Hörverlust

Was Schwerhörigkeit mit Angehörigen macht

Wie eine Glasglocke stülpt sich Schwerhörigkeit über einen Menschen – manchmal von einem Tag auf den anderen. Das macht nicht nur den Betroffenen zu schaffen, sondern auch deren Angehörigen.

Von Susanne Zahn Veröffentlicht:
Schwerhörigkeit beeinflusst das gesamte soziale Umfeld eines Menschen .

Schwerhörigkeit beeinflusst das gesamte soziale Umfeld eines Menschen .

© ArTo/stock.adobe.com

BERLIN. Roger Reichardt geht zur Tür: Etwas leiser sprechen bitte. Der Geräuschpegel der Gespräche im Nebenzimmer reicht aus, um ihm beim Hören Probleme zu bereiten. Denn Reichardt ist von Geburt an schwerhörig. Er berät im HörBIZ Berlin, einem Sozialdienst für Hörgeschädigte.

Dabei unterstützt ihn Sandra Markoff. Ihre Mutter ist seit langem schwerhörig. Sie weiß, dass Schwerhörigkeit nicht nur die Betroffenen, sondern auch deren Angehörige massiv herausfordern kann.

Der Hörverlust verändere den Alltag aller Beteiligten, bestätigt auch die Audiologin Vanessa Vas von der Universität Nottingham. Sie hat gerade eine Untersuchung im Fachjournal "Trends in Hearing" zu dem Thema veröffentlicht.

Angehörige übernehmen oft Aufgaben

Angehörige versuchten häufig, das fehlende Hörvermögen ihres Gegenübers auszugleichen. Sie übernähmen in vielen Fällen das Telefonieren, hörten Radio und Fernsehen lauter als für sie nötig oder müssten häufig Sätze wiederholen.

Auch die Teilnahme an Familienfeiern und Festen werde zum Problem, weil Schwerhörige bei lauten Hintergrundgeräuschen Gesprächen schwer folgen könnten. Einsamkeit, Frustration, Schuldgefühle, mangelndes Verständnis und schwindende Wertschätzung füreinander seien mögliche Folgen und belasteten sowohl Schwerhörige als auch deren Familie.

Die Studie sei der Versuch, die Perspektiven von Schwerhörigen und deren Angehörigen zusammen zu bringen, erklärt Vas. Als Audiologin beschäftigt sie sich mit dem menschlichen Gehör. Angehörige merkten häufig früh, wenn sich ein Hörverlust ankündige und könnten Betroffene motivieren, Hilfe zu suchen. "Schwerhörigkeit ist ein bleibender Zustand, der die gesamte Familie beeinflusst", erläutert sie. Das müsse in der Behandlung berücksichtigt werden.

Wenig Unterstützung durch Kassen

Es sei bislang aber nicht selbstverständlich, dass Angehörige in die Behandlung mit einbezogen würden, sagt Markoff von der Berliner Beratungsstelle. Von Seiten der Krankenkassen gebe es wenig Unterstützung oder Angebote, beispielsweise Workshops für Angehörige. Auch die Kosten für Audiotherapeuten, die Betroffenen helfen, ihre Kommunikation an die Schwerhörigkeit anzupassen, würden nicht übernommen.

Schwerhörige und ihre Angehörigen müssten sich neu verstehen lernen, sagt Markoff. Menschen, die schlecht hören, sollten bei Nichtverstehen nachfragen oder störende Hintergrundgeräusche unterbinden. Gesprächspartner könnten die Situation entspannen, indem sie Gesagtes bereitwillig wiederholten, Blickkontakt hielten oder auf deutliche Aussprache achteten.

Vor allem bei Menschen, die erst im Lauf ihres Lebens das Gehör ganz oder teilweise verlieren, "ist das ganze Koordinatensystem verrutscht", berichtet Reichardt, der selbst schwerhörig ist. Kommunikation sei plötzlich nicht mehr selbstverständlich. Das beeinflusse das Selbstwertgefühl und könne auch psychische Probleme nach sich ziehen.

Etwa 14 Millionen Schwerhörige gibt es in Deutschland. Sie und ihre Angehörigen könnten nur auf wenig professionelle Unterstützung zurückgreifen und würden mit ihrer Situation oft allein gelassen, beklagen Reichardt und Markoff. Bislang konzentrierten sich Audiologen vorwiegend auf die medizinischen Aspekte, wie die Diagnose und die Anpassung der technischen Hörhilfen.

