In DDR verbreitet

Rein rechtlich gibt es Polikliniken noch immer

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Angestellte Ärzte fachübergreifend unter einem Dach: In der DDR hieß das Poliklinik, heute heißt es MVZ. Dabei hatten die Arzt-Kollektive zu Wendezeiten nicht wenige politische Gegner.

BERLIN. Im Gesundheitszentrum Frederic Joliot Curie in Berlin-Friedrichshain herrscht reger Betrieb. Zwölf Ärzte verschiedener Fachrichtungen versorgen dort Patienten.

Auch Physiotherapeuten sind in dem Sana-Gesundheitszentrum tätig. Das ist alles andere als selbstverständlich. Vor 25 Jahren drohte dem Ärztehaus die Abwicklung.

Der Einigungsvertrag sah schlicht die Übertragung des westdeutschen Systems auf die DDR vor. Die Polikliniken und Ambulatorien der DDR erhielten eine Übergangszulassung nach Paragraf 311 SGB V, die zunächst nur bis Ende 1995 gelten sollte.

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Der damalige Gesundheitsminister Horst Seehofer (CSU) kündigte 1991 an: "Polikliniken sind Auslaufmodelle." Sie würden spätestens 1995 nicht mehr vorhanden sein, so Seehofer weiter.

Zunächst schien die Entwicklung ihm Recht zu geben. Die Ärzte flüchteten massenhaft aus den Angestelltenstrukturen, die in Trägerschaft der Kommunen ums wirtschaftliche Überleben kämpften. Nur in Berlin und Brandenburg bestanden noch etwas mehr Polikliniken. In beiden Ländern war das einer "poliklinikfreundlichen" Landespolitik geschuldet.

Auch die Ärztekammer Berlin setzte sich unter ihrem Präsident Dr. Ellis Huber für den Fortbestand der Polikliniken ein. Dagegen bekämpfte der Vorstand der KV Berlin, Dr. Roderich Nehls, die Einrichtungen vehement: "Polikliniken gehören nicht in unser System. Sie gefährden es vielmehr", erklärte Nehls im Interview mit dem Kammerblatt "Berliner Ärzte" 1991.

Die 311er-Regelung besteht bis heute. Durchgesetzt hat das die damalige Brandenburgische Gesundheitsministerin Regine Hildebrandt (SPD). Sie sorgte mit ihrem Engagement bei der Bundes-SPD dafür, dass die Frist zur Abwicklung im Gesundheitsstrukturgesetz 1993 gestrichen wurde.

Wirtschaftliche Katastrophe

Polikliniken

Rund 22.100 fast ausschließlich angestellte Ärzte waren in der DDR 1988/89 in 626 Polikliniken, 1020 Ambulatorien und rund 3000 staatlichen Arztpraxen oder Arztsanitätsstellen tätig.

Rund 94 Prozent dieser Ärzte waren 1992 bereits niedergelassen. 1993 bestanden noch 343 der ehemaligen DDR-Einrichtungen mit angestellten Ärzten in den neuen Bundesländern.

Dort arbeiteten heute noch 1574 Ärzte. Ihre Zahl war bis 1998 auf einen Tiefstand von 336 Ärzten gesunken.

Quelle: „Von der Poliklinik zum MVZ“, Schriftenreihe des Bundesverbands der MVZ (BMVZ), ISBN 978-3-00-033026-1ext

Für den Fortbestand der Berliner Einrichtungen spielte noch ein anderer Kopf eine maßgebliche Rolle: Dr. Bernd Köppl, heute Vorstand des Bundesverbands der MVZ, engagierte sich während der Wendezeit als gesundheitspolitischer Sprecher der Grünen / Alternative Liste im Berliner Abgeordnetenhaus für die Polikliniken.

Gemeinsam mit Ärzten aus anderen Parteien arbeitete er an einem Trägerkonzept. Im Oktober 1992 kündigte der Berliner Senat schließlich die Gründung der Trägergesellschaft GSZB (Gesundheitlich Soziale Zentren Berlin) an. Sie sollte immerhin 13 Einrichtungen zusammenfassen, darunter - nach anfänglichem Widerstand - auch die Poliklinik Frederic Joliot Curie.

Die damalige Leiterin der Poliklinik beschimpfte die GSZB als "zentralistischen Betrieb, der schlimmer ist als zu DDR-Zeiten".

Wirtschaftlich war die Einrichtung eine Katastrophe. Nach der Umstellung auf Einzelleistungsvergütung schrieb die GSZB 1995 ein Defizit von mehreren Millionen D-Mark. Daher suchte der Berliner Senat einen neuen Träger und fand den Paritätischen Wohlfahrtsverband. Vorstandsmitglied war unter anderem Ellis Huber.

Die Paritätische Gesundheitszentrum GmbH schaffte die Konsolidierung. Das Gesundheitszentrum Buch schied 2001 aus, und ging später an Helios über.

Die übrigen zwölf Einrichtungen, die seit 1998 unter Köppls ärztlicher Leitung standen, wechselten 2006 mit Köppl in die Trägerschaft von Sana. Dort bestehen sie bis heute fort. (ami)

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