Strahlengefahr in Japan wächst

NEU-ISENBURG (dpa/maw). Die radioaktive Strahlung im Umkreis des Kraftwerks in Fukushima hat am Dienstag gefährliche Werte erreicht. "Wir reden jetzt über eine Dosis, die die menschliche Gesundheit gefährden kann", sagte Regierungssprecher Yukio Edano.

Veröffentlicht:
Angehörige der japanischen Selbstverteidigungskräfte rüsten sich am Dienstag in Nihonmatsu in der Provinz Fukushima für radioaktive Dekontaminierungsmaßnahmen.

Angehörige der japanischen Selbstverteidigungskräfte rüsten sich am Dienstag in Nihonmatsu in der Provinz Fukushima für radioaktive Dekontaminierungsmaßnahmen.

© dpa

In einzelnen Bereichen des Kraftwerks wurden nach Edanos Angaben 400 Millisievert gemessen - dies übersteigt den Grenzwert der Strahlenbelastung für ein Jahr um das 400-fache, schrieb die japanische Nachrichtenagentur Kyodo.

Die Anwohner im Umkreis von 30 Kilometern um Fukushima wurden aufgefordert, sich in geschlossenen Räumen aufzuhalten. In drei Präfekturen um das havarierte Atomkraftwerk begannen die Vorbereitungen für die Evakuierung.

Japans Regierung stellt in einem ersten Schritt rund 265 Millionen Euro als landesweite Notfallhilfe für die Bürger in Katastrophengebieten bereit.

Auch im Großraum Tokio/Yokohama mit seinen 35 Millionen Einwohnern wurden erhöhte Strahlenwerte gemessen. Die Belastung sei um das 22-fache höher als üblich, berichtete der Fernsehsender NHK.

An immer mehr Kliniken in der Hauptstadt komme es aufgrund der mehrstündigen Stromsperren sowie Einschränkungen bei der Logistik zu Mängeln in der Versorgung mit medizinischem Material. Dies berichtete der in Tokio niedergelassene Allgemeinarzt Dr. Masato Ueki im Gespräch mit der "Ärzte Zeitung".

Die unabhängige französische Behörde für Atomsicherheit hat die Katastrophe in Fukushima am Dienstag auf Störfallstufe 6 von 7 eingeordnet. Stufe 7 war bisher nur im Fall von Tschernobyl erreicht worden. Die Internationale Atomenergie-Behörde (IAEA) hatte den Unfall in Fukushima zunächst auf Stufe 4 eingeordnet.

Angesichts der Atomkrise in Japan hat Bundeskanzlerin Angela Merkel verkündet, die sieben ältesten Kernkraftwerke in Deutschland vorübergehend abzuschalten.

Zum Special "Katastrophe in Japan"

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Kommentare
Dr. Thomas Georg Schätzler 15.03.201117:43 Uhr

Vom Versuch, sich das Unvorstellbare vorzustellen

Das muss man sich einmal vorstellen: Im Bereich des Atomkraftwerks Fukushima sind drei Reaktorblöcke in der Kernschmelze. Im Normalbetrieb ist eine Strahlenbelastung der Umgebung von 1 Millisievert (1 mSv) pro Jahr zulässig. Die berichtete Dosissteigerung beträgt jetzt 400 mSv pro Jahr, und ein Ende ist noch nicht abzusehen.

Deswegen im Folgenden eine Darstellung, die sich speziell auf die uns eher vertraute medizinische Belastung durch radiologische Untersuchungen wie Computertomografie (CT) bezieht. Dies ergibt eine plastischere Vorstellung bei den wahrhaft gigantischen Problemen, die noch auf Japan und seine direkte geografische Umgebung bzw. die gesamte Welt zukommen werden.

Der gegenwärtige wissenschaftliche Konsens favorisiert ein lineares Modell ohne eine minimale Belastungsschwelle (linear no-threshold model) bei Radioaktivität.(1) Darunter ist die schwellenfreie kumulative Exposition einer lebenslangen Strahlenbelastung linear mit einem erhöhten Krebsrisiko assoziiert. Einige bemängeln, dass dieses Modell die Rate der Strahlenexposition mengenmäßig nicht ausreichend berücksichtigt oder die Fähigkeiten der Zellen, eine Strahlenschädigung zu reparieren. (2) Die vermuteten Größenordnungen der Risiken stammen letztlich von Mortalitätsdatenanalysen bei den Überlebenden der japanischen Atombombenopfer von Hiroshima und Nagasaki. Diese Menschen waren einer mittleren Strahlendosis von etwa 40 mSv ausgesetzt. Dies entspricht 2-3 CT-Untersuchungen bei Erwachsenen. Die Daten der Atombombenopfer liefern eine starke Evidenz eines erhöhten Krebsmortalitätsrisikos bei einer Äquivalenzdosis von 100 mSv, eine gute Evidenz für Risikoerhöhungen bei Strahlendosen zwischen 50 und 100 mSv und eine angemessene Evidenz für eine Risikoerhöhung bei Dosen zwischen 10 und 50 mSv. (3)

Aber selbst wenn man die Kontroversen über die Validität des linearen, schwellenfreien Modells berücksichtigt, muss man anerkennen, dass die Erhöhung des Krebsrisikos bei einer Organdosis einer typischen CT-Untersuchung mit 2 bis 3 Körperscans in einem Bereich einer direkten, statistisch signifikanten Risikoerhöhung liegen. Die entsprechenden CT-bedingten Risiken können jedenfalls direkt aus epidemiologischen Daten gewonnen werden, o h n e gemessene Risiken bei niedrigen Dosen extrapolieren zu müssen. Z. B. berichteten Brenner et al. (4) von einem geschätzten, lebenslangen Krebsmortalitätsrisiko bei einer einzigen pädiatrischen CT-Abdomenuntersuchung beim späteren Erwachsenen von 0,02 %, basierend auf typischen Organdosen.

Literatur

1. Little MP, Wakeford R, Tawn EJ, Bouffler SD, Berrington de Gonzalez
A: Risks associated with low doses and low dose rates of ionizing
radiation: Why linearity may be (almost) the best we can do. Radiology
251: 6–12, 2009
2. Tubiana M, Feinendegen LE, Yang C, Kaminski JM: The linear no
threshold relationship is inconsistent with radiation biologic and experimental data. Radiology 251: 13–22, 2009
3. Pierce DA, Shimizu Y, Preston DL, Vaeth M, Mabuchi K: Studies of the
mortality of atomic bomb survivors. Report 12, part I. Cancer: 1950–
1990. Radiat Res 146: 1–27, 1996
4. Brenner DJ, Elliston CD, Hall EJ, Berdon WE: Estimated risks of
radiation-induced fatal cancer from pediatric CT. AJR 176: 289–296,
2001

Freundliche, kollegiale Grüße, D. med. Thomas G. Schätzler, FAfAM Dortmund

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