TK für Abschaffung

Streit um Praxisgebühr neu entfacht

Die Techniker Krankenkasse hat die Diskussion über die Zukunft der Praxisgebühr wieder angeheizt: Sie spricht sich für eine Abschaffung aus - zur Freude von Minister Bahr. Die Kanzlerin hingegen will an der Zuzahlung festhalten.

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht:
Zehn Euro Praxisgebühr: Ärgernis oder Erfordernis für eine nachhaltige Gesundheitspolitik?

Zehn Euro Praxisgebühr: Ärgernis oder Erfordernis für eine nachhaltige Gesundheitspolitik?

© imagebroker / imago

BERLIN. Wieder gibt es Vorstöße, die Praxisgebühr abzuschaffen. Erstmals spricht sich mit TK-Vorstand Jens Baas der Chef einer großen Kasse in Deutschland für die vollständige Streichung der Gebühr aus.

Das Thema ist hochsensibel, zumal in Vorwahlkampfzeiten. Kaum zurück aus dem Urlaub meldete sich sogar die Kanzlerin zu Wort. Sie wolle an der Zuzahlung beim Arztbesuch festhalten, ließ Angela Merkel (CDU) durch ihren Sprecher ausrichten.

Bahr gegen Gebühr

Konsensfähig ist diese Haltung im Augenblick nicht einmal innerhalb der Regierung. Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) bekräftigte am Montag erneut seine Ablehnung der Gebühr.

SPD, Grüne und Linke wettern schon seit Monaten gegen das Instrument, das nicht nur ihrer Ansicht nach seine Steuerungswirkung schon seit langem verloren hat.

Im Gegenteil. Deutschland stehe nach wie vor an der Spitze der Staaten mit den meisten Arztbesuchen, schaltete sich auch Hessens Sozialminister Stefan Grüttner (CDU) am Montag in die Diskussion ein.

Nach einer aktuellen Umfrage des emnid-Instituts für die "Bild am Sonntag" wollen auch 77 Prozent der Menschen in Deutschland die Praxisgebühr nicht mehr weiter bezahlen.

Die Kassenärztlichen Vereinigungen befragen derzeit die Patienten nach ihrer Meinung zur Gebühr. Das Ergebnis soll Ende des Jahres vorliegen.

"Bürokratiemonster" Praxisgebühr

Zu "größter Zurückhaltung" mahnte hingegen der stellvertretende Vorsitzende der Unionsfraktion Johannes Singhammer. Die Unionsfraktion stehe weiter hinter der Praxisgebühr, sagte Singhammer der "Ärzte Zeitung". Die Aussage, die Gebühr entfalte keine Steuerungswirkung, sei umstritten.

Als CSU-Politiker füghte er hinzu: "Es ist jetzt schon erkennbar, dass es zu Ausgabensteigerungen in der gesetzlichen Krankenversicherung kommen wird, wenn wir die Versorgungsstrukturen auf dem Land mit Ärzten, Apotheken und Krankenhäusern erhalten wollen." Es sei nicht nachhaltig, wenn die Einnahmebasis verkürzt werde.

Für eine Mehrheit der Ärzte ist die Praxisgebühr ein Praxisressourcen verschlingendes "Bürokratiemonster". Mehr als 1,5 Milliarden Euro im Jahr zögen die Ärzte für die Krankenkassen ein, sagt ein Sprecher der Kassenärztlichen Bundesvereinigung.

Das seien also mehr als 150 Millionen Fälle. Dazu käme noch rund eine Million Mahnverfahren für Patienten, die die Gebühr schuldig blieben.

120 Stunden pro Jahr Arbeit für eine Praxis

Berechnungen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung zufolge muss eine Arztpraxis im Schnitt 120 Stunden im Jahr für das Einziehen der Gebühren aufwenden. Alle Praxen zusammen koste dies 360 Millionen Euro, also 4100 Euro pro Praxis im Jahr.

Positive Effekte auf den Praxisalltag vermutet daher auch der Vorsitzende des NAV-Virchow-Bunds Dr. Dirk Heinrich in einer Abschaffung der Gebühr. Die Helferinnen müssten nicht mehr mit Patienten über die Gebühr diskutieren.

Heinrich geht davon aus, dass sich auch finanzielle Effekte beobachten ließen. "Zumindest würden die durch die Praxisgebühr ausgelösten Arztbesuche wieder eingefangen", sagte Heinrich der "Ärzte Zeitung".

Gemeint sind Überweisungen, die sich Patienten nur ausstellen lassen, weil sie für ein Quartal bereits die Gebühr entrichtet haben.

GKV-Spitzenverband pro Gebühr

Mitstreiter für das Beibehalten der Praxisgebühr findet die Kanzlerin auch beim GKV-Spitzenverband.

"Die jährlichen Einnahmen durch die Praxisgebühr in Höhe von rund zwei Milliarden Euro sind eine verlässliche Größe für die gesetzliche Krankenversicherung insgesamt, die für die dauerhafte Finanzierung der Versorgung der Versicherten nicht ersatzlos gestrichen werden kann, so Florian Lanz, Sprecher des Verbandes, zur "Ärzte Zeitung".

Die Praxisgebühr sei eine gesetzliche Vorgabe, auf die jedoch einzelne Krankenkassen, zum Beispiel in Verbindung mit einem Vertrag zur Integrierten Versorgung verzichten können.

Einen solchen Vorstoß hat unlängst die HEK unternommen, die ihren Versicherten zumindest die Praxisgebühr beim Zahnarzt erlassen will.

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Praxisgebühr: Das "Monster" ist zurück

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