Patientendaten

Vernetzt besser behandeln

Das Ärztenetz Rosenheim setzt auf eine elektronische Patientenakte - zugänglich über alle verschiedenen Praxisverwaltungssysteme der beteiligten Arztpraxen. Die Ärzte erklären, wie sich dadurch Behandlungsprozesse beschleunigen lassen.

Von Jürgen Stoschek Veröffentlicht:
Zufrieden mit der Netzarbeit: Dr. Martina Stinshoff und Professor Markus Pihusch vom Ärztenetz Rosenheim.

Zufrieden mit der Netzarbeit: Dr. Martina Stinshoff und Professor Markus Pihusch vom Ärztenetz Rosenheim.

© Stoschek

ROSENHEIM. Im Spätsommer vergangenen Jahres haben rund 40 Haus- und Facharztpraxen im Ärztenetz Rosenheim (ÄnRo) begonnen, sich elektronisch miteinander zu vernetzen. Seitdem werden in den Praxen die Befunde, Diagnosen und Labordaten bestimmter Patienten elektronisch direkt in die Behandlungsakte übermittelt.

Der Datenaustausch benötigt keine Cloud und auch keinen zentralen Server, betont Professor Markus Pihusch, Facharzt für Innere Medizin und einer der beiden Geschäftsführer des Ärztenetzes.

Da in den teilnehmenden Netzpraxen schätzungsweise 20 verschiedene Praxisverwaltungssysteme (PVS) laufen und eine Umstellung auf ein einziges gemeinsames System ausgeschlossen war, hatten sich die Netzärzte nach längerer Suche für eine Softwarelösung entschieden, mit deren Hilfe alle technischen Hürden einer Vernetzung unterschiedlicher Computersysteme elegant umgangen werden.

Technikhürden höher als erwartet

"Wir hatten das Ärztenetz Rosenheim 2012 mit dem klaren Ziel gegründet, den elektronischen Austausch medizinischer Informationen untereinander in die Realität umzusetzen", berichtet Dr. Martina Stinshoff, änro-Mitgeschäftsführerin und Fachärztin für Allgemeinmedizin.

"Eigentlich wollten wir das innerhalb eines halben Jahres auf die Reihe bekommen", erinnert sie sich. Doch die technischen Hürden waren höher als gedacht. "Wir hatten mit mehreren Firmen Kontakte und haben auch einiges getestet. Letztendlich haben wir uns dann für die Software ViViAN der MicroNova AG entschieden", erklärt Pihusch.

Die Software nutzt eine patentierte Schnittstelle, die eine Kopplung von unterschiedlichen PVS ermöglicht, "und zwar unabhängig vom Anbieter", erläutert Daniel Jozic von MicroNova. Die Schnittstelle ist integraler Bestandteil der Vernetzung. Änderungen in der Praxissoftware oder die regelmäßigen Quartals-Updates tangieren die Vernetzung prinzipiell nicht, so Jozic.

Mit technischen Möglichkeiten des 21. Jahrhunderts

"In unseren Praxen machen wir nichts anderes als vorher, nur eben mit den technischen Möglichkeiten, die im 21. Jahrhundert zeitgemäß sind", sagt Pihusch. Die Patientenakten bleiben dort, wo sie jetzt auch sind, und sie synchronisieren sich - soweit sie freigegeben sind - beim Hausarzt und beim Facharzt.

"Für dieses dezentrale Datenhaltungskonzept brauchen wir keine Cloud und keinen externen Server", erläutert Pihusch. Mit der Lösung bewarb sich das Netz im vergangenen Jahr beim Praxis-Preis "Die innovative Arztpraxis 2015" von UCB Innere Medizin und der Fachverlagsgruppe Springer Medizin, zu der die "Ärzte Zeitung" gehört. Das Netz belegte mit der Anwendung den 4. Platz.

Die erhoffte Arbeitserleichterung nach Einführung von ViViAN habe sich sehr rasch eingestellt, berichtet Stinshoff. "Bei einem Netzpatienten kann ich jetzt als Hausärztin besser nachverfolgen, welcher Fachkollege welche Rezepte für Medikamente, Heil- oder Hilfsmittel ausgestellt hat."

Und wenn ein Patient mit seinem Hausarzt die Befunde etwa des Kardiologen noch einmal besprechen möchte, müsse man nicht mehr auf den Arztbrief warten. "Die Befunde stehen sofort zur Verfügung", erklärt Stinshoff.

Ein weiterer Vorteil, so Stinshoff: "Wenn man früher einen Patienten mit den Unterlagen auf die Reise zum Facharzt geschickt hat, ist es nicht selten vorgekommen, dass er die dann zu Hause vergessen hat. Auch wissen die Patienten oftmals nicht, wie die Medikamente heißen, die sie einnehmen."

Bei Netzpatienten, die dem elektronischen Datenaustausch zugestimmt haben, gebe es solche Probleme jetzt nicht mehr.Wirklich spannend wird es, so Pihusch, wenn man die Informationen in ViViAN mit den Angaben vergleicht, die der Patient selbst gemacht hat: "Wir waren am Anfang erstaunt darüber, wie viele wichtige Informationen die Patienten gegenüber den behandelnden Ärzten vergessen hatten. ViViAN ermöglicht es uns definitiv, die Patienten besser zu behandeln", sagt Pihusch.

Auf Patientenseite positive Resonanz

Das Ärztenetz Rosenheim hat seit Anfang an einen Vertrag zur integrierten Versorgung mit der AOK Bayern, die elektronische Vernetzung ist eine der Voraussetzungen dafür. Bei der AOK erwartet man sich von einem besseren Informationsaustausch nicht zuletzt auch eine Verringerung von Doppeluntersuchungen und -behandlungen.

An dem Projekt nehmen inzwischen mehr als 1900 Patienten teil. Das sind etwa zehn Prozent aller von den Netzärzten behandelten Patienten. "Tendenz stark steigend", erklärt Pihusch. Die Resonanz bei den Patienten sei durchweg positiv. Der Nutzen, den ein besserer Informationsfluss zwischen Hausärzten und Fachärzten mit sich bringt, werde von den Patienten klar erkannt und geschätzt.

Um an dem Projekt teilzunehmen, müssen die Patienten eine Erklärung unterschreiben, damit ihre Daten den mitbehandelnden Ärzten im Netz zur Verfügung gestellt werden können. Eine Selektion von Daten ist sowohl durch den Patienten wie auch durch den Arzt möglich.

Bei den Psychiatern und Neurologen im Netz sind zusätzliche Filter eingebaut, die eine noch feinere Auswahl ermöglichen, welche Informationen übertragen oder nicht übertragen werden dürfen. "Ungeachtet der Tatsache, dass alle Daten im Austausch ohnehin der ärztlichen Schweigepflicht unterliegen, hat für uns der Schutz sensibler Patientendaten natürlich oberste Priorität", betont Pihusch.

Die Software ViViAN läuft bundesweit bereits in mehreren Praxisnetzen, berichtet Jozic. "In Rosenheim sind die Ärzte aber besonders fix", meint er. Denn für 2016 sei schon fest eingeplant, weitere Mitglieder des Ärztenetzes wie Apotheken, Physiotherapeuten oder Orthopädietechniker sowie Pflegeheime in die elektronische Vernetzung einzubeziehen, berichten Stinshoff und Pihusch.

Auch ein gemeinsamer Medikationsplan von Ärzten und Apotheken sowie ein für alle Praxen einheitliches Laborblatt stehen auf der Agenda.

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