Mit Zuckerbrot und Peitsche: Seehofer bei KBV und Ärztetag

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Seehofer in der Höhle des Löwen: So hatte sich die KBV das gedacht. Doch der Doppelauftritt Seehofers bei der KBV-VV und beim Ärztetag wird zum Meisterstück des Dompteurs der ärztlichen Delegierten.

Dresden, im Mai 1993. Gleich zweimal, bei der KBV-Vertreterversammlung und zur Eröffnung des Deutschen Ärztetages, nimmt Bundesgesundheitsminister Horst Seehofer die Chance wahr, den Ärzten eine Lektion in Sachen Gesundheitspolitik und eigener Verantwortung zu erteilen.

Vor den mit Budgets, Kollektivhaftung und Zulassungssperren gebeutelten Ärzten steht ein Minister, der mit Sachkenntnis und Rhetorik brilliert und dann mit einem Understatement kokettiert.

Seehofer: "Ständig muss ich mich dafür entschuldigen, wie mich der Herrgott erschaffen hat. Ich wollte, ich wäre nur ansatzweise so clever, wie ständig von mir behauptet wird."

Diese Cleverness ist aber allemal so ausgeprägt, ein Fragen-Regiebuch der KBV-Vertreterversammlung so geschickt umzulenken, dass am Ende tosenden Beifall sicher ist.

Unterschreitung des Arzneibudgets? "Ich habe keine Beanstandung ärztlichen Verschreibungsverhaltens." Und: "Ich trage die politische Verantwortung dafür, dass Ärzte einen Sparkurs fahren, auch wenn sie mehr sparen als erforderlich."

Argumente des BÄK-Präsidenten

Und was ist mit der Verlagerung der Kostendiskussion in die Praxen, in die unmittelbare Auseinandersetzung mit dem Patienten? Seehofer: "Ich mische mich nicht in medizinische Entscheidungen ein. Ihre Verantwortung kann und will ich Ihnen nicht abnehmen."

Seehofer bleibt keine Antwort schuldig, und oft genug kann er sich dabei auf Argumente berufen, die aus der Ärzteschaft selbst stammen.

Seinen Auftritt zur Eröffnung des Ärztetages nutzt Seehofer, die Herausforderungen der Gesundheitspolitik der Zukunft zu benennen: "Es ist höchste Zeit, dass die Politik wieder über den Tellerrand und über die Legislaturperiode hinaus denkt."

Seehofer: "Nach vielen Einzellreformen seit 1977 ist nun eine gründlich vorbereitete Reform mit intensivem Dialog ohne ideologische Vorgaben nötig... Ich akzeptiere bei dieser Reform Argumente wie den medizinischen Fortschritt, die wachsende Multimorbidität und die Überalterung der Bevölkerung."

Argumente, die der Präsident der Bundesärztekammer, Dr. Karsten Vilmar, schon seit Jahren gebetsmühlenartig vorgetragen hat.

Mit Seehofer spricht nun erstmals ein Sozialpolitiker das Problem der alternden Gesellschaft an: "Diese Entwicklung übertrifft ab dem Jahr 2000 bei weitem die Dramatik des Einigungsprozesses. Das sind gewaltige Herausforderungen an alle sozialen Sicherungssysteme."

Mittel- und langfristig, so verspricht Seehofer, ist Budgetierung keine Lösung, sondern eine Gefahr für die Qualität. Doch die Budgets sind wie Beton.

Er selbst wird sie nicht mehr loswerden. Erst mit dem Wettbewerbsstärkungsgesetz in der Ära Ulla Schmidt (SPD) soll es 2007 den Paradigmenwechsel zur Morbiditätsorientierung geben. (HL)

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