Prävention

Japan und Deutschland am Zug

Die Demografie stellt Deutschland und Japan vor ähnliche Herausforderungen. Erkrankungen vorzubeugen und voneinander zu lernen wird für beide Länder immer wichtiger. In Sachen Public Health kooperieren beide Länder schon seit vielen Jahren.

Von Martina Merten Veröffentlicht:
Die Robbe Paro: Kuscheltiere wie dieses sollen Pflegeheimbewohnern die Einsamkeit vertreiben. Das wird sowohl in japanischen als auch deutschen Heimen bereits praktiziert.

Die Robbe Paro: Kuscheltiere wie dieses sollen Pflegeheimbewohnern die Einsamkeit vertreiben. Das wird sowohl in japanischen als auch deutschen Heimen bereits praktiziert.

© Peter Endig/dpa

BERLIN. Die Menschen in Deutschland und in Japan zählen zu den Greisen auf dieser Welt. Die Lebenswartung in den beiden Industrienationen liegt mit am höchsten. Pflege und Pflegeversicherung spielen daher in Deutschland und Japan eine große Rolle.

Gleichzeitig haben beide Länder mit einer ähnlichen Krankheitslast zu kämpfen. Die Anzahl von Patienten mit chronischen Erkrankungen, noch dazu multimorbide, steigt.

Nicht zuletzt müssen sich Japan und Deutschland mit der durch die Globalisierung bedingten Zunahme neuer Krankheiten und Erreger auseinandersetzten - "Herausforderungen, bei denen die Präventivmedizin immer wichtiger wird", unterstrich Masaru Sakato, stellvertretender Generalsekretär des Japanisch-Deutschen Zentrums, in Berlin, auf der Veranstaltung "Preventive Medicine and Public Health in Japan and Germany - past and future".

Mit der Aufklärung fing alles an

Präventivmedizin und Public Health, erläuterte Dr. Brigitte Michel, begannen in Deutschland schon seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts eine Rolle zu spielen. Im Zuge der Aufklärung fing der Staat an, sich um das Wohl des Einzelnen zu kümmern, so die Geschäftsführerin der Berlin School of Public Health (BSPH) an der Charité - Universitätsmedizin Berlin.

Mitte des 19. Jahrhunderts führten Krankheitsprobleme, die durch die fortschreitende Industrialisierung und die schlechten hygienischen Verhältnisse auftraten, staatlicherseits zu der Beschäftigung mit der Bedeutung von Hygiene für die Gesundheit.

Mit Beginn des Nationalsozialismus manifestierte sich der Übergang von der Sozial- zur Rassenhygiene. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs habe historisch bedingt Public Health in Westdeutschland erst einmal keine große Rolle gespielt, "da die Politik an alte Traditionen nicht anknüpfen wollte", so Michel.

Zudem hatten ehemalige Sozialhygieniker Deutschland verlassen und die am US-System ausgerichtete Individualmedizin stand im Vordergrund. In Ostdeutschland war dies anders: Hier führte der Staat Michel zufolge am britischen System ausgerichtete Institute für Sozialhygiene ein.

Erst ab den Siebziger Jahren, berichtete Michel, fingen Mediziner in Westdeutschland an, Grenzen der klinischen Medizin zu sehen.

Ab den Achtziger Jahren gelang der Durchbruch von Public Health. Heute gibt es der Direktorin der BSPH, Professor Jacqueline Müller-Nordhorn zufolge, neun Standorte in Deutschland, an denen Public Health gelehrt wird, allerdings verwendeten die Lehrenden von Standort zu Standort unterschiedliche Begrifflichkeiten.

Japan gewann seine ersten Einblicke in die Lehren der Präventivmedizin und öffentlichen Gesundheitsfürsorge in Deutschland selbst. Bis 1867 schottete sich das asiatische Land gegenüber dem Ausland komplett ab, sagte Professor Chisato Mori, Direktor am Center for Preventive Medical Science an der Chiba Universität in Japan.

Außer chinesischer Medizin und Pflanzenheilkunde nutzten die Japaner nichts. Erst im Jahre 1870 entschied sich die chinesische Regierung dazu, westliche Medizin - insbesondere die deutsche - zu importieren.

Ogai Mori lernte in Deutschland

Der Arzt Ogai Mori - der Urgroßvater von Chisato Mori - wurde nach Berlin entsandt, um von den Deutschen, insbesondere von Robert Koch und Max Pettenkofer, zu lernen. Als er 1888 nach Japan zurückkehrte, führte er sein in Deutschland erlangtes Wissen über Public Health und die Bedeutung von Hygiene für den Gesundheitszustand der Bevölkerung auch in seinem eigenen Land ein.

Er veröffentlichte ein Buch über Präventivmedizin und setzte sich für die Typhusschutzimpfung ein. Inzwischen beschäftigen sich Wissenschaftler insbesondere an drei Universitäten in Japan - an der Chiba-Universität, an der Universität Kanazawa und an der Nagasaki-Universität - mit Public-Health-Aspekten.

Eine besondere Herausforderung, berichtete Professor Hiroyuki Nakamura von der Kanazawa-Universität, sei dabei die Sammlung von Daten und die Standardisierung von Diagnosen. "Unser Ziel ist es, soziale und mentale Aspekte in die Präventivmedizin einzubeziehen", unterstrich Nakamura.

Diesen Aspekt hält auch Professor Rolf Rosenbrock für essenziell. Chronische Erkrankungen kämen bei Menschen aus prekären sozialen Verhältnissen weitaus häufiger vor als bei wohlhabenden Menschen. Menschen aus unteren sozialen Schichten verhielten sich risikoreicher, so der Vorsitzende des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes.

