IM PORTRAIT

Arzt und Vordenker: Horst-Eberhard Richter wird 85

Von Pete Smith Veröffentlicht:

"Als Arzt erkenne ich nur eine einzige auf den Kriegsfall bezogene Form der Prävention an, nämlich die Verhütung des Krieges selbst mit allen Anstrengungen, zu denen ich mein Teil beizusteuern entschlossen bin."

Was der Gießener Psychoanalytiker Professor Horst-Eberhard Richter am 8. Mai 1982 in der später berühmt gewordenen "Frankfurter Erklärung" formulierte, wurde von den 14 Gründungsmitgliedern der bundesdeutschen Ärzte für die Verhütung des Atomkriegs (IPPNW) unterzeichnet und spiegelt Richters persönliches Credo, nach dem er sein ganzes Leben ausgerichtet hat. Nur wenige andere deutsche Ärzte haben sich so kompromisslos für den Frieden eingesetzt wie er. Heute wird Richter 85 Jahre alt.

Geboren am 28. April 1923 in Berlin, wuchs Horst-Eberhard Richter in der Zeit der Weimarer Republik und der Nazi-Diktatur auf. Nach Hitlerjugend und Arbeitsdienst wurde er 1942 in die Wehrmacht eingezogen und diente während des Zweiten Weltkriegs als Richtkanonier an der Russlandfront. Kurz vor seiner Verlegung nach Stalingrad erkrankte er an Diphtherie.

1944, inzwischen für die Wehrmacht in Italien im Einsatz, desertiert Richter und versteckt sich in einer Hütte in den Alpen. Dort wird er von französischen Soldaten aufgespürt und gefangen genommen. Die Besatzer halten ihn für ein Mitglied der NS-Freischärler-Bewegung Werwolf und bürden ihm vier Monate Isolationshaft auf. Nach seiner Freilassung kehrt er nach Deutschland zurück und erfährt, dass seine Eltern von Russen ermordet wurden.

In Gießen baut Richter seine Psychosomatik-Abteilung aus

In der Uni seiner Heimatstadt schreibt sich Richter für Medizin, Philosophie und Psychologie ein. 1949 promoviert er zum Dr. phil., 1957 zum Dr. med. Dazwischen absolviert er eine Ausbildung am Berliner Psychoanalytischen Institut und macht 1958 seinen Facharzt. 1962 übernimmt er einen der ersten deutschen Lehrstühle für Psychosomatik an der Uni Gießen. Seine Abteilung baut er zu einem der führenden Zentren für psychosomatische Medizin auf.

Es ist die Zeit des Aufbruchs in Deutschland, die Zeit der Studentenrevolten, die Zeit der Befreiung von politischen Altlasten und überkommenen Moralvorstellungen. Richter wird zu einem Sprachrohr der Erneuerung. Er engagiert sich für soziale Randgruppen, nimmt an Demos und Sitzblockaden teil, ergreift friedenspolitisch Initiative und formuliert Denkanstöße, auf die sich eine ganze Generation von Ärzten und sozial engagierten Bürgern berufen.

Zu den Weggefährten zählt auch Dr. Ulrich Gottstein

"Horst-Eberhard Richters Bücher begleiteten die Erkenntnis- und Veränderungsprozesse meiner Generation in der Gesundheits- und Sozialarbeit", bekennt etwa Dr. Ellis Huber, von 1987 bis 1999 Präsident der Ärztekammer Berlin. "Immer wenn Fragen nach dem richtigen Weg auftauchten, wenn Ziele unklar wurden, Ohnmacht uns entmutigte oder Übermut uns gefährdete, erschien von ihm ein neues Werk, das Horizonte aufzeigte."

1982 gehörte Horst-Eberhard Richter zu den Gründungsmitgliedern der deutschen IPPNW-Sektion. Gemeinsam mit Ulrich Gottstein, Helmut Koch und Knut Sroka wurde er in den Sprecherrat der Organisation gewählt. Innerhalb der Organisation bemühte sich der IPPNW-Ehrenvorsitzende vor allem darum, "die Bedrohungs- durch die Verständigungspolitik zu ersetzen", wie er in seiner Autobiografie "Wanderer zwischen den Fronten" schreibt. Ein Höhepunkt war die Verleihung des Friedensnobelpreises an die IPPNW 1985.

In der Psychoanalyse sieht Richter nicht bloß eine Behandlungsmethode, sondern ein Instrument der Aufklärung schlechthin. Ärztliches Verhalten sei stets politisch, mahnt der Friedenskämpfer, Medizin im Sinne ihrer lebenserhaltenden Aufgabe immer pazifistisch.

Horst-Eberhard Richter, der nach seiner Emeritierung im Jahre 1991 zehn Jahre lang das Sigmund-Freud-Institut in Frankfurt am Main geleitet hat, ist mit Preisen und Auszeichnungen überhäuft worden. Aber auch dabei ist er seinen Überzeugungen treu geblieben. Dreimal hat er die Annahme des Bundesverdienstkreuzes abgelehnt. Seine Begründung: Diese Auszeichnung hätten in der Vergangenheit "zu viele Ex-Nazis" erhalten.

