Porträt

Antidoping-Kämpferin Ines Geipel wird 60

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Profilierte Antidoping-Kämpferin: Ines Geipel.

Profilierte Antidoping-Kämpferin: Ines Geipel.

© Eventpress/Picture Alliance

Frankfurt/Main. 30 Jahre Diktatur, 30 Jahre Freiheit: Für Ines Geipel sind es zwei Leben, die sie bisher gelebt hat. „Und ich habe immer auch ein bisschen das Gefühl: Ach, es fängt doch gerade erst an“, sagte die gebürtige Dresdenerin, die am Dienstag ihren 60. Geburtstag feiert im Interview der Deutschen Presse-Agentur.

In der DDR machte sie sich als Weltklassesprinterin vom SC Motor Jena 1984 einen Namen. Mit der Vereinsstaffel stellte Geipel über 4x100 Meter in 42,20 Sekunden einen Weltrekord auf. Ohne zu wissen, dass etwas falsch lief und sie wie viele DDR-Athleten Teil des staatlichen Zwangsdopings war. „Ein mulmiges Gefühl, wo sind wir hier eigentlich, das hat Spitzenathleten begleitet. Aktives Wissen gab es keines“, sagte die Ex-Leichtathletin.

Stasi bestrafte sie bei Op brutal

Bei aller Diskussion über den DDR-Sport habe man noch immer „die blaue Pille“ im Kopf. Das ist ein sehr reduziertes und falsches Bild. „Es geht ja um die Frage, woran der DDR-Sport angekoppelt war. Und da sprechen wir von Medizinforschung, Militärforschung, von Staatsgeheimnis“, erklärte Geipel. „Wir sprechen von Kampfkörpern, entzogenem Wissen und am Ende von ungeheuer viel Leid.“Als 1984 ihre Pläne, aus der DDR zu fliehen, der Staatssicherheit bekannt wurden, wurde sie zur Sportverräterin, die aus dem Verkehr gezogen wurde. Ein Spitzel im Sportclub hatte sie verpfiffen. Die Stasi reagierte darauf nicht zimperlich. Bei einer angeblichen Blinddarm-Operation ließ man ihr die Bauchmuskulatur durchschneiden. „Die Indizien sprechen für sich“, sagte Geipel. „Es gab eine Operation, die nicht indiziert war, und ein schlimmes Ergebnis. Das ist eine Geschichte, die hat mit Diktatur und Geheimdienst zu tun.“

Bis ihr 1989 über Ungarn die Flucht gelang, durchlebte sie eine Zeit der Schikane. Sie durfte das Studium in Jena nicht beenden, die Promotion entzog man ihr. „Ich hätte noch Friedhofsgärtnerin oder Verkäuferin werden können“, befand Geipel. „Das kann man ja machen, klar, aber ich wollte mehr von meinem Leben.“

Die Freiheit im Westen nach dem Mauerfall nutzte sie, um „ihr eigenes Ding“ zu machen: Eine Karriere zu machen – als Schriftstellerin und Professorin für deutsche Verssprache an der Hochschule für Schauspielkunst „Ernst Busch“ Berlin.

Für Doping-Opfer gekämpft

Zugleich ließ sie ihre Vergangenheit und die vielen zwangsgedopten Athleten nicht los. Deshalb übernahm sie von 2013 bis 2018 den Vorsitz des Vereins Doping-Opfer-Hilfe. Wozu Freiheit, wenn man am Ende nichts daraus macht“, meinte Geipel. Sie habe es als Luxus empfunden, mit der eigenen Stimme ein bisschen was anstoßen zu können, mitzutun, damit etwas wieder in Ordnung kommt, „damit den Kaputtgemachten geholfen“ werde.

Im Jahr 2000 gehörte sie zu den 19 Nebenklägerinnen im Prozess gegen die Drahtzieher des Staatsdopings in der DDR. Danach kämpfte sie dafür, dass die Opfer vom Bund entschädigt werden. Beim ersten Entschädigungsgesetz waren es 200 Geschädigte. Beim zweiten Gesetz an die 1500. „Chemiekörper implodieren enorm zeitverzögert. Die Bilanz wird erst jetzt sichtbar, und die ist sehr bitter. Der Preis für die Athleten ist irre hoch“, so Geipel.

„Ohne Ines Geipel hätte es das zweite Gesetz nicht gegeben“, würdigte sie Michael Lehner, ihr Nachfolger im Amt der Doping-Opfer-Hilfe. „Historisch und sportpolitisch hat sie entsprechend einen hohen Rang.“ Um die Interessen der Opfer durchzusetzen, war ihr Provokation nicht fremd. „Die Geschichte der Sportopfer war für mich ein politisches Projekt. Wenn ich scharf war, hatte das eine Funktion“, erklärte Geipel. „Insofern wäre es absurd gewesen, wenn ich da immer als sanfte Teddyvariante aufgetreten wäre.“

Auch wenn sie sich aus diesem Engagement zurückgezogen hat, ist sie weiter mit dem Herz dabei und kritisiert das fehlende Interesse an weiterer Aufklärung des Sportbetrugs in der DDR und die Folgen. „Die Aufarbeitung in diesem Feld tendiert gen nicht existent“, sagte Geipel. „Themen wie sexueller Missbrauch, Gewalt, strukturelle Abhängigkeiten haben wir ja dabei noch nicht mal angefasst.“ (Andreas Schirmer/dpa)

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