"Wir brauchen soziale Interventionen in den Risikofeldern", betonte Rosenbrock. Prävention müsse auf die Lebenslage der Menschen eingehen.

Gleichzeitig ist das ehemalige Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen davon überzeugt, dass Ärzte allein sich nicht um das Themenfeld Prävention kümmern können. Hier sei der Anlauf der Politik, ein Präventionsgesetz auf den Weg zu bringen, richtig, sagte Rosenbrock.

Japan und Deutschland wollen auch in Zukunft im Bereich der Präventivmedizin und bei Public Health Aktivitäten weiter an einem Strang ziehen und voneinander lernen, bekräftigten die Wissenschaftler beider Länder. Denn die Vorbeugung von Erkrankungen sei noch immer die beste Medizin.

Ihr Newsletter zum Thema
Mehr zum Thema
Das könnte Sie auch interessieren
Der Gesundheitsdialog

© Janssen-Cilag GmbH

J&J Open House

Der Gesundheitsdialog

Kooperation | In Kooperation mit: Johnson & Johnson Innovative Medicine (Janssen-Cilag GmbH)
Impulse für den medizinischen Fortschritt: Welches Mindset braucht Deutschland?

© Springer Medizin

Johnson & Johnson Open House-Veranstaltung am 26. Juni 2025 beim Hauptstadtkongress

Impulse für den medizinischen Fortschritt: Welches Mindset braucht Deutschland?

Kooperation | In Kooperation mit: Johnson & Johnson Innovative Medicine (Janssen-Cilag GmbH)
J&J Open House beim Hauptstadtkongress

© [M] Springer Medizin Verlag

Video zur Veranstaltung

J&J Open House beim Hauptstadtkongress

Kooperation | In Kooperation mit: Johnson & Johnson Innovative Medicine (Janssen-Cilag GmbH)
Glasglobus und Stethoskop, eingebettet in grünes Laub, als Symbol für Umweltgesundheit und ökologisch-medizinisches Bewusstsein

© AspctStyle / Generiert mit KI / stock.adobe.com

Klimawandel und Gesundheitswesen

Klimaschutz und Gesundheit: Herausforderungen und Lösungen

Kooperation | In Kooperation mit: Frankfurter Forum
Ein MRT verbraucht viel Energie, auch die Datenspeicherung ist energieintensiv.

© Marijan Murat / dpa / picture alliance

Klimawandel und Gesundheitswesen

Forderungen nach Verhaltensänderungen und Verhältnisprävention

Kooperation | In Kooperation mit: Frankfurter Forum
Ein Dialogforum von Fachleuten aus Gesellschaft, Gesundheitspolitik und Wissenschaft

© Frankfurter Forum für gesellschafts- und gesundheitspolitische Grundsatzfragen e. V.

Das Frankfurter Forum stellt sich vor

Ein Dialogforum von Fachleuten aus Gesellschaft, Gesundheitspolitik und Wissenschaft

Kooperation | In Kooperation mit: Frankfurter Forum
Kommentare
Sonderberichte zum Thema
Abb. 1: Eszopiclon verbesserte signi?kant beide polysomnographisch bestimmten primären Endpunkte: Schla?atenz (a) und Schlafe?zienz (b)bei älteren Patienten mit chronischer primärer Insomnie (jeweils p0,05)

© Springer Medizin Verlag GmbH, modifiziet nach [20]

Behandlungsbedürftige Schlafstörungen bei älteren Menschen

Schlafstörungen können typische Altersprozesse triggern und verstärken

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: HENNIG Arzneimittel GmbH & Co. KG, Flörsheim
Protest vor dem Bundestag: Die Aktionsgruppe „NichtGenesen“ positionierte im Juli auf dem Gelände vor dem Reichstagsgebäude Rollstühle und machte darauf aufmerksam, dass es in Deutschland über drei Millionen Menschen gebe, dievon einem Post-COVID-Syndrom oder Post-Vac betroffen sind.

© picture alliance / Panama Pictures | Christoph Hardt

Symposium in Berlin

Post-COVID: Das Rätsel für Ärzte und Forscher

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: vfa und Paul-Martini-Stiftung
Mehr als Schutz für die Atemwege

© Springer Medizin Verlag GmbH

Influenza-Impfung

Mehr als Schutz für die Atemwege

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Sanofi-Aventis Deutschland GmbH, Frankfurt a. M.
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Jetzt neu jeden Montag: Der Newsletter „Allgemeinmedizin“ mit praxisnahen Berichten, Tipps und relevanten Neuigkeiten aus dem Spektrum der internistischen und hausärztlichen Medizin.

Top-Thema: Erhalten Sie besonders wichtige und praxisrelevante Beiträge und News direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Für wen passt was?

Therapie mit Antidepressiva: Auf die Nebenwirkungen kommt es an

Übersichtsarbeit zu Grippeimpfstoffen

Influenza-Vakzinen im Vergleich: Nutzen und Risiken

Lesetipps
Eine MFA schaut auf den Terminkalender der Praxis.

© AndreaObzerova / Getty Images / iStockphoto

Terminservicestellen und Praxen

116117-Terminservice: Wie das Bereitstellen von TSS-Terminen reibungsloser klappt

Bei Grenzentscheidungen (z.B. kürzlich stattgehabte Operation) gelte es, Rücksprache mit der entsprechenden Fachdisziplin zu halten, betont Dr. Milani Deb-Chatterji.

© stockdevil / iStock

Eine schwierige Entscheidung

Schlaganfall: Das sind Grenzfälle der Thrombolyse