Schlecht verträglich

Forscher räumen mit Mythos um Betablocker auf

Die Nebenwirkungen der Betablocker werden allgemein überschätzt, mahnen britische Autoren einer Meta-Analyse. Das trifft aber nicht auf alle 33 Nebenwirkungen zu.

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Nehmen oder nicht nehmen? Ein Patient grübelt über die ihm verordnete Medikation.

Nehmen oder nicht nehmen? Ein Patient grübelt über die ihm verordnete Medikation.

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München. Betablocker haben keinen guten Ruf, was die Verträglichkeit betrifft. Die Liste der "bekannten" Nebenwirkungen ist lang:

Sie umfasst 33 potenzielle Störwirkungen, über die ein Arzt z.B. in den USA gemäß FDA einen Patienten aufklären muss, bevor er eine Betablocker-Therapie verschreibt.

Das Resultat: Betablocker werden nach Infarkt oder bei Herzinsuffizienz viel zu selten eingesetzt, obwohl ihr Nutzen erwiesen ist.

Denn viele Patienten setzen die Medikamente wieder ab, oft schon aus Angst vor unerwünschten Wirkungen, spätestens jedoch, wenn sie eine der Nebenwirkungen verspüren, die der Arzt beim Aufklärungsgespräch erwähnt hat oder die im Beipackzettel steht.

Nun aber räumen britische Autoren mit dem Mythos der schlechten Verträglichkeit des Betablockers gründlich auf (Int J Cardiol. 2013; online 24. Juni).

Sie analysierten alle randomisierten Doppelblindstudien von Betablockern bei Herzinsuffizienz, 13 Studien insgesamt, sechs davon mit Carvedilol, je ein bis zwei mit Nebivolol, Metoprolol, Bisoprolol und Bucindolol. Meta-analytisch gingen sie der Frage nach, ob die 33 als Nebenwirkungen der Betablocker deklarierten Störwirkungen tatsächlich häufiger auftraten als in den Placebogruppen.

Nur fünf Störwirkungen häufiger als unter Placebo

Die Ergebnisse sind überraschend eindeutig: Nur fünf der 33 Nebenwirkungen traten tatsächlich häufiger unter Betablockern auf als unter Placebo. Dies sind: Hyperglykämie, Diarrhö, Schwindelgefühl, Claudicatio und Brachykardie.

Fünf angebliche Nebenwirkungen der Betablocker wurden unter Placebo statistisch signifikant häufiger beklagt als unter Betablockade. Dies sind: Tachykardien, Depression, Schlaflosigkeit, Herzversagen und Brustschmerzen.

Manche allgemein anerkannte Nebenwirkungen der Betablocker sind unter Placebo ebenso häufig und damit sehr wahrscheinlich Folge der Krankheit und nicht der Medikation. Dazu zählen etwa Müdigkeit, Impotenz, Gewichtszunahme, Synkopen und Hypotension.

Wenn Nebenwirkungen so heftig waren, dass sich der Patient zum Absetzen der Medikamente entschloss, dann war dies unter Placebo signifikant häufiger der Fall als in den Verumgruppen.

Absurde Aufklärungsvorschriften behindern Therapie

Es ist schon absurd, wenn Ärzte laut Behörde über "Tachykardie" als Nebenwirkung von Betablockern aufklären müssen, so Studienautor Dr. Anthony Barron vom St. Mary's Hospital in London.

Die Ergebnisse der Meta-Analyse zeigen seiner Ansicht nach, dass die meisten "Nebenwirkungen" der Betablocker durch die Krankheit verursacht sind, durch andere Gesundheitsprobleme oder aber durch schlichte Einbildung - ein Nocebo-Phänomen.

Selbst bei den Nebenwirkungen, die statistisch signifikant häufiger unter Betablockern auftreten, ist noch lange nicht sicher, dass diese auf den Betablocker zurückzuführen seien, so Barron.

Beispiel: Von 100 Patienten, denen es unter Betablockern schwindlig wurde, wäre es 81 Patienten auch unter Placebo schummrig geworden, so die Berechnungen.

Klarer ist der Zusammenhang bei der Bradykardie: Von 100 Patienten, die dieses Symptom unter Betablockade entwickeln, hätten es nur 33 auch unter Placebo verspürt.

Die Aufklärung der Patienten sollte daher anders gestaltet werden. Beispiel: Unter Therapie mit Betablockern steigt bei 16,1 Prozent der Patienten der Blutzucker an, unter Placebo bei 13,4 Prozent der Patienten. Die Differenz beträgt absolut 2,7 Prozent. (DE)

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