Zeitzeugen berichten: Professor Dr. Hans Rüdiger Vogel

Ärzte und Pharmaindustrie - ein schwieriges Verhältnis

Arzneimittel gehören zu den wichtigsten Werkzeugen der Ärzte, aber auch zu den teuersten. Im Verteilungskampf ist das Verhältnis zwischen Ärzten und Industrie belastet. Fragwürdiges Marketing bringt beide in Korruptionsverdacht. Analyse und Ausblick eines erfahrenen Arztes, Wissenschaftlers und Verbandsfunktionärs.

Von Professor Dr. Hans Rüdiger Vogel Veröffentlicht:

Professor Dr. Hans Rüdiger Vogel

Ärzte und Pharmaindustrie - ein schwieriges Verhältnis

© BIP

Ausbildung: Hans Rüdiger Vogel, Jahrgang 1935, studierte von 1954 bis 1960 Medizin in Freiburg und Mainz, Approbation 1963, wissenschaftlicher Assistent am physiologischen Institut der Uni Mainz, Promotion und Habilitation, Ernennung zum Professor.

Karriere: 1967/68 Geschäftsführender Arzt der Ärztekammer Rheinland-Pfalz, Mitglied verschiedener Ausschüsse der Bundesärztekammer; 1968 bis 1975 Leiter der Gesundheitsabteilung des rheinland-pfälzischen Sozialministeriums; 1975 bis 1982 Hauptgeschäftsführer der Medizinisch-Pharmazeutischen Studiengesellschaft, 1982 bis 2000 Hauptgeschäftsführer, seit 1994 auch Vorsitzender des Bundesverbandes der Pharmazeutischen Industrie.

Politisches und wissenschaftliches Engagement: Mitglied der CDU, vielfältige Publikationen zur Gesundheitspolitik, Präventivmedizin, Epidemiologie und Gesundheitsökonomie.

Die letzten vier Jahrzehnte habe ich an verschiedenen Schnittstellen zwischen Ärzteschaft und pharmazeutischer Industrie in Leitenden Positionen Verantwortung getragen.

Wer die einzelnen Beiträge der Zeitreise "30 Jahre Ärzte Zeitung" aufmerksam verfolgt hat, wurde an die zum Teil absurden und skurrilen Wechselbäder erinnert, die von den jeweils politisch Verantwortlichen dem Gesundheitssystem verordnet wurden.

Ohne Zweifel führte die ständige Unterfinanzierung der GKV zu einer Ökonomisierung der Medizin. Die seit den sozialen Reformen Bismarcks entwickelten Grundlagen für eine angemessene Versorgung der Patienten und die wissenschaftlichen Fortschritte der Medizin eröffneten für alle Beteiligten im System beste Aussichten.

Die pharmazeutische Industrie entwickelte neue und wirksame Arzneimittel gegen bislang nicht therapierbare Krankheiten, die dem Arzt im Detail erläutert werden mussten. Der Außendienst der Pharmaindustrie gewann so zunehmend an Bedeutung.

Ärzte unter dem Spardiktat von Politik und Ökonomie

Im Folgenden werde ich mich mit Problemen der Zusammenarbeit zwischen Ärzteschaft und Industrie befassen. In den letzten beiden Jahrzehnten wurde dieses Verhältnis beeinträchtigt.

Da sind auf der einen Seite große Erfolge bei der Entwicklung neuer Arzneitherapien zu verzeichnen - mit der Notwendigkeit, grundlegende Erkenntnisse in die Ärzteschaft zu tragen.

Zum anderen führte zunehmender Kostendruck dazu, dass der Umgang miteinander schwieriger wurde und der Blickwinkel des jeweils eigenen Interesses dominierte. Verloren ging dabei oft das primäre Patienteninteresse.

Grundsätzlich gilt weiterhin, dass das Arzneimittel für den Arzt in seiner täglichen Praxis eine unverzichtbare Bedeutung hat.

Gleichzeitig gilt für die Industrie: Ohne den Arzt und dessen Wissen, Erfahrung und Kompetenz wäre das Arzneimittel eher gefährlich als hilfreich.

Die Erfahrung lehrt auch, dass manche Therapiefortschritte (z.B. gegen HIV oder Leukämie bei Kindern) ohne enge Zusammenarbeit mit den Ärzten nicht erzielt worden wären.

Man fragt sich, warum in Anerkennung dieser Fakten die Zusammenarbeit schwieriger geworden ist. Aus meiner Sicht sind Kostendruck und Zwang zu Einsparungen wesentliche Gründe. So führen Rabattverträge im generischen Bereich zu Beschränkungen.

