Leopoldina-Analyse

Die Schere geht auf bei den Gesundheitschancen

Je reicher ein Land, desto größer sind die gesundheitlichen Unterschiede zwischen „Oben“ und „Unten“.

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Die Schere geht weiter auf: Die gesundheitliche Ungleichheit wächst mit dem Wohlstand eines Landes.

Die Schere geht weiter auf: Die gesundheitliche Ungleichheit wächst mit dem Wohlstand eines Landes.

© Jürgen Fälchle / stock.adobe.com

BERLIN. Allen Präventionsbemühungen zum Trotz klafft die Schere der Gesundheitschancen zwischen Arm und Reich immer weiter auseinander. Die gesundheitliche Ungleichheit wächst mit dem Wohlstand eines Landes. Das zeigen Analysen, die bei einer Tagung der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina am Dienstag in Berlin vorgestellt wurden.

„Wir sehen weltweit in den entwickelten Ländern ein Auseinanderdriften der Schere“, sagte Professor Ursula Staudinger, Vorsitzende der Wissenschaftlichen Kommission für demografischen Wandel bei der Leopoldina.

Dr. Thomas Lampert vom Robert-Koch-Institut (RKI) erklärt das damit, „dass wir sozial benachteiligte Bevölkerungsgruppen mit den vorhandenen Angeboten noch nicht erreichen“. Lampert verweist auf Beobachtungen der Gesundheitsberichterstattung am RKI, wonach sich gesundheitliche Unterschiede in den vergangenen Jahren in bestimmten Bereichen sogar ausgeweitet haben.

Beispielhaft nannte er die Themen Rauchen und sportliche Inaktivität. „Wir haben in den letzten zehn Jahren bei der Tabakprävention richtig viel erzielt“, stellte er fest. Doch gilt das nach seinen Angaben nur für Menschen in höheren sozialen Lagen, nicht für sozial Benachteiligte. „Wir nehmen sie nicht mit“, sagte Lampert.

Die These, dass die gesundheitlichen Unterschiede zwischen Arm und Reich immer weiter wachsen, unterstützt Professor Peter Haan vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung. Er zeigte anhand einer Analyse von Rentenversicherungsdaten einer eng umgrenzten Gruppe von Männern, dass der Unterschied in der Lebenserwartung um das 65. Lebensjahr gestiegen ist. Bei den Geburtsjahrgängen 1924 bis 1928 lag er der Analyse zufolge bei vier Jahren, bei den Jahrgängen 1947 bis 1949 schon bei sieben Jahren. „Das Problem ist deutlich stärker geworden“, so Haan.

Auch internationale Studien bestätigen diese Beobachtungen. Menschen aus höheren sozialen Lagen profitieren von einer Senkung der Mortalität in allen untersuchten Ländern mehr als Menschen aus niedrigeren sozialen Lagen.

Darauf wies der niederländische Public-Health-Forscher Professor Johan Mackenbach hin. Dabei spiele es keine Rolle, ob die Mortalität durch Verhaltensänderungen oder durch Verbesserungen am Gesundheitssystem sinke. Er beobachtet jedoch im internationalen Vergleich, dass die Mortalitätsunterschiede in reichen Wohlfahrtsstaaten wie Norwegen stärker ausgeprägt sind als etwa in den weniger ausgeprägten Sozialsystemen Südosteuropas.

Mit Blick auf diese Entwicklungen sieht der Medizinsoziologe Professor Johannes Siegrist dringenden Handlungsbedarf. „Reiche Staaten haben die größeren Herausforderungen als arme, Ungleichheiten zu bekämpfen“, sagte Siegrist. Er fordert deshalb einen verstärkten gesellschaftlichen Dialog über gesundheitliche Ungleichheit. (ami)

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