Ehtikrat-Empfehlungen

Nicht nur Frust und Ärger im Klinikalltag!

Der Deutsche Ethikrat hat die Kommunikation in den Krankenhäusern bemängelt. Das Patientenwohl müsse wieder mehr in den Fokus gerückt werden. Aber auch für Ärzte und Pflegekräfte ist wichtig, wie mit ihnen umgegangen wird.

Christian BenekerVon Christian Beneker Veröffentlicht:

BERLIN. Jetzt kümmerte sich sogar der Deutsche Ethikrat um die Situation der deutschen Krankenhäuser. Er fragt, ob die Kliniken, und das heißt, die Ärzte, die Pflegenden und die Verwaltungen noch das Patientenwohl in den Mittelpunkt ihrer Arbeit stellen.

Und er liefert die Antwort gleich mit: Das Patientenwohl stehe nicht explizit im Vordergrund der Krankenhausbehandlung, schreibt der Rat in seiner Stellungnahme.

Man möchte dem Rat zurufen: "Das wissen wir doch alles!" Zu Recht würden die Ratsmitglieder dann antworten: "Dann macht etwas draus!"

Ungeachtet der Frage, wie das Patientenwohl der vollen Aufmerksamkeit aller Beteiligten entgleiten konnten, müssen offenbar 26 Ethiker, Ärzte, Philosophen, Juristen und Theologen das Selbstverständliche auf die große Bühne bringen, um den festgefahrenen Karren der Klinikbehandlung aus dem Schlamassel zu ziehen.

Das muss man beschämend nennen oder: eine schallende Ohrfeige. Dabei hat der Rat recht - und auch wieder nicht.

Gewiss: In manchen Kliniken steht eine extrem entwickelte apparative Diagnostik und vielerorts erstklassige High-Tech-Medizin mitunter einem verwahrlosten Patientenkontakt und den Umgangsformen der 50er Jahre gegenüber.

Wertschätzung? Wirklicher Kontakt? Empathie? Fehlanzeige.

Oder haben die Krankenhäuser flächendeckend eingelöst, was der Ethikrat unter Patientenwohl versteht? Das wohl nicht. Patientenwohl bestehe aus "selbstbestimmungsermöglichende Sorge für den Patienten", schreibt der Rat, also etwa aus Patientenkommunikation und gemeinsamer Entscheidungsfindung.

Eben diesen Aspekt des Patientenwohls misst der Rat neben der "Zugangs- und Verteilungsgerechtigkeit" und der "guten Behandlung" in seiner Schrift insgesamt überragende Bedeutung zu, denn an ihm hängt viel.

Eklatanter Zeitmangel

Der Hamburger Psychologe Dr. Thomas Wunder, Mitglied des Ethikrates, berichtet etwa von einem kurios verunglückten Fall von Kommunikation: Der Klinikarzt erklärt dem Patienten, wie und wann er sein Mittel gegen Bluthochdruck einnehmen soll.

Der Patienten wird entlassen. Wochen später erscheint der Patient zur Kontrolle seines Blutdrucks in der Hausarztpraxis. Das Ergebnis: Das Medikament schlug nicht an.

Nach längerer Nachfrage stellt sich heraus, dass der alte Herr mit dem Bluthochdruck sein Medikament immer nur bei Hochdruck-Wetter eingenommen hat. Da es in der Vergangenheit viel regnete, waren die Pillen wohl nicht nötig.

Gut, diese Episode geht auch als Kuriosum an Arztstammtischen durch. Aber sie zeigt überspitzt, was passieren kann, wenn der Arzt nicht nachfragt, was vor allem dann passieren kann, wenn er bei alten und behinderten Menschen oder bei Kindern nicht noch einmal nachfragt und nochmal und nochmal: "Wann genau sollten sie das Medikament einnehmen? Wie, genau?" Oder: "Zeigen Sie mir doch noch mal, wie Sie den Inhalator richtig benutzen".

