Gewaltprävention

Therapie im Knast könnte Rückfälle verhindern

Gewaltstraftäter mit einer psychischen Störung - hauptsächlich einer Suchterkrankung - werden nach verbüßter Haftstrafe vermehrt rückfällig. Eine bessere psychiatrische Versorgung könnte dies wahrscheinlich verhindern.

Von Thomas Müller Veröffentlicht:
Drohung: Viele gewalttätige Delinquenten sind suchtkrank. Therapien helfen gegen das hohe Rückfallrisiko.

Drohung: Viele gewalttätige Delinquenten sind suchtkrank. Therapien helfen gegen das hohe Rückfallrisiko.

© Edler von Rabenstein / fotolia.com

OXFORD. Die Beziehung zwischen Straftaten und psychischen Erkrankungen ist komplex: Auf der einen Seite verstoßen Menschen mit bestimmten psychischen Störungen häufiger gegen gesellschaftliche Konventionen und kommen daher auch öfter mit dem Gesetz in Konflikt, meist jedoch wegen geringfügiger Vergehen.

Werden psychisch Kranke nicht betreut und behandelt, sind solche Vergehen oft der Anlass für Behörden, tätig zu werden- in vielen Ländern allerdings nur in strafrechtlicher Hinsicht.

So gehen Untersuchungen davon aus, dass in US-Gefängnissen zehnmal mehr psychisch Kranke einsitzen als in sämtlichen psychiatrischen Kliniken des Landes. Die mit Abstand am häufigsten angewandte psychiatrische "Therapie" in den USA scheint also die strafrechtliche Verurteilung mit Freiheitsentzug zu sein.

In europäischen Ländern mit einer gesetzlich verankerten Krankenversicherungspflicht sicherlich anders ist, so hat auch hier jeder siebte Inhaftierte eine Psychose oder eine schwere Depression und jeder fünfte eine Suchterkrankung, berichten Forscher um Professor Seena Fazel von der Universität in Oxford (Lancet Psychiatry 2015; online 3. September).

Und bei solchen Personen haben die britischen Psychiater nun ein besonders hohes Risiko für eine Wiederholungstat festgestellt.

Verdoppeltes Rückfallrisiko

Für ihre Analyse hat das Team um Fazel eine Reihe schwedischer Bevölkerungs-, Kranken-, und Polizeiregister analysiert. Sie konnten daher feststellen, wie viele Straftäter eine psychiatrische Diagnose hatten und was mit ihnen nach der Haftentlassung geschah. Sie beschränkten sich auf Personen, die aufgrund einer Gewalttat inhaftiert waren.

Diese waren also wegen Mord, Raub, Körperverletzung oder Sexualdelikten verurteilt worden. Die Forscher um Fazel fanden rund 47.300 solcher Straftäter, die zwischen den Jahren 2000 und 2009 aus schwedischen Gefängnissen entlassen worden waren.

93 Prozent davon waren Männer, von ihnen hatten bei der Entlassung 42 Prozent mindestens eine psychiatrische Diagnose, 64 Prozent waren es bei den wenigen weiblichen Gewalttäterinnen.

Mit Abstand am häufigsten hatten solche Personen eine Suchterkrankung: Knapp über 40 Prozent waren es bei den psychisch auffälligen Männern und 70 Prozent bei den Frauen.

Im Schnitt konnten die Forscher Daten von bis zu zehn Jahren nach der Entlassung auswerten. In dieser Zeit wurden 25 Prozent der Männer und 11 Prozent der Frauen erneut wegen eines Gewaltdelikts verurteilt.

Bei denjenigen mit einer psychiatrischen Diagnose war der Anteil etwa doppelt so hoch - also etwa jeder zweite Mann und jede vierte Frau wanderten erneut in den Knast. Bezogen auf fünf Jahre lag die Rückfallquote für Männer mit einer psychiatrischen Diagnose bei 41 Prozent, ohne diese bei 25 Prozent. Von den Frauen mit psychischen Problemen wurden in dieser Zeit 20 Prozent rückfällig, ohne 8 Prozent.

Berücksichtigten die Forscher Alter und Migrationshintergrund, so ergibt sich nach ihren Berechnungen für Männer mit einer psychiatrischen Diagnose ein 2,1-fach und für Frauen ein 2,8-fach erhöhtes Rückfallrisiko. Der Zusammenhang wurde etwas abgeschwächt, blieb aber noch signifikant, wenn die britischen Psychiater soziodemografische und kriminologische Faktoren berücksichtigten.

Jede fünfte Wiederholungstat vermeidbar

Sollten tatsächlich die psychische Störung und nicht irgendwelche unberücksichtigten Begleitfaktoren eine Bedeutung für das Rückfallrisiko haben, dann ließen sich etwa 20 Prozent aller Rückfälle bei Männern und 40 Prozent bei Frauen auf solche Störungen zurückführen, schreiben die Wissenschaftler um Fazel.

Daraus ergibt sich ein beachtliches Präventionspotenzial: Jede fünfte Gewalttat durch einen Wiederholungstäter ließe sich potenziell verhindern, wenn es gelänge, die psychischen Probleme in den Griff zu bekommen.

Dass dies nicht nur theoretische Überlegungen sind, zeigen andere Daten, die Fazel und ihr Team an Schizophreniekranken erhoben haben: Unter Neuroleptika begingen solche Patienten nur halb so oft Gewaltstraftaten wie ohne Medikamente.

Da ein Großteil der psychisch auffälligen Straftäter primär ein Suchtproblem hat, wäre also ein konsequenter Alkohol- und Drogenentzug von Vorteil, ebenso eine engmaschige suchttherapeutische Betreuung nach der Entlassung.

Ebenfalls hoch ist nach den Daten von Fazel die Rückfallwahrscheinlichkeit bei bipolar Erkrankten. Allerdings liegt deren Anteil in der Gefängnispopulation bei weniger als einem Prozent.

Eine bessere psychiatrische Versorgung allein dürfte aber wenig an der Rückfallquote ändern, geben Psychiater um Dr. Louis Appleby von der Universität in Manchester in einem Editorial zu den Studienergebnissen bedenken, letztlich müsse das gesamte sozioökonomische Umfeld betrachtet werden.

Ohne eine sinnvolle Beschäftigung und vernünftige Lebensbedingungen in der wiedererlangten Freiheit lasse sich nur ein kleiner Teil des Präventionspotenzials umsetzen.

Berücksichtigt werden muss zudem, dass Schwedens Gefängnispopulation nicht unbedingt repräsentativ ist. In dem skandinavischen Land sind 67 von 100 000 Einwohnern inhaftiert, 79 sind es in Deutschland und über 700 in den USA.

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