Neid und Gier

Mord und Totschlag vor 4000 Jahren

Forscher der Göttinger Universitätsmedizin haben Skelette aus der Frühbronzezeit gefunden, die einen Einblick in eine Lebenswelt voller tödlicher Gefahren vermitteln. Darunter ist auch ein vermutlich einmaliges Grab einer gesellschaftlich geächteten Frau.

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Ungewöhnliche Position: Dieses Frauenskelett war in der Körpermitte zusammengeklappt. Eine derartige Art der frühbronzezeitlichen Bestattung ist für Mitteleuropa bislang einmalig.

Ungewöhnliche Position: Dieses Frauenskelett war in der Körpermitte zusammengeklappt. Eine derartige Art der frühbronzezeitlichen Bestattung ist für Mitteleuropa bislang einmalig.

© Göttinger Universitätsmedizin (UMG)

GÖTTINGEN. Wo Reichtum herrscht, da ist der Neid nicht weit. Das war offenbar auch in prähistorischer Zeit schon so, wie neue Untersuchungen von Wissenschaftlern der Universitätsmedizin Göttingen zeigen.

Die Forscher unter der wissenschaftlichen Leitung des Göttinger Anatoms und Paläopathologen Professor Michael Schultz haben in Kooperation mit slowakischen Kollegen eine Ausgrabung auf einem der größten bekannten frühbronzezeitlichen Gräberfelder vorgenommen.

Der Fundort im Nitra-Tal in der heutigen Mittelslowakei gilt auch deshalb als archäologisch bedeutend, weil viele der über 600 Gräber wertvolle Beigaben von Schmuck, Waffen und Werkzeugen enthielten.

Reichtum wurde zum Verhängnis

Offenbar waren die Menschen, die dort vor ungefähr 4000 Jahren lebten, recht wohlhabend. Vielen von ihnen wurde dieser Reichtum jedoch zum Verhängnis. Die Göttinger Forscher stellten bei der Untersuchung der Skelette fest, dass zahlreiche der dort bestatteten Menschen Opfer von Mord und Totschlag geworden waren.

"Viele Skelette wiesen tödliche Schädelverletzungen auf", berichtet Schultz, der als weltweit anerkannter Experte auf dem Gebiet der Erforschung prähistorischer Krankheiten gilt.

Die Göttinger Forscher vermuten, dass die Bewohner des Nitra-Tals immer wieder Opfer von Raubüberfällen wurden, weil sie sehr viel wohlhabender als die Bewohner umliegender Regionen waren.

Ihren Wohlstand verdankten sie zum einen der geographischen Lage. Das Nitra-Tal bildete die wichtigste Route für den Handel von Rohstoffen zwischen Mitteleuropa und dem Nahen Osten und dem Schwarzmeergebiet.

Außerdem verfügte die Mittelslowakei als eine der wenigen Regionen in Europa sowohl über Kupfer- als auch über Zinnvorkommen, die man für die Bronzeherstellung benötigte.

Pfeilspitze im Wirbel eingewachsen

Um an diesen Reichtum zu kommen, gingen die Angreifer oft sehr brutal vor und schlugen ihren Opfern buchstäblich den Schädel ein. Andere Opfer der Raubüberfälle überlebten aber auch ihre schweren Verletzungen.

Dies zeigt unter anderem ein besonders spektakulärer Fund: Im Rückgrat eines Männerskeletts entdeckten die Göttinger Forscher eine Pfeilspitze, die bereits in den Wirbel eingewachsen war.

"Außerdem hatte der Mann einen verheilten Bruch am rechten Unterarm", erläutert die Anthropologin Kristina Scheelen, die im Rahmen ihrer Doktorarbeit zahlreiche Skelettfunde aus dem Nitra-Tal mit modernsten medizinischen Methoden untersucht hat.

Bei anderen Skeletten habe man Spuren von Schädeloperationen und komplett verheilte Wunden gefunden.

Grad einer wohl ausgestoßenen Frau entdeckt

Die Ausgrabung fand im Rahmen eines Kooperationsprojektes mit dem Archäologischen Institut der Slowakischen Akademie der Wissenschaften in Nitra und dem Lehrstuhl für Ur- und Frühgeschichte in Bratislava statt.

Dabei stießen die Forscher unter anderem auf das Grab einer Frau, die mit einem Diadem, mehreren Ohrringen und jeder Menge weiterem kostbaren Schmuck unterhalb einer so genannten Totenhütte bestattet worden war. Die kostbaren Beigaben sind ein Indiz dafür, dass die Frau eine hochrangige Stellung gehabt hatte.

Die hohe soziale Position verhalf ihr allerdings nicht zu einem höheren Lebensalter: "Die Frau ist höchstens 35 Jahre alt geworden", schätzt Scheelen. Ein Fund gibt besonders viele Rätsel auf: Bei ihren Ausgrabungen stießen die Forscher auch auf ein Frauengrab, das stark von den damals gängigen Bestattungsriten abweicht.

"Normalerweise wurden die Menschen mit der Blickrichtung nach Süden bestattet", erläutert der Anthropologe und Paläopathologe Jan Novácek, der die örtliche Grabungsleitung hatte. Das Frauenskelett ist jedoch nach Norden orientiert und zudem in der Körpermitte zusammengeklappt, als wäre es mit Gewalt in die Grube hineingestopft worden.

Die ungewöhnliche Position könnte darauf hinweisen, dass die Frau außerhalb der Gemeinschaft stand. Eine derart ungewöhnliche Art der frühbronzezeitlichen Bestattung sei bislang nirgends sonst in Mitteleuropa gefunden worden. (pid)

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