"Mobbing ist ein unsichtbares Phänomen mit sichtbaren Folgen"

Von Torben Börgers Veröffentlicht:

Eigentlich war Herr S. rundum glücklich: Aus seinem Aushilfsvertrag war eine Festanstellung geworden, und die Arbeit in der neuen Abteilung machte Spaß. Wenige Monate später empfand der Angestellte seinen Büroalltag jedoch als "die Hölle". Vom Chef mit Anweisungen im Befehlston schikaniert und von Kollegen "wie die Pest" gemieden, kämpfte er sich durch die Arbeitsstunden. Einige Wochen ging die Tortur gut: "Dann bin ich körperlich umgekippt", sagt der inzwischen Arbeitslose.

Die Schilderung des Angestellten prangt in der neuen Sonderschau der Deutschen Arbeitsschutzausstellung (DASA) der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin in Dortmund an einer Infotafel - stellvertretend für das Schicksal von einer Million Deutschen. Mobbing am Arbeitsplatz ist bis zum 18. September das Thema der Ausstellung "Wenn keiner grüßt und alle schweigen".

      Mobbing-Opfer leiden oft unter
Kopfschmerzen und Depressionen.
   

Der Rundgang schockt die Besucher direkt am Eingang mit dem ungeschönten Blick in den kargen Flur eines typischen Bürotraktes: Die weiß-getünchte Decke und der schwarze Teppich bilden einen kalten Kontrast, alle Türen sind geschlossen. Per Beamer an die gekalkte Wand projiziert sieht man, wie zwei Arbeitskollegen hinter einer Glastür konspirativ die Köpfe zusammenstecken. Geflüsterte Drohungen und gedämpftes Getuschel werden vom Tonband abgespielt und lösen Beklemmung aus.

"Mobbing ist ein unsichtbares Phänomen mit sichtbaren Folgen", sagt DASA-Expertin Beate Beermann. Gerüchte, Schikanen, Psychoterror: Die Erscheinungsformen von Mobbing sind vielfältig und oft schwer zu fassen. Nach DASA-Schätzungen werden allein in Deutschland jedes Jahr eine Million Menschen bei der Arbeit gedemütigt, beleidigt und seelisch zermürbt.

Der typische Mobber ist ein männlicher Vorgesetzter im Alter von 34 bis 54 Jahren, der bereits längere Zeit in einem Betrieb beschäftigt ist: In 40 Prozent aller Fälle ist der Täter gemäß DASA-Mobbing-Report ein Vorgesetzter, in 60 Prozent männlich und in 70 Prozent aus der genannten Altersgruppe. Motive sind häufig Angst, Neid, Frust und falsch verstandener Ehrgeiz.

Mobbing verursacht nicht nur persönliches Leid, sondern enorme Kosten: nach Schätzungen der DASA pro Jahr 11,2 Milliarden Euro für Medikamente, Kuren und Psychotherapien und 13,4 Milliarden Euro für Qualitätsdefizite und Produktionsausfälle. "Gemobbte Beschäftigte sind häufiger krank, weniger motiviert und damit auch weniger produktiv", erklärt Beermann.

Die Opfer leiden unter Schlafstörungen, Kopfschmerzen und Niedergeschlagenheit. Viele werden depressiv. Sozialarbeiter, Bankangestellte und Verkäufer sind nach einer DASA-Studie besonders häufig betroffen - ihr Mobbing-Risiko ist doppelt so groß wie das eines Beschäftigten in der Landwirtschaft.

Für den Ernstfall rät Beermann, im Angriff die Verteidigung zu suchen: Offene Gespräche seien der beste Weg aus der Mobbing-Misere.

Mehr zum Thema

Vor dem World Health Assembly

WHO-Pandemieabkommen noch lange nicht konsensfähig

Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

„ÄrzteTag“-Podcast

Was steckt hinter dem Alice-im-Wunderland-Syndrom, Dr. Jürgens?

Stabile Erkrankung über sechs Monate

Erste Erfolge mit CAR-T-Zelltherapien gegen Glioblastom

Lesetipps
Die Empfehlungen zur Erstlinientherapie eines Pankreaskarzinoms wurden um den Wirkstoff NALIRIFOX erweitert.

© Jo Panuwat D / stock.adobe.com

Umstellung auf Living Guideline

S3-Leitlinie zu Pankreaskrebs aktualisiert

Gefangen in der Gedankenspirale: Personen mit Depressionen und übertriebenen Ängsten profitieren von Entropie-steigernden Wirkstoffen wie Psychedelika.

© Jacqueline Weber / stock.adobe.com

Jahrestagung Amerikanische Neurologen

Eine Frage der Entropie: Wie Psychedelika bei Depressionen wirken