Zum 200. Geburtstag

In der Pflege sind Profis, nicht Engel gefragt

Vor zwei Jahrhunderten wurde Florence Nightingale geboren, die Begründerin der modernen Krankenpflege. Ihr Vermächtnis scheint heute wichtiger denn je. Pflegende werden in der Coronakrise als Helden und Engel gefeiert. Doch wird das ihren Aufgaben und Leistungen gerecht?

Von Christoph Meyer Veröffentlicht:
Illustration aus dem Jahr 1855 der Arbeit von Florence Nightingale, auch Lady mit der Lampe genannt, im Krankenhaus.

Illustration aus dem Jahr 1855 der Arbeit von Florence Nightingale, auch Lady mit der Lampe genannt, im Krankenhaus.

© photos.com PLUS

London. Als sich der britische Premierminister nach überstandener COVID-19-Erkrankung Mitte April erstmals wieder zu Wort meldete, hob er in seiner Danksagung besonders zwei Pflegende hervor: Jenny aus Neuseeland und Luis aus Portugal standen „48 Stunden lang an meinem Bett (...), als die Dinge auch anders hätten laufen können“, sagte Johnson noch sichtlich geschwächt. Ihnen habe er sein Leben zu verdanken, machte er deutlich. In ihren Heimatländern wurden die beiden daraufhin über Nacht zu kleinen Berühmtheiten.

Der Premier hatte drei Tage lang auf der Intensivstation des St. Thomas‘ Hospital verbracht. An dem Krankenhaus in London richtete Florence Nightingale im Jahr 1860 eine Schwesternschule ein und legte damit den Grundstein für die moderne Krankenpflege.

Am Dienstag, den 12. Mai, jährt sich der Geburtstag der Statistikerin und Sozialreformerin zum 200. Mal. Gleichzeitig wird der Internationale Tag der Pflege begangen.

In der Coronavirus-Pandemie können sich Pflegekräfte über mangelnden Zuspruch nicht beschweren. Jede Woche treten die Menschen in Großbritannien und vielen anderen Ländern an die Fenster und vor die Türen, um ihnen und den Ärzten zu applaudieren. Schließlich arbeiten sie oft bis zur Erschöpfung und riskieren dabei sogar ihr Leben.

Die Schattenseiten der Pflege

Doch die Verehrung als Helden oder Engel mit übermenschlichen Kräften trifft nicht nur auf Gegenliebe. Allzu leicht werde dabei übersehen, dass Pflegende auch Bedürfnisse haben, so die Kritik.

„Es sind menschliche Wesen mit Familien und mit Ängsten“, sagte Annette Kennedy, die Präsidentin des Weltverbands der Krankenschwestern und Pfleger im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. „Sie haben Gefühle und sie brauchen emotionale und physische Unterstützung, sie müssen sich ausruhen und essen“, so die Verbandschefin.

Pfleger: Ein gefährlicher Job

Besonders besorgniserregend findet Kennedy, dass oftmals keine ausreichende Schutzkleidung zur Verfügung steht. „Die Regierungen und Arbeitgeber haben eine Fürsorgepflicht für die Mitarbeiter und Pflegenden, die sie in den Kampf mit dem tödlichen Virus schicken“, mahnt sie.

Florence Nightingale (1855). Vor 200 Jahren wurde die Begründerin moderner Krankenpflege geboren.

Florence Nightingale (1855). Vor 200 Jahren wurde die Begründerin moderner Krankenpflege geboren.

© dpa

Schon Florence Nightingale wusste um die Gefahren ihrer Aufgabe. In dem britischen Militärkrankenhaus Scutari in einem heutigen Stadtteil von Istanbul erkrankte sie während des Krim-Krieges (1853-56) wahrscheinlich an Brucellose. Die Infektionskrankheit wurde zum chronischen Leiden, das sie für den Rest ihres Lebens begleitete.

Mehrere der 38 Krankenschwestern, die mit ihr dorthin gegangen waren, starben. Doch sie retteten wohl unzähligen Patienten das Leben.

Durch ihre Arbeit in Scutari wurde Nightingale schon zu Lebzeiten zur Legende. Als sie die notdürftig zum Krankenhaus umgebaute Kaserne 1854 erreichte, lagen Tausende Patienten dort in ihren eigenen Exkrementen, überall huschten Ratten und Mäuse herum, der Trinkwasserbrunnen war mit einem Pferdekadaver verseucht.

Nightingale setzte sich gegen Ärzte durch

Doch bevor Nightingale für Ordnung sorgen konnte, musste sie sich erst einmal gegen die Ärzte durchsetzen. Die meinten, Frauen aus der Heimat hätten in einem Militärkrankenhaus nichts zu suchen. Ihre blutverschmierten Kittel trugen diese Mediziner wie Tapferkeitsabzeichen herum. Sie zu waschen, war verpönt.

Nightingale hatte keine Ahnung von den Erregern und Übertragungswegen von Krankheiten. Doch sie verstand schnell, dass mehr ihrer Patienten an Infektionen starben als an Verletzungen aus dem Krieg.

Die Mittel, die sie dagegen einsetzte, kommen einem in Zeiten der Coronavirus-Pandemie bekannt vor. Dazu gehörten: Häufiges Händewaschen, gut durchlüften und allzu große Enge beseitigen.

Nightingale-Sonderausstellung in London

„Zu diesem Zeitpunkt, wusste sie noch nicht warum, aber sie merkte, dass es funktioniert“, sagt Kristin Bühnemann. Von der Vorgehensweise Nightingales könne man auch noch heute vieles lernen, glaubt die Co-Direktorin des Florence-Nightingale-Museums in London.

Das kleine Museum hat derzeit eine Sonderausstellung zum 200. Geburtstag seiner Namensgeberin eingerichtet. Als die Räume wegen der Corona-Pandemie schließen mussten, wurde in Windeseile eine Online-Ausstellung konzipiert.

Überhaupt sieht Bühnemann große Parallelen zwischen den Bemühungen Nightingales, die Leben der Soldaten in Scutari zu retten und dem Kampf gegen das Coronavirus. Nightingale dokumentierte akribisch, woran die ihr anvertrauten Soldaten starben.

Datenanalyse – ein Verdienst von Nightingale

Die Frau, die wegen ihrer nächtlichen Visiten auch Lady mit der Lampe genannt wurde, brachte Licht ins Dunkel des Sterbens in Scutari. Aus den gesammelten Daten zog sie Schlüsse für die Organisation und sogar die Architektur von Krankenhäusern. Sie visualisierte die Ergebnisse in anschaulichen Diagrammen, um die Politik in ihrem Heimatland von der Notwendigkeit von Reformen zu überzeugen und sie trommelte unermüdlich für finanzielle Mittel.

Geld ist auch heute noch oft das Problem. Annette Kennedy hofft, dass die schmerzhafte Erfahrung der Coronavirus-Pandemie für ein Umdenken in der Politik sorgt. „Wenn man wirtschaftliches Wachstum will, investiert man in Gesundheitsversorgung“, fasst sie die Lehre aus der Pandemie zusammen.

Weltweit fehlen der Weltgesundheitsorganisation WHO zufolge rund sechs Millionen Pflegekräfte. Und im Gegensatz zu Helden oder Engeln seien Pflegende „kompetente Profis, die angemessen für ihre lebensrettende Tätigkeit entlohnt werden müssen“, sagt Kennedy. (dpa)

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