Bundesgerichtshof

Durchgangsärzte nur bei sofort notwendigen Maßnahmen haftungsbefreit

Die Grenze zwischen Erst- und Anschlussbehandlung entscheidet in der Unfallversicherung über den Beginn der Arzthaftung. Wie eng diese Grenze gezogen ist, hat der BGH jetzt konkretisiert.

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Karlsruhe. Der Bundesgerichtshof hat die Abgrenzung von Diagnose und Erstversorgung durch Durchgangsärzte von der weiteren Behandlung konkretisiert und damit Fragen der Haftung geklärt. Nach dem am Donnerstag veröffentlichten Urteil gehören nur die sofort notwendigen Maßnahmen zur Erstversorgung. Eine Operation erst nach mehreren Stunden kann nicht mehr der Erstversorgung zugerechnet werden, was zur Haftung des Arztes und der Klinik führt.

Im November 2016 hatte der BGH in damals neuer Rechtsprechung entschieden, dass D-Ärzte der gesetzlichen Unfallversicherung sowohl bei Diagnose als auch Erstversorgung immer in Ausübung ihres öffentlich-rechtlichen Amtes handeln. Für die Folgen eines Fehlers haften daher die Träger der Unfallversicherung.

Grund dafür ist, dass mit der Diagnose immer auch zwei originäre Aufgaben der Unfallversicherung verbunden sind, nämlich die Feststellung, ob es sich tatsächlich um einen Arbeitsunfall handelt und zudem die Zuweisung zur „allgemeinen Heilbehandlung“ durch Vertragsärzte beziehungsweise zur „besonderen Heilbehandlung“, in der Regel durch den D-Arzt selbst.

„Rahmen des Notwendigen“

Zur Erstversorgung stellte der BGH nun klar, dass diese nur „die ärztlichen Leistungen umfasst, die den Rahmen des sofort Notwendigen nicht überschreiten“, um eine Verschlechterung des Zustands des Patienten zu verhindern. Dies sei in der Regel den genannten Entscheidungen vorgelagert, weshalb auch die Erstversorgung hinsichtlich der Haftung noch den Unfallträgern zuzurechnen ist.

„Davon zu unterscheiden sind Maßnahmen, die zeitlich nach und in Vollzug der Entscheidung über die Art der Heilbehandlung durchgeführt werden“, heißt es in dem Urteil weiter. Diese seien „grundsätzlich als privatrechtliches Handeln des Durchgangsarztes zu qualifizieren“.

Im Streitfall war ein achtjähriges Mädchen auf dem Schulhof gestürzt. Im Krankenhaus wurde nach einer Röntgenuntersuchung die Diagnose einer distalen Unterarmfraktur rechts mit dorsaler Abkippung gestellt. Nach einem Aufklärungsgespräch mit der Mutter wurde mehr als drei Stunden später die Narkose für eine Op eingeleitet.

Später hatte das Mädchen Beschwerden und Probleme mit der rechten Hand. Sie führt dies auf die Behandlung zurück und macht Behandlungsfehler und eine unzureichende Aufklärung geltend, insbesondere über die Verwendung eines die Wachstumsfuge kreuzenden Kirschner-Drahts.

Op war keine Erstversorgung

Unter Hinweis auf das BGH-Urteil von 2016 hatte das Oberlandesgericht München die Klage abgewiesen. Mutter und Kind müssten sich an den Unfallträger wenden. Dies hob der BGH nun auf. Die Op sei nicht der Erstversorgung zuzurechnen und die Unfallversicherung daher haftungsrechtlich außen vor.

Zur Begründung verwiesen die Karlsruher Richter darauf, dass zwischen Aufnahme und OP über drei Stunden verstrichen seien und auch Zeit für ein Aufklärungsgespräch war. Eilbedürftigkeit habe nach den Ausführungen eines Sachverständigen nicht vorgelegen. Auch der Arzt selbst habe erklärt, dass die OP auch noch am nächsten Tag hätte erfolgen können. Dass er sie in seinem Bericht als „Notfalloperation“ bezeichnet und offenbar angenommen hatte, dass man zeitnah „etwas habe machen müssen“, reiche nicht aus.

Ob der Arzt bei der Aufklärung oder dem Eingriff selbst tatsächlich Fehler gemacht hat, muss nun wieder das OLG München klären. (mwo)

Bundesgerichtshof, Az.: VI ZR 115/22

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