Sektorenübergreifende Versorgung

Wissenschaftler zweifeln am Konzept der Bund-Länder-AG

In welche Richtung geht es mit der sektorenübergreifenden Versorgung? Wissenschaftler bezweifeln, dass die Bund-Länder-Arbeitsgruppe voll in der richtigen Spur ist.

Anno FrickeVon Anno Fricke Veröffentlicht:
Die Schnittstelle zwischen den Sektoren hat die Bund-Länder-AG im Blick. Erste Zwischenergebnisse stoßen noch auf Skepsis.

Die Schnittstelle zwischen den Sektoren hat die Bund-Länder-AG im Blick. Erste Zwischenergebnisse stoßen noch auf Skepsis.

© vege / fotolia

BERLIN. Die sich abzeichnende Stoßrichtung der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Sektorenübergreifende Versorgung“ stößt auf Kritik. „Es verwundert mich, dass die Arbeitsgruppe als eines der zentralen Ergebnisse ihres bisherigen Arbeitens die These vertritt, die Möglichkeiten der Krankenhäuser im Hinblick auf die ambulante Versorgung müssten erheblich erweitert werden“, sagte der ehemalige Gesundheitsweise Professor Eberhard Wille vergangene Woche in Berlin. Zudem werde bislang nicht deutlich, wo eine tatsächlich integrierte Versorgung im Konzept der Arbeitsgruppe Platz finden solle.

Die Bund-Länder-AG haben Union und SPD im Koalitionsvertrag von 2018 vereinbart. An Bord sind zudem Vertreter der Regierungsfraktionen. Sie soll bis 2020 Vorschläge für eine Weiterentwicklung der sektorenübergreifenden Versorgung formulieren. Ihr Themenbogen spannt sich von der Bedarfsplanung über Honorierung, Kodierung und Kooperation der Gesundheitsberufe bis zur telematischen Infrastruktur.

Mehr Krankenhaus statt Praxis?

In einem ersten Arbeitsentwurf der AG von Anfang Mai heißt es, dass „bestehende stationäre Versorgungskapazitäten zur ambulanten Behandlung der Patienten zur Vermeidung von Versorgungsengpässen sektorenübergreifend eingesetzt werden“ können.

Beim ZI-Kongress „Versorgungsforschung 2019“ in Berlin hielt Wille dagegen. Es müsse die Frage gestellt werden, ob mehr Öffnung der Krankenhäuser für die ambulante Versorgung in strukturschwachen Gebieten überhaupt helfen könne. Dort hätten die Krankenhäuser heute schon Probleme, die stationäre Versorgung auf einem bestimmten Qualitätsniveau sicherzustellen, zum Beispiel rund um die Uhr den Facharztstandard zu garantieren. Um wie viel schwerer werde es dann, das ambulante Umfeld mit zu betreuen, so Wille.

Wie integriert ist die Versorgung?

Zudem hätten die Krankenhäuser in den vergangenen 20 Jahren vom Gesetzgeber viele Möglichkeiten erhalten, sich an der Schnittstelle von ambulanter und stationärer Versorgung zu positionieren. Tatsächlich nutzten die Kliniken diese Chancen nur in bescheidenem Umfang, sagte Wille. Eine der zentralen Ursachen dafür sieht er in den unterschiedlichen Abrechnungsmöglichkeiten der beiden Leistungssektoren. Die machten es für die Kliniken lukrativer, einem Patienten „eine Nacht im Krankenhaus zu spendieren“, womit er dann zum besser honorierten stationären Fall werde.

Es sei möglich, den Wettbewerb an der Schnittstelle zu beobachten und sich zu fragen, wo die Leistung besser, effizienter und effektiver erstellt werde. Damit habe man aber noch keine Integrierte Versorgung, sagte Wille. Tatsächlich werde der Integrationsgrad derzeit sogar wieder gesenkt. Als Beispiele nannte Wille die schwächer formulierte Populationsorientierung der 140er-Verträge und die Aufhebung der Pflicht, MVZ fachübergreifend zu gestalten.

Auf die Frage, wie die Sektoren besser integriert werden könnten, gebe der aktuelle Arbeitsstand der Bund-Länder-AG keine Antworten. Selektivvertragliche Versorgung tauche im Konzept der Arbeitsgruppe bislang kaum auf. Stattdessen konzentriere sich die AG auf den Wettbewerb zwischen ambulanten und stationären Institutionen. Die Überschrift dazu laute „gemeinsame fachärztliche Versorgung“. Unscharf bleibe, wie die sich von der ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung (ASV) abgrenzen solle.

Ist Fortschreiben schon Planung?

Der Gesundheitsökonom Professor Reinhard Busse von der TU Berlin stellte in Frage, dass es eine Substitution stationärer Leistungen durch den ambulanten Sektor derzeit überhaupt schon gebe. Stationäre Versorgung habe nicht mit einem Bedarf zu tun, sondern eher mit dem Auslastungsgrad der Betten. Krankenhausplanung finde nur auf niedrigem Niveau statt. Vielmehr würden Krankenhauspläne einfach fortgeschrieben. Das sei zum Beispiel in Niedersachsen seit 1985 gleich 33 Mal in Folge passiert.

Auch Länder mit fünfjährigen Planungszyklen orientierten sich an der vorhandenen Bettenzahl und der Auslastung. Die Faustformel über alle Länder laute: Solange die Auslastung über 80 Prozent liege, müsse nichts passieren. Deshalb habe sich an der Zahl der Betten in den vergangenen zehn Jahren nichts mehr getan. Als planerische Komponente gebe es eher eine Anpassung nach oben.

„Es fehlt ein klares Evaluationsinstrument dafür, was wir für unser Geld bekommen“, sagte Busse. An dieser Stelle habe Deutschland die Orientierung verloren beziehungsweise nie wirklich nach Orientierung gesucht.

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