Patienten dürfen schließlich begriffsstutzig oder verwirrt sein. Sie sind ja Patienten und keine Geschäftspartner. "Aber woher soll ich die Zeit dafür nehmen?", wird mancher Krankenhausarzt fragen - und damit hat er das Problem formuliert.

Die Episode zeigt also pars pro toto das Problem: Es fehlt - vor allem in der Pflege - die Zeit, um sich mehr dem Patientenwohl zu widmen.

Was fehlt genau? "Zuhören, Trost spenden, für Wohlbefinden sorgen, des Weiteren dann auch das Durchführen von Prophylaxen zur Verhinderung von Komplikationen (Dekubitus, Thrombose, Pneumonie, Kontrakturen), ferner auch Aktivitäten der Grundpflege, die entindividualisiert werden, sowie überdies das Informieren, das Beantworten von Fragen und die Kommunikation mit dem Patienten über das Verhalten nach der Entlassung aus dem Krankenhaus", erklärte Professor Thomas Heinemann vom Ethikrat, als die Stellungnahme präsentiert wurde.

Ärzten und Pflegekräften wird oft Unrecht getan

"Was wir in den Krankenhäusern bei den Pflegenden und Ärzten erleben, das ist teilweise Verzweiflung", sagt denn Heinemann vom Lehrstuhl für Ethik, Theorie und Geschichte der Medizin an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Vallendar zur "Ärzte Zeitung".

"Denn Ärzte und Pflegende können ihre berufsethischen Pflichten im Tagesablauf, so wie sie gefordert sind, nicht mehr umsetzen". Ähnliches dürfte gelten bei der Kommunikation der Krankenhaus-Berufsgruppen untereinander. Zu Recht fordert deshalb der Ethikrat, dass die Kommunikation in den DRGs besser abgebildet wird.

Auf der anderen Seite tut man den hoch engagierten Ärzten, Pflegenden und den Verwaltungen auch Unrecht. Denn - und das thematisiert der Rat in seiner Schrift kaum - es steht das hunderttausendfache Engagement in Millionen von Gesten der Zuwendung und der Wertschätzung von Ärzten und Pflegenden für die Kollegen und die Patienten im Dienst des Patientenwohls gegenüber.

Krankenhauspolitik, wie Politik überhaupt, wird praktisch immer von den Unzufriedenen gemacht, den Frustrierten, den Rebellen und Zornigen.

Dabei bestehe auch der mit Misslingen durchsetzte Arbeitsalltag "im Großen und Ganzen doch aus Hunderten von kleinen Zeichen der Aufmerksamkeit und Großzügigkeit". Das schreibt der Soziologe Jeremy Rifkin in seinem Buch "Die Empathische Zivilisation".

Rifkin hält die Empathie für ein Humanum und zwar für ein genuines. Ich kann nicht beurteilen, ob das stimmt. Aber dass der Klinikalltag nur aus Frust, Mittelknappheit und Missverständnissen bestünde, stimmt sicher nicht. Jede Krankenpflegerin, die das Krankenzimmer mit einem "guten Morgen, wie geht's heute?" betritt, weiß das.

Und sie weiß es nicht aus Lehrbüchern, sondern weil sie es ganz selbstverständlich lebt. Und ihre Geste ist keineswegs banal.

Also geht es für Ärzte und Pflegende auch darum, ihre Arbeitsfreude und Wertschätzung nicht durch den Geldmangel zermürben zu lassen, so sehr das Geld auch fehlt. Vielleicht ist dies derzeit der wichtigste Aspekt der Arbeitskultur im Krankenhaus.

"Die Patienten beurteilen ihren Krankenhausaufenthalt vor allem danach, wie mit ihnen umgegangen wurde", sagt Thomas Wunder. Da haben sie etwas mit den Ärzten und Pflegenden gemeinsam.

 

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