1927 klärte Blutgruppenanalyse erstmals eine Vaterschaft

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Von Nicola Siegmund-Schultze

Die Geschichte der wissenschaftlichen Feststellung von Vaterschaften in Deutschland ist kurz, und sie ist die Geschichte des Meineids. Des Meineids von Frauen, die falsche Angaben machten darüber, wer der Vater ihrer Kinder sei.

Es war das Schwurgericht in Ellwangen (Württemberg), das 1927 - erstmals in Deutschland - eine Blutgruppenbestimmung als Beweismittel für die Vaterschaftsfeststellung zuließ. Die Richter verurteilten eine Frau, die in einem Prozeß um Unterhaltszahlungen für ihr Kind unter Eid ausgesagt hatte, in der Zeit der Empfängnis ausschließlich mit dem beklagten Mann Geschlechtsverkehr gehabt zu haben.

Das aber konnte nach Untersuchung der Erbmerkmale nicht sein: Der Gutachter hatte bei der Mutter und dem angeblichen Vater die Blutgruppe A festgestellt, das Kind hatte die Blutgruppe AB.

Grundlage der genetischen Untersuchungen zur Vaterschaftsfeststellung ist die Entdeckung des Blutgruppen-AB0-Systems durch Karl Landsteiner im Jahr 1901. Werden einzelne Merkmale - wie die AB0-Gruppen - unabhängig voneinander vererbt, gilt: Ein Erbmerkmal des Kindes, das es von seiner Mutter nicht geerbt haben kann, weil es bei ihr nicht vorkommt, muß vom Vater stammen. Hat der mutmaßliche Vater das Erbmerkmal ebenfalls nicht, kommt er als Erzeuger nicht in Frage - so wie der im Prozeß von 1927 entlastete Mann.

Das Gerichtsurteil aus Ellwangen war wegweisend für die Anerkennung von Blutgruppenbestimmungen als Beweismittel in juristischen Auseinandersetzungen. Im September 1930 entschied daraufhin auch das deutsche Reichsgericht aus Anlaß eines anderen Meineidprozesses, daß Blutgruppenanalysen als Beweismittel für den Nachweis oder Ausschluß der Vaterschaft zugelassen sein sollten. Nach dieser höchstrichterlichen Entscheidung eroberten sich blutgruppenserologische Gutachten allmählich einen festen Platz im Zivil- und Strafprozeß.

Die Gutachten wurden mit dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse immer mehr erweitert, aussagekräftiger und auch für schwierige Fälle wie den Ausschluß naher Verwandter als Väter brauchbar: Die Entdeckung weiterer Blutgruppen und ihrer Polymorphismen (MNS, P, Rhesus), aber auch gängiger genetischer Variationen von Enzymsystemen (PGM, SEP) und der HLA-Merkmale trugen dazu bei.

Einen qualitativen Sprung sowohl für die Vaterschaftsbegutachtung als auch für die forensische Spurenanalyse stellten zwei Entwicklungen dar, die im selben Jahr öffentlich wurden: die des genetischen Fingerabdrucks durch Alec Jeffreys und die der Polymerasekettenreaktion (PCR) durch Kary Mullis, beide 1985 erstmals vorgestellt. Die DNA-Analyse, inzwischen hoch standardisiert und kommerzialisiert, hat die aufwendigen und teureren Abstammungsgutachten auf Basis blutserologischer Untersuchungen größtenteils ersetzt. Vorausgesetzt, die geltenden Qualitätsstandards werden eingehalten, sind die DNA-Analysen hoch aussagekräftig.

Weitere Informationen: Burkhard Madea, Bernd Brinkmann: Handbuch gerichtliche Medizin. Zwei Bände. Springer Verlag. Berlin, Heidelberg, New York 2003.

Lesen Sie dazu auch den Kommentar: Tests nur mit Wissen der Mutter!

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