Das Damoklesschwert der Wirtschaftlichkeitsprüfung schränkt die Arzneimittelauswahl der Ärzte ein. Die Industrie tut sich manchmal schwer, Therapieentscheidungen der Ärzte nachzuvollziehen. Oft bleibt Unverständnis, warum viele Ärzte vorhandene Therapiemöglichkeiten nicht nutzen.

Das Verständnis füreinander geht verloren. Dies mag auch daran liegen, dass immer weniger approbierte Ärzte im Außendienst der Industrie tätig sind. Die gemeinsame Sprache, die für komplexe medizinische Sachverhalte wichtig ist, ist so nicht in vollem Umfange vorhanden.

Auswege aus dem Dunstkreis der Korruption

Eine schwere Belastung sind - offen gestanden - zudem Praktiken aus vergangenen Zeiten, in denen die Zusammenarbeit nicht immer ausreichend unter dem Fokus arzneispezifischer Fragen stand. Scheinbar erfolgreiche Marketingmethoden beanspruchten viel zu viel Raum.

Unter allen Umständen muss die Zusammenarbeit zwischen Industrie und Ärzteschaft aus dem Dunstkreis der Korruption herausgeholt werden. Nur dann kann Vertrauen zurückgewonnen werden.

Gerade weil die bewusste Umgehung ethischer und gesetzlicher Regeln häufig selbst in Seminaren als probat und erfolgreich verkauft wurde, müssen derartige Verstöße intern und extern unnachgiebig geahndet und bestraft werden.

Dass es der Industrie ernst ist mit einer wirksamen Selbstkontrolle, zeigen Einrichtungen der letzten Jahre. Ich selbst habe Erfahrungen mit dem 2008 neu gegründeten Verein "Arzneimittel und Kooperation im Gesundheitswesen e.V. (AKG)".

Diese Selbstkontrolleinrichtung geht auf eine Initiative mittelständischer, überwiegend inhabergeführter Unternehmen zurück, die im "Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie e.V." organisiert sind.

Der AKG leistet einen erheblichen Beitrag, um eine Sensibilisierung für faires und lauteres Verhalten zu fördern.

Eines ist allerdings sicher: Die insgesamt verfügbaren Mittel werden nicht ausreichen, alle Bedürfnisse zu befriedigen. Das Pokerspiel mit den gesetzlichen Krankenkassen wird von Seiten der Leistungserbringer unterschiedlich erfolgreich ausgefochten werden.

Die Pharmaindustrie hat dabei traditionell nicht die besten Karten. Sie hat es wohl lange Zeit nicht verstanden, ihre Leistungen so überzeugend darzustellen, dass Ärzte und Patienten, aber auch die öffentliche Meinung ihre Forderungen sachlich und unvoreingenommen prüfen.

Dennoch ist mir um die Zukunft dieser für die Volksgesundheit so wichtigen Branche nicht bange. Voraussetzung ist allerdings, dass alle Verantwortlichen offen und fair miteinander umgehen.

Diese differenzierte Sicht sollte auch für alle Bereiche gelten, in denen Ärzte über den Wert von Arzneimitteln urteilen. Unter allen Faktoren muss selbstverständlich der Preis eines Arzneimittels in die Entscheidung einfließen. Dies darf aber nicht das alleinige Kriterium sein.

So sollte man beispielsweise von den ärztlichen Vertretern im Gemeinsamen Bundesausschuss erwarten dürfen, dass sie fair und unvoreingenommen über das Schicksal von Arzneimitteln und deren Hersteller entscheiden.

Ärztliche Kompetenz im Bundesausschuss stärken!

Dabei gilt meine Hoffnung für die Zukunft, dass sich die Organisationen der Ärzteschaft in alle wissenschaftlichen und praktischen Fragen kompetent einmischen, die das Arzneimittel fundamental betreffen.

Nur so belegen sie glaubhaft, dass sie auf moderne Arzneimittel für ihre Praxis nicht verzichten wollen. Keinesfalls sollte ihr wichtiges Votum gegenüber dem Chor der Vertreter der Spitzenverbände der Gesetzlichen Krankenversicherung völlig untergehen.

Grundsätzlich gilt nach meiner langen Erfahrung, dass nur gemeinsames Handeln, sachlich fundiertes Abwägen der Fakten und ein fairer Interessenausgleich das Gesundheitswesen, um das uns viele Länder beneiden, auf dem Niveau erhalten kann, das für den Patienten beste Ergebnisse erzielen kann.

Also doch noch Hoffnung für die altrömische Erkenntnis: Salus aegroti suprema lex?

Ich halte es mit Alfred Polgar: "Es hat sich bewährt, an das Gute im Menschen zu glauben, aber sich auf das Schlechte zu verlassen."

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