Interview

Einen selbsterklärenden Medikationsplan gibt es nicht

Der Medikationsplan wirkt sich an vielen Stellen in den Praxisabläufen aus. Im Interview erläutert Allgemeinarzt und häufiger Schreiber von Leserbriefen Thomas Schätzler, was sich in seiner Praxis ändert und wie die Motivation, Medikationspläne zur erstellen, sich entwickelt.

Veröffentlicht:

Ärzte Zeitung: Bei welchen Patienten sehen Sie Bedarf für einen Medikationsplan und stellen diesen dann auch auf?

Thomas Schätzler: In meiner innerstädtischen hausärztlichen Praxis hat der Rentner-Anteil mit Multimorbidität und Mehrfachmedikation seit der Praxisgründung 1992 erheblich zugenommen.

Für alle interaktions- und kommunikationseingeschränkten Patientinnen und Patienten ist meines Erachtens ein alters- und anzahlunabhängiger Medikationsplan erforderlich. Bei Betreuung und Unterstützung durch Dritte sogar regelmäßig.

Circa 60 bis 70 Prozent meiner etwa 1000 Patienten pro Quartal brauchen dringend einen Medikationsplan: Entweder wegen biopsychosozialer Einschränkungen, wegen zu hoher oder unübersichtlicher Anzahl der unterschiedlichen Medikationen oder auch aufgrund ihrer spezifischen Erkrankungen mit besonderem Einnahme-Regime, zum Beispiel bei Parkinson, Schilddrüsenerkrankungen oder Typ-1- und Typ-2-Diabetes.

Ab drei Medikamenten kann es schon kritisch werden, wenn noch Selbstmedikation hinzukommt.

Wie hoch ist der Aufwand für die Erstellung eines Medikationsplans?

Schätzler: Einen sich selbst erklärenden Medikationsplan gibt es nicht. Fünf Minuten pro Patient pro Quartal sind das Minimum für Erläuterungen sowie Hinweise auf mögliche Interaktionen und Nebenwirkungen.

Das sind 20 Minuten pro Jahr, wobei sich der Aufwand durch ständig wechselnde Namen, Logos, Verpackungen und Generika-Produktwechsel auf der Jagd nach minimalen Einspar-Rabatten in den Apotheken doch spürbar verschärft.

Wie häufig erstellen Sie einen solchen Medikationsplan? Hilft Ihnen dabei die EDV?

Schätzler: Mindestens in 60 Prozent aller Patienten, die eine Medikamentenverordnung erhalten. Seit 1992 manuell, seit 1995 mit EDV-Unterstützung.

Ein großes Manko ist, dass den Patienten ihr Kassenrezept alternativlos in den Apotheken weggenommen wird, obwohl es essenzieller Bestandteil der Arzt-Patienten-Kommunikation ist.

Meine Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe konterkariert die Übersichtlichkeit der Medikation noch dadurch, dass beispielsweise in Zeiten der international anerkannten "Single-pill"-Hochdrucktherapie zur Verbesserung von Compliance und Adhärenz aus rein taktisch-ökonomischen und nicht-medizinischen Gründen nur noch Einzelsubstanzen in der Hochdrucktherapie verordnet werden sollen.

Damit verdreifachen sich Einnahme-Fehler und -Risiken bei Dreier-Kombinationen.

Wie reagieren Ihre Patienten darauf? Hilft der Plan nach Ihren Erfahrungen, die Compliance zu verbessern?

Schätzler: Die Resonanz der Patienten ist sehr positiv. Oft beklagen sie sich, dass Privatpatienten mit gleicher Medikation in der Apotheke das Rezept zurückerhalten.

Wesentlich bei der Compliance ist, dass auf jedem Rezept, das meine Praxis verlässt, eine exakte Dosierungsempfehlung und Anwendungsempfehlung steht (Dokumentationspflicht).

Ein Medikationsplan erhöht die Arzneimittelsicherheit, insbesondere wenn eine intelligente, zielführend-indikationsgerechte Medikation darauf steht.

Das ist keineswegs selbstverständlich: Auf dem von der Initiative Arzneimittelsicherheit veröffentlichten Modell-Medikationsplan findet sich ein unterdosiertes Antibiotikum und 3x2 (!) Sekretolytikum täglich.

Motiviert die neue Leistung im EBM Sie, mehr Energie in Medikationspläne zu stecken?

Schätzler: Einen Praxisumsatz von 94 Cent bis einem Euro im Quartal seitens der Kassenärztlichen Bundesvereinigung anzubieten, ist indiskutabel, demotivierend und verantwortungslos.

Da muss nachgebessert und der individuelle hausärztliche Mehraufwand abgebildet werden.

(Die Fragen stellte Hauke Gerlof)

Lesen Sie dazu auch: Medikationsplan: Viel Mühe und wenig Geld für Ärzte

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