Rassenwahn, tödliche Reformen, Selektion: "Ärzte unterm Hakenkreuz"

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Ein sonniger Augusttag im Jahr 1933. Der junge Unfallchirurg Karl Brandt ist auf dem Weg zum Obersalzberg, um Adolf Hitler zu treffen. Der hatte die Verlobte Brandts, deutsche Meisterin im Rückenschwimmen, eingeladen. Dann verunglückt beim fröhlichen Ausflug mit den Nazi-Größen Hitlers Chefadjutant. Brandt kann im OP sein Können beweisen, der Grundstein für eine steile Karriere im Dritten Reich ist gelegt.

Diese Szene bildet den Auftakt für die dreiteilige ZDF-Dokumentation "Ärzte unterm Hakenkreuz", die ab heute gesendet wird. Autor ist Dr. Ulrich Knödler, niedergelassener Internist und Historiker. "Mein Ausgangspunkt war die Frage, wie sich die martialischen Phrasen der Nationalsozialisten in den Sprechzimmern ausgewirkt haben."

"Schneller und in größerer Zahl als andere Berufsgruppen strömten Ärzte zu den Nazis", sagt Knödler. Drei Viertel von ihnen waren bald Mitglied in NS-Organisationen. Eine Erklärung dafür sieht er in der "wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Krise" der Medizin Anfang der Dreißiger Jahre.

Medizinstudenten blieb damals als Perspektive nur die Arbeitslosigkeit. Mit der Enteignung und dem Berufsverbot für jüdische Ärzte wurden dagegen auf einen Schlag 9000 Stellen frei. Und mit Eugenik und Rassenlehre tat sich ein neues Betätigungsfeld auf, das viele Mediziner in den Bann zog - nicht nur in Deutschland, sondern auch in den USA, wie die Dokumentation in einem Exkurs zeigt.

Um den "Rassenwahn" geht es im ersten Teil der Dokumentation, der heute abend gezeigt wird. Elite-Schulen sollen Medizinern und Pflegepersonal das Idealbild vom gesunden Deutschen einimpfen. Am Ende der Schulung steht der feierliche Eid, "anständig zu Angehörigen unseres eigenen Blutes zu sein und sonst zu niemandem".

Im zweiten Teil stehen die "Tödlichen Reformen" des Gesundheitswesens im Mittelpunkt. Das nationalsozialistische Regime etablierte Gesundheitsämter, brachte Kindern richtiges Zähneputzen und gesunde Ernährung bei, führte Massenimpfungen ein - eigentlich gute Vorhaben. Doch auch sie wurden pervertiert: Wer als (erb-)krank eingestuft wurde, war der Fortpflanzung unwürdig und wurde zwangssterilisiert.

Von da ist es nicht mehr weit zur Euthanasie, um die sich der dritte Teil "Selektion" dreht. Professor Karl Brandt, mittlerweile Begleitarzt Hitlers und Reichskommissar für das Sanitär- und Gesundheitswesen, notiert nach dem Krieg in seinem Tagebuch: "Euthanasie ist kein Massenmord, sondern Erlösungstod, nichts weiter als fortgeführte Humanität."

Das unselige Wirken Brandts bildet die Klammer zwischen den verschiedenen Handlungssträngen der Dokumentationen. Autor Knödel stieß durch Zufall auf die Familie des Mediziners. Sein einziger Sohn stellte ihm die bislang unbekannten Tagebücher zur Verfügung. Sie entstanden während der Nürnberger Ärzte-Prozesse, an deren Ende Brandt 1948 wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit gehängt wurde.

"Brandt steht zu seiner Verantwortung, aber nicht zu seiner Schuld", sagt Dr. Reinold Hartmann, verantwortlicher Redakteur beim ZDF. Eigentlich wollte der Arzt seinem Vorbild Albert Schweitzer nacheifern und in Afrika praktizieren. Es kam anders. Brandt gibt 1939 den ersten Euthanasie-Mord an einem schwerstbehinderten Jungen in Auftrag.

Er verhandelt mit Pastor Friedrich von Bodelschwingh über das Schicksal der Bewohner in dessen Anstalten und läßt einen großen Teil der Patienten leben. "Der Zuschauer wird am Ende ins Schleudern kommen," erwartet Hartmann, denn Brandts Charakter hat viele Facetten. "Hier geht es auch um die Frage von Verführbarkeit und Karriere. Die muß jeder für sich selbst beantworten." Katrin Berkenkopf

"Ärzte unterm Hakenkreuz", Sendetermine im ZDF: 13. April, 23 Uhr; 14. April, 22.45 Uhr; 15. April, 23 Uhr.

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