Es sei aber ein Trugschluss, dass ein Hörgerät allein das Problem löse, betont Reichardt. "Es ist wichtig, neue Kommunikationsgewohnheiten zu entwickeln und weiter auf Augenhöhe miteinander zu sprechen", ergänzt Markoff. "Zugewandtheit und Respekt voreinander sind die wichtigsten Voraussetzungen dafür. Man darf nicht Diener oder Helfer des anderen sein." (dpa)

Mehr zum Thema

Kleine randomisierte Studie

Leichte OSA, kleine Tonsillen: Mandelentfernung kann warten

Das könnte Sie auch interessieren
Praxisfall im Podcast: Atemwegsinfekt

© Bionorica SE

Phytoneering-Akademie

Praxisfall im Podcast: Atemwegsinfekt

Anzeige | Bionorica SE
Antibiotika – Fluch und Segen

© Bionorica SE

Podcast

Antibiotika – Fluch und Segen

Anzeige | Bionorica SE
Brauchen wir noch Antibiotika?

© deepblue4you | iStock

Content Hub

Brauchen wir noch Antibiotika?

Anzeige | Bionorica SE
Glasglobus und Stethoskop, eingebettet in grünes Laub, als Symbol für Umweltgesundheit und ökologisch-medizinisches Bewusstsein

© AspctStyle / Generiert mit KI / stock.adobe.com

Klimawandel und Gesundheitswesen

Klimaschutz und Gesundheit: Herausforderungen und Lösungen

Kooperation | In Kooperation mit: Frankfurter Forum
Ein MRT verbraucht viel Energie, auch die Datenspeicherung ist energieintensiv.

© Marijan Murat / dpa / picture alliance

Klimawandel und Gesundheitswesen

Forderungen nach Verhaltensänderungen und Verhältnisprävention

Kooperation | In Kooperation mit: Frankfurter Forum
Ein Dialogforum von Fachleuten aus Gesellschaft, Gesundheitspolitik und Wissenschaft

© Frankfurter Forum für gesellschafts- und gesundheitspolitische Grundsatzfragen e. V.

Das Frankfurter Forum stellt sich vor

Ein Dialogforum von Fachleuten aus Gesellschaft, Gesundheitspolitik und Wissenschaft

Kooperation | In Kooperation mit: Frankfurter Forum
Kommentare
Sonderberichte zum Thema
Detailansicht eines Windrades: Bringt eine ökologisch nachhaltige Geldanlage auch gute Rendite? Anleger sollten auf jeden Fall genau hinschauen.

© Himmelssturm / stock.adobe.com

Verantwortungsbewusstes Investment

„Nachhaltig – das heißt nicht, weniger Rendite bei der Geldanlage!“

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: der Deutschen Apotheker- und Ärztebank (apoBank)
Abb. 1: Prozentualer Anteil der Patientinnen und Patienten pro Gruppe mit den genannten Symptomen zum Zeitpunkt der Visite 1 (Erstvorstellung) und Visite 2 (24–72h nach Erstvorstellung).

© Springer Medizin Verlag GmbH, modifiziert nach [13]

Akute Otitis media – Behandlungsoptionen in der Praxis

Leitlinienbasierte Therapie für schnelle Symptomverbesserung

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: Homöopathisches Laboratorium Alexander Pflüger GmbH & Co. KG, Rheda-Wiedenbrück
Protest vor dem Bundestag: Die Aktionsgruppe „NichtGenesen“ positionierte im Juli auf dem Gelände vor dem Reichstagsgebäude Rollstühle und machte darauf aufmerksam, dass es in Deutschland über drei Millionen Menschen gebe, dievon einem Post-COVID-Syndrom oder Post-Vac betroffen sind.

© picture alliance / Panama Pictures | Christoph Hardt

Symposium in Berlin

Post-COVID: Das Rätsel für Ärzte und Forscher

Sonderbericht | Mit freundlicher Unterstützung von: vfa und Paul-Martini-Stiftung
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Jetzt neu jeden Montag: Der Newsletter „Allgemeinmedizin“ mit praxisnahen Berichten, Tipps und relevanten Neuigkeiten aus dem Spektrum der internistischen und hausärztlichen Medizin.

Top-Thema: Erhalten Sie besonders wichtige und praxisrelevante Beiträge und News direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

ARE in Grafiken

RKI: Grippewelle deutet sich an

„ÄrzteTag“-Podcast

Was bringen die neuen Hybrid-DRG für die Praxis, Herr Henniger?

Lesetipps