Erhöht hohe Bleibelastung die Gewaltbereitschaft bei Kindern?

SAN FRANCISCO (dpa). Eine hohe Bleibelastung im Babyalter hemmt neuen Studien zufolge die Hirnentwicklung und erhöht das Risiko, als Erwachsener gewalttätig zu werden. Zwei US-Forscherteams präsentieren die Ergebnisse ihrer Langzeitstudien im Online-Journal "PLoS Medicine".

Veröffentlicht:
Sind Säuglinge einer hoher Bleibelastung ausgesetzt, hemmt dies ihre Hirnentwicklung.

Sind Säuglinge einer hoher Bleibelastung ausgesetzt, hemmt dies ihre Hirnentwicklung.

© Foto: Helios Klinikum

Die gefährlichen Auswirkungen des Nervengifts auf Hirnstruktur, Intelligenzentwicklung und Verhalten sind seit längerem bekannt, wurden jedoch nun erstmals in Langzeitstudien untersucht. Kim Dietrich und Kollegen von der University of Cincinnati (US-Staat Ohio) verglichen dazu die Bleibelastung bei Ungeborenen und Babys in armen Gegenden Cincinnatis mit der lokalen Verbrechensentwicklung.

Sie untersuchten zwischen 1979 und 1984 die Blutwerte von Schwangeren aus besonders bleibelasteten Stadtvierteln, deren Häuser mit alten Wasserrohren, vielfach auch bleihaltiger Wandfarbe ausgestattet waren. Auch das Blut der 376 Neugeborenen wurde anschließend regelmäßig kontrolliert, bis die Kinder sechseinhalb Jahre waren.

250 dieser Kinder waren bis zur Endphase der Studie dabei, die von deren 18. Geburtstag bis Oktober 2005 reichte: Die Forscher fanden heraus, dass erhöhte Bleiwerte vor der Geburt und in den ersten Lebensjahren tatsächlich mit höheren Kriminalitätsraten und häufigeren Gefängnisaufenthalten korrelierten - je fünf Millionstel Gramm Blei pro Deziliter Blut im Alter von sechs Jahren stieg das Risiko, später im Gefängnis zu landen, um rund 50 Prozent.

Dazu passen die Ergebnisse, die das Neurologen-Team um Kim Cecil ebenfalls von der Cincinnati Universität ermittelte: Sie untersuchten mit bildgebenden Verfahren die Hirnstrukturen von 157 jungen Leuten zwischen 15 und 17, die in stark bleibelasteten Haushalten aufgewachsen waren. Es zeigte sich, dass den Gehirnen der Jugendlichen an bestimmten Stellen Volumen fehlte - und zwar umso mehr, je stärker die Bleibelastung als Baby gewesen war. Betroffen waren vor allem Regionen, die für die Handlungsorganisation, Entscheidungen, Verhaltensregulation und Feinmotorik wichtig sind. Generell waren Jungen von diesem Volumenverlust stärker betroffen als Mädchen.

David Bellinger von der Harvard Medical School in Boston nennt dies in einem Kommentar ein "deutliches Warnsignal, dass frühzeitige Bleibelastung die Hirnentwicklung in einer Weise hemmt, die wohl dauerhaft ist." Zur ersten Studie sagt er: "Selbst wenn der Beitrag von Blei zum späteren Gefängnisrisiko ein geringer sein sollte, ist er im Gegensatz zu den meisten anderen Kriminalitätsrisiken einer, von dem wir wissen, wie wir ihn leicht abstellen können."

Nach Angaben des Umweltbundesamtes (UBA) wurden vor allem in Nord- und Ostdeutschland Bleileitungen noch bis Anfang der 1970er Jahre eingebaut. Dort lasse sich der aktuelle Trinkwassergrenzwert für Blei in Höhe von 25 µg/L (Millionstel Gramm pro Liter) nicht überall einhalten. Von Dezember 2013 an werde der Grenzwert auf 10 µg/L gesenkt. "Es gibt deutliche Hinweise, dass knapp drei Prozent der Haushalte mit drei- bis 14-jährigen Kindern diesen künftigen Grenzwert nicht einhalten", schreibt das UBA und rät, alte Bleileitungen zu ersetzen.

Mehr dazu: www.umweltdaten.de/publikationen/fpdf-l/3058.pdf

Mehr zum Thema

Vor dem World Health Assembly

WHO-Pandemieabkommen noch lange nicht konsensfähig

Kommentare
Vorteile des Logins

Über unser kostenloses Login erhalten Ärzte und Ärztinnen sowie andere Mitarbeiter der Gesundheitsbranche Zugriff auf mehr Hintergründe, Interviews und Praxis-Tipps.

Haben Sie schon unsere Newsletter abonniert?

Von Diabetologie bis E-Health: Unsere praxisrelevanten Themen-Newsletter.

Das war der Tag: Der tägliche Nachrichtenüberblick mit den neuesten Infos aus Gesundheitspolitik, Medizin, Beruf und Praxis-/Klinikalltag.

Eil-Meldungen: Erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten direkt zugestellt!

Newsletter bestellen »

Top-Meldungen

Interview

STIKO-Chef Überla: RSV-Empfehlung kommt wohl bis Sommer

Lesetipps
Neue Hoffnung für Patienten mit Glioblastom: In zwei Pilotstudien mit zwei unterschiedlichen CAR-T-Zelltherapien blieb die Erkrankung bei einigen Patienten über mehrere Monate hinweg stabil. (Symbolbild)

© Richman Photo / stock.adobe.com

Stabile Erkrankung über sechs Monate

Erste Erfolge mit CAR-T-Zelltherapien gegen Glioblastom

Die Empfehlungen zur Erstlinientherapie eines Pankreaskarzinoms wurden um den Wirkstoff NALIRIFOX erweitert.

© Jo Panuwat D / stock.adobe.com

Umstellung auf Living Guideline

S3-Leitlinie zu Pankreaskrebs aktualisiert