ZUR PERSON

Als Mediziner und Vordenker erlangte Horst-Eberhard Richter, geboren am 28. April 1923, Bedeutung weit über Deutschland hinaus. Er gilt als einer der Pioniere der psychoanalytischen Familientherapie. Als sein kulturpsychologisches Hauptwerk gilt "Der Gotteskomplex" von 1979, in dem er den "narzisstischen Omnipotenzdrang" des Mannes als größte Bedrohung der modernen Gesellschaft beschreibt. Richter gehörte zu den Gründungsmitgliedern der deutschen IPPNW-Sektion.

Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema

Berufsbedingte Schäden

Wenn Musikmachen Muskeln, Sehnen und Gelenke krank macht

Das könnte Sie auch interessieren
Glasglobus und Stethoskop, eingebettet in grünes Laub, als Symbol für Umweltgesundheit und ökologisch-medizinisches Bewusstsein

© AspctStyle / Generiert mit KI / stock.adobe.com

Klimawandel und Gesundheitswesen

Klimaschutz und Gesundheit: Herausforderungen und Lösungen

Kooperation | In Kooperation mit: Frankfurter Forum
Ein MRT verbraucht viel Energie, auch die Datenspeicherung ist energieintensiv.

© Marijan Murat / dpa / picture alliance

Klimawandel und Gesundheitswesen

Forderungen nach Verhaltensänderungen und Verhältnisprävention

Kooperation | In Kooperation mit: Frankfurter Forum
Ein Dialogforum von Fachleuten aus Gesellschaft, Gesundheitspolitik und Wissenschaft

© Frankfurter Forum für gesellschafts- und gesundheitspolitische Grundsatzfragen e. V.

Das Frankfurter Forum stellt sich vor

Ein Dialogforum von Fachleuten aus Gesellschaft, Gesundheitspolitik und Wissenschaft

Kooperation | In Kooperation mit: Frankfurter Forum
Was die MS-Behandlung auszeichnet

© Suphansa Subruayying | iStock

Lebensqualität

Was die MS-Behandlung auszeichnet

Anzeige | Merck Healthcare Germany GmbH
Unsichtbare MS-Symptome im Fokus

© AscentXmedia | iStock

Lebensqualität

Unsichtbare MS-Symptome im Fokus

Anzeige | Merck Healthcare Germany GmbH
Kommentare
Sonderberichte zum Thema
SCD-PROTECT-Studie-- Frühe Phase nach Diagnose einer Herzinsuffizienz – deutlich höheres Risiko für den plötzlichen Herztod als in der chronischen Phase.

© Zoll CMS

SCD-Schutz in früher HF-Phase

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: ZOLL CMS GmbH, Köln
Abb. 2: Schneller Wirkeintritt von Naldemedin im Vergleich zu Placebo in den Studien COMPOSE-1 und COMPOSE-2

© Springer Medizin Verlag GmbH, modifiziert nach [15]

Opioidinduzierte Obstipation

Selektive Hemmung von Darm-Opioidrezeptoren mit PAMORA

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Viatris-Gruppe Deutschland (Mylan Germany GmbH), Bad Homburg v. d. Höhe
Abb. 1: Risikoreduktion durch Bempedoinsäure gegenüber Placebo in der CLEAR-Outcomes-Studie für den primären 4-Komponenten-Endpunkt (A) und den sekundären 3-Komponenten-Endpunkt (B) stratifiziert nach Diabetes-Status

© Springer Medizin Verlag

Diabetes mellitus

Bempedoinsäure: Benefit für Hochrisiko-Kollektive

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Daiichi Sankyo Deutschland GmbH, München
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Jetzt neu jeden Montag: Der Newsletter „Allgemeinmedizin“ mit praxisnahen Berichten, Tipps und relevanten Neuigkeiten aus dem Spektrum der internistischen und hausärztlichen Medizin.

Top-Thema: Erhalten Sie besonders wichtige und praxisrelevante Beiträge und News direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Risikofaktoren identifiziert

Für wen könnten Harnwegsinfekte gefährlich werden?

Systematisches Review und Metaanalyse

Antidepressiva absetzen: Welche Strategie ist am wirksamsten?

Metaanalyse

Subjektive Krankheitsbelastung bei Krebs prognostisch relevant

Lesetipps
Übersichtsarbeit: Wie wirken Hochdosis-, rekombinante und mRNA-Vakzinen verglichen mit dem Standardimpfstoff?

© Sasa Visual / stock.adobe.com

Übersichtsarbeit zu Grippeimpfstoffen

Influenza-Vakzinen im Vergleich: Nutzen und Risiken

Serotoninkristalle, die ein Muster ergeben.

© Michael W. Davidson / Science Photo Library

Für wen passt was?

Therapie mit Antidepressiva: Auf die Nebenwirkungen kommt es an