Ab nach Westeuropa

Ärzteflucht bedroht die Balkanländer

Tausende Ärzte, Krankenschwestern und Pfleger flüchten regelrecht aus den Balkanländern nach Westeuropa. Lässt dieser medizinische Aderlass die Versorgung in der alten Heimat zusammenbrechen?

Von Thomas Brey Veröffentlicht:
Ärzte kehren den Balkanländern den Rücken.

Ärzte kehren den Balkanländern den Rücken.

© dpa

BELGRAD. Alle wollen weg - und wer es kann, der tut es eben auch. 80 Prozent der jungen Ärzte und Medizinstudenten des ärmsten EU-Mitglieds Bulgarien wollen möglichst schnell ins Ausland wechseln. Das ergab eine Umfrage im letzten August.

Beim EU-Kandidaten Serbien sieht es ganz ähnlich aus. Und im EU-Mitgliedsstaat Kroatien regte ein Minister wegen des Massenexodus sogar schon vor einigen Monaten an, man sollte den "Fahnenflüchtigen" eventuell einen Teil ihrer Ausbildungskosten in Rechnung stellen.

Die kroatische Ärztekammer sieht trotz der Abwanderung von rund 800 Doktoren bis November letzten Jahres keinen Grund zur Panik. "Das ist ein natürlicher Prozess", macht Vorstandsmitglied Katarina Sekelj-Kauzlaric gute Mine zum bösen Spiel.

Doch was sie weiter sagt, könnte sich am Ende zu einem Riesenproblem auswachsen: Das Durchschnittsalter der Auswanderer liege bei 40 Jahren, daneben kehrten aber auch Top-Spezialisten ihrer Heimat den Rücken.

Die Gründe: Jenseits der Grenzen locken höhere Verdienste, bessere Fortbildungsmöglichkeiten, die Bereitstellung von Dienstwohnungen, schnellere Karrierechancen und modernere Arbeitsbedingungen und -geräte.

Der "Kollaps" des Systems droht

Im armen Nachbarland Bosnien-Herzegowina reden die Ärztevertreter Klartext: Es drohe der "Kollaps des Gesundheitssystems", sagte Ärztekammer-Präsident Harun Drljevic der Zeitung "Dnevni avaz" in Sarajevo.

Allein im vergangenen Jahr seien 570 Pflegekräfte nach Deutschland abgewandert, berichtet Boris Pupic von der Arbeitsagentur. Die seien ganz offiziell in Zusammenarbeit deutscher und bosnischer Behörden vermittelt worden.

Die Dunkelziffer ist aber viel höher, weil die privaten Abwanderungskanäle von niemandem statistisch erfasst werden.

Rund 500 Ärzte seien im vergangenen Jahr aus Serbien ins Ausland gewechselt, schätzt das Staatsfernsehen. Zwischen 400 und 500 waren es in Bulgarien. Aus Rumänien haben 2450 Ärzte die Seiten gewechselt.

Getroffen davon wurden vor allem die Krankenhäuser, wo es mit 13.521 nur halb so viele Mediziner gibt wie vorgeschrieben. Vor vier Jahren wurden noch 20.648 Krankenhausärzte gezählt.

Rechnet man die Abwanderung und den Abgang in den Ruhestand gegen die Hochschulabsolventen auf, fehlen Rumänien jedes Jahr 500 Ärzte.

Seit Rumänien 2007 EU-Mitglied wurde und die Rumänen seither mehr Freizügigkeit genießen, hat der Ärztemangel noch einmal besonders drastisch zugenommen.

Nicht verwunderlich: Korruption, schlechte Infrastruktur und Ausrüstung sowie eine miserable Bezahlung gelten als Markenzeichen des rumänischen Gesundheitswesens.

Um der Ärzteflucht entgegenzuwirken, ließ das Gesundheitsministerium bereits 2008 die Medizinergehälter im öffentlichen Dienst um bis zu 50 Prozent anheben. Zurück gelockt hat das jedoch kaum einen Arzt.

Beliebteste Länder für die Abwandernden sind mit Abstand Deutschland und Österreich, gefolgt von Skandinavien und Großbritannien. Der Grund liegt nahe: In Serbien kann ein Spezialist bis zu 900 Euro im Monat verdienen.

In Kroatien beträgt das Durchschnittseinkommen der knapp 20.000 Ärzte 5200 Kuna (680 Euro). Nach 20-jähriger Berufspraxis steigt das Gehalt auf 9000 Kuna (1170 Euro). In Rumänien liegen die Gehälter zwischen 250 Euro und 1500 Euro.

Deutsche und österreichische Krankenhäuser machen sich das zum Wettbewerbsvorteil: Sie locken auf Beschäftigungsmessen und einschlägigen Internetportalen mit Anfangsgehältern von 2200 Euro netto.

Daneben wird die übliche Bereitstellung einer Dienstwohnung von den wechselwilligen Ärzten als zusätzlicher Anreiz betrachtet. Die Auswanderer stören unisono die unattraktiven Gesundheitssysteme ihrer Heimatländer.

In Kroatien verdienen alle Ärzte gleichen Alters und gleicher Qualifikation gleich. Und das Hinzuverdienen in einer privaten Praxis ist schwierig: Das Gesundheitsministerium muss dazu jeweils eine Einzelerlaubnis ausstellen. (dpa)

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