Schwerbehinderung kann zurückdatiert werden

Das Bundessozialgericht macht deutlich klar, dass das "besondere Interesse" von Behinderten im Vordergrund steht.

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KASSEL (mwo). Schwerbehinderte können künftig einfacher den Tag rückdatieren lassen, zu dem ihre Schwerbehinderung als anerkannt gilt. Dies ist nicht auf medizinisch "offenkundige" Fälle beschränkt, heißt es in einem vergangene Woche schriftlich veröffentlichten Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) in Kassel.

Vielmehr müssen Behörden und Gerichte auf Antrag offen prüfen, ob die Schwerbehinderung schon früher vorlag. Eine Rückdatierung kann günstig für verschiedene Leistungen sein, im konkreten Fall für eine höhere Altersrente.

Der heute 65-jährige Kläger ist Arzt für Biochemie. 2002 wurde ein zehn mal zehn Zentimeter großer gastrointestinaler Stromatumor (GIST) oberhalb des Blasendaches diagnostiziert und entfernt. Metastasen und Rezidive machten später weitere Eingriffe nötig.

Das Landesamt für Gesundheit und Soziales in Berlin stellte einen Grad der Behinderung von zunächst 80 und dann von 100 ab April 2002 fest. Seit 2007 bezieht der Arzt eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen, muss dabei aber Abschläge hinnehmen. Diese Abschläge würden entfallen, wenn seine Schwerbehinderung ab Mai 2000 rückdatiert würde.

Mit dem Land lehnten dies auch das Sozialgericht und das Landessozialgericht Berlin noch ab: Die Feststellung des Behinderungsgrades sei eine "Statusentscheidung", die in der Regel höchstens auf den Tag des Antrags zurückdatiert werden könne.

Ausnahmen seien auf "offenkundige" Einzelfälle beschränkt. Hier gebe es aber keinerlei Unterlagen, aus denen sich eine Schwerbehinderung bereits ab Mai 2000 ergebe.

Doch solch harte Anforderungen lassen sich weder dem früheren Schwerbehindertengesetz noch dem heutigen Sozialgesetzbuch IX entnehmen, stellte nun das BSG klar. Die Rückwirkung sei "nicht auf offenkundige Fälle beschränkt".

Das Gesetz verlange lediglich ein "besonderes Interesse" des Behinderten an der Rückwirkung seiner Schwerbehinderung. Das sei der Fall, wenn der Behinderte "das angestrebte Ergebnis nicht auf einfachere Weise erreichen kann".

Das treffe hier auf das Interesse an einer ungekürzten Rente wohl zu. Behörden und Gerichte müssten in solchen Fällen offen prüfen, ob der Behinderte auch vor seinem Antrag wohl schon schwerbehindert war, urteilte das BSG. Dies muss nun im konkreten Fall das Landessozialgericht Berlin nachholen.

Az.: B 9 SB 3/10 R

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