milliarden-Defizite, weil es der Wirtschaft an Wachstum mangelt und der Gesetzgeber der GKV zugunsten von Renten- und Arbeitslosenversicherung Beitragseinnahmen entzieht.

Die oppositionelle SPD, die im Bundesrat eine Mehrheit hat, verspürt wenig Lust, dem klamm gewordenen Seehofer zu helfen, zumal dem wenig mehr einfällt, als Patienten durch Zuzahlungen zu belasten.

In der Not greift Seehofer zur Verbalattacke - diesmal gegen die Krankenkassen -, und macht damit zumindest bei den Ärzten Punkte.

Den Ärztetag nutzt er, Frust abzuladen: 22 Prozent Zuwachs bei der Gesundheitsförderung (Stichwort "Bauchtanz"), zehn Prozent Zuwachs bei Kuren, 26 Prozent Zuwachs bei Haushaltshilfen.

Ein Sumpf an Unsinn

Seehofer: "Das verordnen nicht Ärzte, das genehmigen die Kassen." Die Gesundheitsförderung der Kassen werde abgeschafft: "Diesen Sumpf an Unsinn werden wir beenden." Und es werde nicht wie in den vergangenen 20 Jahren Konzessionen unter dem Druck des "Harmonieterrors" geben.

Seehofer ist einsam: Die nächste Stufe seiner Gesundheitsreform muss er ohne den Bundesrat durchbringen. Es werden Gesetze sein, die zwei Jahre später zum Ende der konservativ-liberalen Ära beitragen werden.

Zum Beispiel das erste GKV-Neuordnungsgesetz (NOG): Es schafft einen Automatismus zwischen Beitragserhöhungen der Kassen und Zuzahlungserhöhungen - je 0,1 Prozent Beitragssatz eine DM zusätzliche Belastung für Patienten bei Arznei- und Heilmitteln.

Oder das zweite GKV-Neuordnungsgesetz: Hier installiert Seehofer das Klinik-Notopfer, 20 DM extra, die Versicherte an die GKV zahlen müssen.

Mit dem 2. NOG, das Mitte 1997 in Kraft tritt, bekommen die Kassen mehr Vertragsoptionen, insbesondere für Modellvorhaben und Strukturverträge. Seehofer setzt auf Wettbewerb, Kreativität und Innovation.

Im 2. NOG schafft er für die Vertragsärzte einen Ausweg aus der ökonomisch orientierten Budgetierung: das Grundkonzept der Regelleistungsvolumina. Doch die kommen erst zwölf Jahre später - und machen die Ärzte auch nicht glücklich. (HL)

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