Bereitschaftszeit wird Arbeitszeit

Es ist ein Urteil, dass Deutschlands Klinikärzte jubeln lässt. Bereitschaftsdienst ist Arbeitszeit, entscheiden die Richter am Europäischen Gerichtshof und sorgen damit schlagartig für einen Ärztemangel.

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Auch während einer Verschnaufpause sind Ärzte im Dienst.

Auch während einer Verschnaufpause sind Ärzte im Dienst.

© Arteria Photography

Luxemburg, am 9. September 2003. Auf diesen Richterspruch hatten Deutschlands Klinikärzte lange gewartet: "Bereitschaftsdienst ist Arbeitszeit", urteilten die Richter am Europäischen Gerichtshof Anfang September 2003.

Damit war zumindest theoretisch das Ende der Marathondienste an deutschen Krankenhäusern eingeleitet.

Jahrelang hatte der Marburger Bund nach Ärzten gesucht, die bereit waren, ein solches Urteil zu erstreiten. Als Verband hatte der MB kein Klagerecht.

Doch in Zeiten, in denen es im Gegensatz zu heute zu viele Ärzte gab, war kaum jemand bereit, sich mit seinem Arbeitgeber anzulegen. Zu groß war die Angst vor Repressalien.

Doch dann fand sich mit Dr. Norbert Jäger ein Assistenzarzt, der den Mut und die Nerven aufbrachte, seinen Arbeitgeber, das Städtische Krankenhaus Kiel, vor dem Europäischen Gerichtshof zu verklagen.

Der Grundsatz "Bereitschaftsdienst ist Arbeitszeit" gelte auch in Deutschland, entschieden die Europarichter und bestätigten damit ein Urteil aus dem Jahr 2000, als schon spanische Ärzte auf Umsetzung der EU-Arbeitszeitrichtlinie geklagt hatten.

Leergefegter Arbeitsmarkt

Nach deutschem Recht wurde zuvor die Bereitschaftszeit nur dann als Arbeitszeit gewertet, wenn mindestens in der Hälfte der Zeit auch Arbeit angefallen war.

Dass der Arzt über den Rest seines Bereitschaftsdienstes nicht frei verfügen konnte, spielte dabei keine Rolle. Dienste von bis zu 30 Stunden waren keine Seltenheit.

Nach dem Urteil geriet die Bundesregierung unter Druck, das Arbeitszeitgesetz schnellstmöglich an die europäischen Vorgaben anzupassen.

Zum 1. Januar 2004 trat dann das neue Arbeitszeitgesetz in Kraft. Es legt fest, dass die wöchentliche Arbeitszeit 48 Stunden, inklusive Bereitschaftsdienste, nicht überschreiten darf.

Allerdings galten bis Ende 2006 Ausnahmeregelungen für Krankenhäuser, die noch Tarifverträge hatten, die schon vor Januar 2004 galten.

Mit der Umsetzung des EuGH-Urteils änderte sich die Arbeitsmarktlage für Ärzte schlagartig. Waren 2003 7000 Ärzte arbeitslos gemeldet, rechneten die Kliniken nun damit, 27.000 neue Stellen schaffen zu müssen.

Der MB ging von 15.000 Arztstellen aus. Fakt ist: Der Arbeitsmarkt für Ärzte ist heute leergefegt. Wurden Ärzte vor neun Jahren von Klinikmanagern noch herablassend behandelt, sind sie heute begehrt.

Die Umsetzung des Urteils bedeutete aber auch, dass bei begrenzter Arztzahl Arbeitsverdichtung und Stress zugenommen haben. (chb)

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